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Impfpflicht und MoralphilosophieGrenzen der Freiheit

Gastkommentar von Charles Schildge

Liberale Philosophen lehrten uns, warum eine allgemeine Impfpflicht moralisch geboten ist. Manche Liberale von heute scheinen das vergessen zu haben.

Auch gegen die Pockenschutzimpfung sträubten sich manche – anders hier 1967 in Hannover Foto: Wolfgang Weihs/picture alliance

I m Jahr 1905 führte der US-Bundesstaat Massachusetts eine Pflicht zur Impfung gegen die Pocken ein. Die Krankheit forderte dort zu der Zeit viele Todesopfer. Der aus Schweden stammende Pastor Henning Jacobsen verweigerte die Impfung für sich und seinen Sohn. Ihm wurde eine Geldstrafe auferlegt.

Dagegen zog er vor den Supreme Court, wo er argumentierte: „Falls eine Person es als wichtig erachten sollte, dass keine Impfung in ihrem Fall durchzuführen ist, obwohl die Obrigkeit diesbezüglich anderer Meinung ist, liegt es nicht in ihrer Macht, die Person mittels Zwang zu impfen.“

Das Gericht wies die Klage ab: „Die durch die US-Verfassung gewährte Freiheit verleiht dem Einzelnen nicht das absolute Recht, jederzeit und unter allen Umständen frei von Einschränkungen zu sein. Es gibt mannigfaltige Einschränkungen, die jede Person um des Gemeinwohls willen über sich ergehen lassen muss.“

Ein gutes Jahrhundert später soll in Deutschland eine Impfpflicht gegen Sars-CoV-2 eingeführt werden. Von ihren Befürwortern wird sie mit der aktuellen Notlage begründet: „Erste Untersuchungen zeigen, dass vor allem Booster-Impfungen auch gegen diese Mutation [Omikron; Anm. des Verf.] eine gute Wirkung entfalten können. Deshalb ist spätestens jetzt eine allgemeine Impfpflicht unabdingbar“, sagte beispielsweise Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD).

Die Frage der moralischen Pflicht

Derartige, auf die aktuelle Situation und den medizinischen Nutzen verweisende Begründungen hätten Jacobsen nicht überzeugt, denn er war sich der Notlage durchaus bewusst. Um Jacobsen und seine geistigen Nachfolger umzustimmen, müssen wir grundsätzliche Fragen klären: Gibt es eine moralische Pflicht, sich gegen Corona impfen zu lassen? Wenn dem so ist, darf der Staat diese Pflicht von seinen Bürgern einfordern?

Die Moralphilosophen Alberto Giubilini, Thomas Douglas und Julian Savulescu begründeten in einem 2018 veröffentlichten Essay, weshalb es unmoralisch sei, sich nicht gegen gefährliche, ansteckende Krankheiten impfen zu lassen. Die Impfverweigerung sei unmoralisch, weil sie nicht auf einer verallgemeinerbaren Regel basiere (was wäre, wenn jeder so handelte?) und weil sie das Wohlergehen aller Betroffenen nicht maximiere, sondern gefährde.

Charles Schildge

Jahrgang 1997, Studium der Sinologie und Philosophie, lebt in Hamburg.

Wenn der Einzelne die moralische Pflicht hat, sich impfen zu lassen, folgt daraus jedoch nicht, dass der Staat dazu verpflichtet sei, eine allgemeine Impfpflicht einzuführen. Ehebruch gilt ebenfalls als moralisch verwerflich und trotzdem sollte der Staat keine Treuepflicht einführen. Vor allem Liberale weisen darauf hin, dass nicht jedes unmoralische Verhalten vom Staat sanktioniert oder verboten werden darf.

Warum sollte der Staat nun ausgerechnet beim Impfen dem Einzelnen die Entscheidung nehmen? Vereinfacht gesagt: Weil die Nicht-Impfung nicht nur Einzelnen, sondern der Allgemeinheit schadet. Impfverweigerer gefährden nicht nur sich selbst, sie schaden auch anderen – vor allem jenen, die sich nicht impfen lassen können, sowie bereits Geimpften, die einen Impfdurchbruch mit schwerem Verlauf zu befürchten haben. Ferner belasten sie durch ihre deutlich höhere Hospitalisierungsrate das Gesundheitssystem auf Kosten der Allgemeinheit, von den Folgeschäden ganz zu schweigen.

„Die Schädigung anderer verhüten“

Schaden und Gefahr ziehen in jeder liberalen Ethik die Grenze der individuellen Freiheit. Staaten, andere Institutionen und Personen dürfen dann und nur dann die Freiheit des Einzelnen beschneiden, wenn er oder sie anderen Menschen Schaden zufügt.

