Impfung von sozial Benachteiligten: Keine falsche Fürsorge
Sozial benachteiligte Menschen sind schwerer von der Pandemie betroffen als andere. Sie müssen deshalb bei der Impfkampagne bevorzugt werden.
D ie Furcht davor, etwas Richtiges zu tun und dabei etwas Falsches auszulösen, kann dazu führen, dass gar nichts getan wird – mit fatalen Folgen. Im konkreten Fall geht es um die Frage, ob sozial schwächere und bildungsfernere Bevölkerungsschichten bei der Impfkampagne einer besonderen Zuwendung bedürfen. Das löst unangenehme Fragen aus: Sind das etwa Virenschleudern? Womöglich teilweise mit Migrationshintergrund? Das, so der Impuls, darf nicht ausgesprochen werden, denn es droht eine Stigmatisierung, am Ende gar Öl ins Feuer der AfD-Rassisten. Lieber nicht darüber reden.
Diese Haltung ist gefährlich. Dahinter steckt eine falsch verstandene Fürsorge, die für die Betroffenen tödlich enden kann. Und doch mussten erst konkrete Zahlen über turmhohe Inzidenzen in armen Stadtvierteln auf dem Tisch liegen, bis die Politik zu reagieren beginnt.
Dabei liegt es nahe, dass Menschen, die beengt wohnen müssen und auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sind, die dazu als Packer, Fahrer oder Kassiererin mit viel Kundenkontakt arbeiten, schwerer von der Pandemie betroffen sind als jemand, der am Schreibtisch im Homeoffice verweilt. Vielleicht kommt dazu, dass die Ärmeren keine Zeitung lesen, das Studium von RKI-Berichten verschmähen und möglicherweise über nicht ausreichende Deutschkenntnisse verfügen. Und, ja, manche halten eine Impfung für gefährlicher als das Virus.
Deshalb ist es allerhöchste Zeit für das, was derzeit in Köln geschieht: die Bevorzugung dieser Menschen bei der Impfkampagne. Dabei werden ein paar Dosen mehr nicht reichen. Wenn man die Benachteiligten erreichen will, dann funktioniert das nur über ihre Medienkanäle und mithilfe ihrer Vorbilder. Dann hilft kein Günther Jauch mit viermal Ja, sondern Tuğçe Kandemir muss singen. Alles andere als eine groß angelegte Kampagne fürs Impfen, gerne auch bei kostenlosem Mittagessen, wäre unterlassene Hilfeleistung, die am Ende auch diejenigen trifft, die im Eigenheim sitzen. Denn das Virus kennt weder Arme noch Wohlhabende.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Absagen vor Kunstsymposium
Logiken der Vermeidung