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Importe aus RusslandKommt das Energie-Embargo?

Die Ukraine fordert einen Stopp der Geschäfte mit Russland – auch bei Öl, Gas und Kohle. Der Westen debattiert darüber, zögert aber.

Bebeplatz Berlin am Sonntag: DemonstratInnen protestieren gegen Russlands Invasion in der Ukraine Foto: Christian Mang

Berlin taz/dpa/afp | Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski hat wegen des Kriegs gegen sein Land erneut stärkere Sanktionen für Russland gefordert. „Man kann es Embargo nennen oder auch einfach Moral, wenn man sich weigert, den Terroristen Geld zu geben“, sagte er am Montag in einer Videobotschaft, die er über den Messagingdienst Telegram verbreitete. „Wenn sie sich nicht an die zivilisatorischen Regeln halten wollen, dann sollen sie auch keine Waren und Dienstleistungen der Zivilisation erhalten.“

Überall auf der Welt wird die Frage längst gedreht und gewendet, aber nur zögerlich beantwortet: Will man weiter Energie aus Russland importieren, obwohl man so die Kriegskasse von Russlands Präsident Wladimir Putin füllt? Derzeit beraten die USA und die EU darüber, russische Ölimporte zu verbieten. US-Außenminister Antony Blinken sprach am Sonntag gegenüber dem US-Fernsehsender CNN von „sehr aktiven Diskussionen“.

Bei der Bundesregierung klingt das zurückhaltender. Regierungssprecher Steffen Hebestreit verwies am Montag in Berlin auf die bisherigen Sanktionen gegen Russland, die bereits weitreichend seien. In Bezug auf einen Öl-Importstopp sagte er, das müsse auf EU-Ebene beschlossen werden und sei nicht ausgeschlossen. Gleichwohl sei das russische Öl in Deutschland „nicht einfach von heute auf morgen zu ersetzen“. Bundeskanzler Olaf Scholz werde noch am Montag erneut mit Selenski sprechen, kündigte er an.

Deutschland nutzt tatsächlich besonders viel Energie aus Russland, beim Öl ist der Anteil nicht mal am höchsten: Etwa ein Drittel des hier genutzten Öls, die Hälfte der Steinkohle und mehr als die Hälfte des Erdgases stammen von dort. Letzteres könnte im kommenden Winter zu einem Problem beim Heizen werden, sollte es zu einem russischen Lieferstopp kommen. Auch Brennstäbe für Atomkraftwerke kommen oft aus Russland. Von denen braucht Deutschland aber nach aktueller Planung des Atomausstiegs sowieso keine mehr.

Nervosität bei Aktienmärkten und Umweltverbänden

Die Bundesregierung dürfte nicht nur vor Versorgungslücken Angst haben, sondern auch vor noch höheren Preisen für die verfügbare Energie. Schon jetzt liegen diese hoch – auch weil durch die Embargo-Überlegungen weitere Knappheit im Raum steht. Der Ölpreis stieg am Montag zwischenzeitlich um fast ein Fünftel auf an die 140 US-Dollar pro Barrel. Beim Gas gab es am wichtigen niederländischen Handelspunkt TTF Schwankungen mit enormen Preisspitzen.

Auch insgesamt herrscht Nervosität an den Märkten, denn Energiepreise sind für so ziemlich jeden Wirtschaftszweig wichtig. Die Kurse auf dem europäischen und asiatischen Börsenparkett brachen am Montag ein.

Die deutschen Umweltverbände warnten in einem offenen Brief davor, das deutsche Heizproblem durch eine Verzögerung des Kohleausstiegs zu lösen. Wirtschaftsminister Habeck hatte in der vergangenen Woche nahegelegt, dass es dazu kommen könne, wenn die Versorgungssicherheit sonst in Gefahr sei.

„Versorgungssicherheit und Klimaschutz müssen ab sofort Hand in Hand gehen“, schreiben die Umweltschützer:innen. Sie plädieren für eine „maximale Beschleunigung des naturverträglichen Ausbaus erneuerbarer Energien, verbunden mit einer deutlichen Reduktion des Energieverbrauchs“.

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9 Kommentare

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  • Ein Öl und Gas Embargo trifft nur uns und hilft nicht, den Krieg zu beenden

  • Hilflos: Natürlich ist Habeck hilflos gegenüber den Spekulanten. Schließlich ist Kapitalismus und keine Planwirtschaft. Wie absurd und asozial 'das System' fubktioniert, wird deutlich, wenn Wissenschaft und Politik zu dem Schluss konneb, wir haben noch Gas und Oil für mehrere Monate, aber das nicht so verteilen können, dass sich die Menschen nicht wenigstens das Notwendige leisten können ! Ja, die Angst vor der Wirtschaftskrise ist real, es bröckelt an allen Ecken und Enden und dieser Wirtschaftsminister kann daran nicht mehr ändern. Wo gibt es noch Ravioli und Klopapier ?

    • 9G
      93851 (Profil gelöscht)
      @Dietmar Rauter:

      @Dietmar Rauter

      Ravioli & ...



      Alljährlich steigende Diäten weisen den Weg in die Vorratskeller einer lupenreinen Demokratie mit Hauptsitz in Berlin, dort würde ich suchen. ;-))

  • Niko Paech hat schon 2012 in seinem Buch davon gesprochen: "Befreiung vom Überfluss"

    Und was wurde er kritisiert!!!!!

    Nun stellt sich heraus, dass es wohl nicht anders geht.