Dieses Prinzip geht auf den britischen Philosophen John Stuart Mill zurück, der 1859 schrieb: „Dass der einzige Zweck, um dessentwillen man Zwang gegen den Willen eines Mitglieds einer zivilisierten Gesellschaft rechtmäßig ausüben darf: die Schädigung anderer zu verhüten.“

In Anbetracht dieser liberalen Grundüberlegung, die einige Liberale und Konservative heutzutage vielleicht vergessen haben, stellt eine Impfpflicht keine „unzulässige Einschränkung der Freiheit“ dar. Wer sich nicht gegen eine tödliche, ansteckende Krankheit mit einem effektiven Impfstoff impfen lässt, schadet ohne triftigen Grund den Menschen in seinem Umfeld.

Prinzip der „sauberen Hände“

Ein Einwand gegen die Anwendung des Schadensprinzips auf das Impfen könnte so lauten: „Von mir geht doch keine direkte Gefahr aus, ich stecke keinen an!“ Tatsächlich ist es so, dass ein Ungeimpfter nicht unbedingt großen Schaden anrichten wird. Er muss weder sich noch andere anstecken. Das Nicht-Impfen ist vielmehr eine kollektive schädliche Handlung.

Der libertäre US-Philosoph Jason Brennan argumentierte in einem 2019 erschienenen Aufsatz, dass es unmoralisch sei, sich an solchen kollektiven Aktivitäten zu beteiligen, selbst wenn der Einzelne keinen Schaden anrichtet. Denn dadurch verletze der Einzelne das Prinzip der „sauberen Hände“ (clean hands principle).

Angenommen, ein Rechtsradikaler, der sich an einem Anschlag auf ein Asylheim beteiligt, rechtfertige sich: „Ich habe zwar Steine geworfen, aber keiner wurde durch meine Steine verletzt.“ Wäre er moralisch gesehen unschuldig? Nein, denn er begeht Unrecht im Kollektiv. Er macht seine Hände schmutzig.

Oder junge Leute, die mit 150 km/h durch die Innenstadt rasen, werden von der Polizei gestoppt und rechtfertigen sich so: „Wir haben doch keinen verletzt, das wollten wir auch gar nicht.“ In diesem Fall gäbe es keine Geschädigten, außerdem hätten sie im Gegensatz zu dem Rechtsradikalen nicht die Intention, andere zu verletzen – sie wollten nur ein bisschen „cruisen“. Warum sollten wir ihre Handlung trotzdem verwerflich finden? Weil sie ein hohes, nicht rechtfertigbares Risiko in Kauf nahmen, dass jemand großen Schaden erleidet.

Wenn demzufolge Liberale anerkennen müssen, dass Impfverweigerer anderen schaden, dieser Schaden sehr groß und vermeidbar ist – dann müssen sie Brennans Konklusion teilen: Der Staat ist dazu berechtigt, den Impfverweigerern eine Impfung vorzuschreiben, also eine allgemeine Impfpflicht einzuführen.

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38 Kommentare

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  • Interessant ist, dass Sahra Wagenknecht, die ja angeblich in der Nacht des 9. November 1989 trotzig Kants "Kritik der reinen Vernunft" las, den kategorischen Imperativ überhaupt nicht kapiert hat und die Impfung für eine Privatsache hält.

  • Mills Utilitarismus ( „Dass der einzige Zweck, um dessentwillen man Zwang gegen den Willen eines Mitglieds einer zivilisierten Gesellschaft rechtmäßig ausüben darf: die Schädigung anderer zu verhüten.“) eignet sich übrigens auch hervorragend für die Begründung von Folter. ( de.wikipedia.org/wiki/Utilitarismus )

  • Ich folge der Argumentation absolut. Gibt es denn auch eine Pflicht jedes Einzelnen, sein Verbrenner-Auto stehen zu lassen, wenn es nicht absolut notwendig ist, bzw. es Alternativen gibt, weil in Deutschland jedes Jahr 80.000 vermeidbare Todesfälle durch Luftverschmutzung entstehen? Gibt es eine Strafe für unnötige Kurzstreckenflüge und künstliche Verlängerung von Kohlekraftwerklaufzeiten?



    Es ist doch erstaunlich, wie wir bei Corona argumentieren, und was wir uns beim Klima- und Umweltschutz nie trauen. Vermeidbare Todesfälle in großem Maße überall, direkter Zusammenhang wissenschaftlich festgestellt, aber irgendwie zählen die einen Toten mehr als die anderen.



    (Ich bin geimpft und geboostert, falls jemand fragt.:-)

    • @Maike Lala:

      Danke für Ihren Kommentar, dem ich nur zustimmen kann.

      Tja, plötzlich sind alle ganz solidarische, verantwortungsbewusste und hochqualifizierte Virologen. Was kümmert da einen schon die Umwelt, schließlich verhält man sich ja schon moralisch korrekt :)

  • Eine Impfung, die nur wenige Monate schützt ist allenfalls eine medikamentöse Prophylaxe. Da wird eine Pflicht zur Impfung eine sinnlose Angelegenheit. Mit Pocken und Masern ist das alles nicht zu vergleichen.