  • Im Zusammenhang vielleicht interessant:



    "Russland droht erstmals mit Gas-Lieferstopp"



    www.tagesschau.de/...eferstopp-101.html

  • Sind wir auf Not-Energie-Situationen vorbereitet ? Es zeigt sich -wie bei fast allen Krisenlagen- wir leben vor uns hin, die Globalisierer lassen uns treiben, wir sind nicht mehr unabhängig, es fehlt die Notbremse, die das Schlimmste verhindert. Kein verantwortlicher Politiker spricht vom Naheliegenden -niemand will der Lindner einer Klimakrise sein- , dass wir Energie sparen MÜSSEN und wo es am leichtesten möglich ist. Dabei haben uns die ersten Pandemie-Reaktionen aus dem Jahr 2020 gezeigt: Benzin wird billiger, wenn wir weniger Auto fahren und ein paar Wochen war auch das Leben weniger hektisch. Wo -bitte- fangen wir an mit dem Einsparen, welche Unternehmen verbrauchen viel Energie, obwohl wir vielleicht ein paar Monate ohne deren Erzeugnisse auskommen ? Wieviel Räume im Eigenheim nutze ich tatsächlich. Kann ich sen Sessel und den Fernseher nicht einmal ins Arbeitszimmer stellen ? Dann bleibt mehr übrig für diejenigen, die wenig Wohnraum nutzen können. Können wir rationieren (=einteilen, gemeinsam sparen, nicht verbieten). Ja, es braucht Regelungen, um das Chaos und das Überbieten an der Zapfsäule abzumildern. Bekommt die Gesellschaft das gemeinsam mit der Politik hin ? Sind wir wirklich so stark wie die Ukrainer, die um ihr Leben kämpfen ?

  • So ein Boykott funktioniert nicht. Wenn der Westen kein Öl und Gas mehr kauft und sich versucht, einen Großteil dieser Energie auf dem Weltmarkt zu beschaffen steigt der Preis durch die Decke (Die Prognosen reichen aktuell von 200 bis 400$ pro Barrel.



    Da es aber genug Länder gibt, denen das zu teuer ist werden diese dann auf russisches Öl ausweichen - mit einem kleinen Discount aber womöglich immer noch teurer als jetzt. Die Einnahmen Russlands würden dann nicht so sehr Einbrechen wie gehofft.

    Im Interesse der ganzen Welt wäre es eher, einen gangbaren Kompromiss zu finden, interessanterweise gibt es sogar einige alte kalte Krieger, die das mittlerweile fordern (Ischinger, Kujat u.a.)

    Warum schreibe ich im Interesse der ganzen Welt? Die Weizenpreise und Energiepreise kann der reiche Westen aushalten, viele anderen Länder werden massive Probleme bekommen. Das widerum kann den Klimaschutz bremsen, einfach weil das Geld fehlt.



    Nächstes Problem könnten die Wahlen in westlichen Ländern werden. Wenn Macron durch einen der beiden Rechtsausleger ersetzt wird, dann ist die Einigkeit des Westens wieder dahin, ähnlich wie wenn in den USA die Reps in den Midterms punkten.

    • @LD3000 B21:

      Die Weizenpreise steigen aber nicht aufgrund möglicher westlicher Öl- und Gas-Sanktionen sondern weil die Bauern in der Ukraine wegen der russischen Invasion ihre Felder nicht bestellen können und sich damit die Menge verknappen wird.



      Dass steigende Energiepreise dem Klimaschutz schaden sollten scheint mir auch eine eher steile These zu sein.



      Und was die Wahlen in Frankreich angeht so leiden die Zustimmungswerte von le Pen und Zemmour gerade recht heftig unter deren Nähe zu Putin.



      Alles in allem also doch eher eine Argumentation nach post-faktischem Muster.

  • Wenn das den Krieg und Putin beeinflusst, dann sollte das mit dem vollkommenen Handelsstop konsequent durchgezogen werden.



    Diese Sache mit Putin kann viel bedrohlicher werden, als Corona bisher war und kann langfristigere Folgen haben.



    Putin könnte ein Ultimatum gestellt werden: Sofortiger Waffenstillstand oder eine Woche kein Geld für Gas und Kohle. Wenn er das nicht versteht den Einsatz verdoppeln. Wieviel Angst er vor der Nato hat zeigt sich doch daran, dass er mit Atomwaffen droht, wenn sich der Westen mit Luftsicherung einmischt. Was geht Putin die Luft über der Ukraine an? Es gibt mehr Gründe für schmerzhaftes Handeln als für tödliches Zaudern.



    Oder ganz konsequent bevor China einspringen kann und ihn unterstützt: totale Isolation und das heißt sofort kein Cent mehr nach Rußland. Wir ziehen drei Pullis und lange Unterhosen an und bauen auf den Grünflächen Kartoffeln und Süßlupinen an.



    Bisher gab es nur die vage Behauptung von Schreckensszenarien . Was wären konkret die Folgen, wenn kein Gas und Kohle mehr aus Rußland ankommt.



    Dennoch meine ich: Das was Putin tut, wenn er nicht gestoppt wird, wird schlimmere Folgen haben, als ein kalter Hintern, da er nach der Ukraine sicher nicht aufhören würde Länder anzugreifen und zweifelhafte Bündnisse zu schließen, die ihn stärken. Und die Umweltzerstörung durch den Krieg kann sicher nicht durch ein Förderprogramm zur Dämmung von Häusern aufgewogen werden. Eher wird es noch wichtiger, dass keine Wälder mehr gefährdet werden und kein industrielles Verbrennen von Holz und Kohle erfolgt. Wie wichtig Sumpfgebiete sein können, zeigt sich doch gerade beim Absaufen des Vormarsches von Putins Truppen.