  • Der Kommentar wurde entfernt. Unsere Netiquette können Sie hier nachlesen: taz.de/netiquette

    Die Moderation

    • @Axel Foley:

      "Schließlich greift das Virus ja keine Gehirnzellen an, oder? :)"



      Nach aktuellem Wissensstand greift Covid-19 in der Tat Nervenzellen und löst neurologische Probleme aus. Siehe long-covid. Ich kenne jemanden der bereits seit einem Jahr arbeitsunfähig ist.

      Bei soviel Liebe zu den Fakten kann man den Rest der Argumentation getrost überspringen.

    • @Axel Foley:

      Der Basisreproduktionswert von Pocken liegt um die 4,5. Und SARS-2 greift keine Gehirnzellen an, weil es die Blut-Liquor-Schranke nicht passieren kann. Es bindet Hirnzellen aber sehr gut, und "verlorengegangene" Spikes binden Blutzellen in den Hirnkapillaren, die ohne hinreichenden Impfschutz (Infektion reicht nicht) vom Immunsystem für infiziert gehalten und zerstört werden. Das führt zu Blutgerinnseln, die die Hirnkapillaren verstopfen.

  • Sich von einer Reihe Mandatsträgern moralisches Handeln vorschreiben zu lassen, die selber bei ihren, von Lobbyisten der Industrie getriebenen, Entscheidungen nicht einmal rot werden im Gesicht, ist eine absolute Farce. Die Regierenden sollten sich ernsthaft fragen, warum es so viel Widerstand gibt. Corona ist dabei nur ein Ventil von vielen, durch das der hinterfragende Bürger seinen Unmut zum Ausdruck bringt. Erst kürzlich wurde die panische Stimmung im Lande genutzt, um einen Waffendeal mit Ägypten abzuschließen. Wohlgemerkt Ägypten, ein Land das durch die Unterdrückung seiner Opposition und durch Menschenrechtsverletzungen bekannt ist. Ein weiteres Beispiel ist das öffnen der Türen für den Niedriglohnsektor und die damit verbundene massive Steigerung der Leiharbeit, die so viele Menschen dazu zwingt ein oder zwei zusätzliche Arbeitsstellen anzunehmen. Aber wieso sollte man von diesen Menschen erwarten, dass sie selbst Wasser trinken, wenn sie doch die Eingebungen ihres eigenen Gewissens überspielen. Die Zusammenhänge von Wohl und Übel auf unserem Planeten sind offensichtlich, das Prinzip der drei Affen aber auch.

  • Impfung ist nicht gleich impfung. und gefärdung ist nicht gleich gefährdung.



    Die frage muss gestellt werden, ob der Staat & das Kollektiv, nicht besser handeln können als zB nur durch Impfung. Nicht nur zum schutz des kollektivs sondern auch zum schutz des individuums.

    Wenn die Impfung für bestimmte leute schädlich ist, reicht es nicht zu sagen, du musst dich impfen, weil du sonst wahrscheinlich jemanden minimal oder maximal gefährden könntest.



    Die quantität und die qualität aller möglichkeiten muss hier genau erfasst werden!!!!

    Hier muss eine abwägung erfolgen die mit einem restrisiko behaftet ist.



    dies kann man nicht wegdiskutieren durch absolute und ungenaue gebote und muss letztendlich immer individuell erfolgen!



    insofern ist diese argumentation nicht vollständig.

    unter gewissen umständen, wenn zB keiner durch die impfung leidet oder sonst keine anderen besseren maßnahmen zum schutz der bevölkerung und des gesamtsystems sowie unserer ideale möglich ist, ist eine impfpflicht sehr einfach machbar.

    doch jedes risiko und jeder aufwand muss auch gegen alternativen und ausnahmen geprüft werden.



    und es ist verantwortungslos, diese klein zu reden oder gar ganz zu vergessen.

    und ja, es kann dazu kommen, dass das kollektiv, bzw ein teil davon, einem anderen teil davon eine regel auferlegt, die es in ihrer entfaltung einschränkt und auch das risiko des misserfolgs erhöht. und zwar weil sie denken, es sei gut bzw das beste für alle. das muss aber nicht der fall sein. aber man nimmt eben eine gewisse ungenauigkeit hin. und das problem des fehlenden details, führt in der wissenschaft, in der wahrheit und letzlich bei minimum einem menschen zum disaster. das muss man auch sehen und darf es nicht einfach so übergehen im namen eines ungenauen ganzen.



    auch wenn die mehrheit davon profitiert. es bleibt ungenau.



    insofern ist eine indirekte impfpflicht in verbindung mit anderen maßnahmen mE genauer & noch liberaler als eine generelle impfpflicht mit schwachen impftstoffen.

    • @Christian Will:

      " ob der Staat & das Kollektiv, nicht besser handeln können"

      Diese Diskussion kommt 2 Jahre zu spät. Die einzige andere praktikable Alternative ist der chinesische Weg mit brutaler Quarantäne ganzer Städte. Alle milderen Massnahmen wurden quer durch die Welt getestet und blieben wirkungslos.

      Demnach baut ihr Argumentskette Strohmänner auf die schon längst abgebrannt sind.

      Stand heute ist die Impfung alternativlos.

      • @Michael Renper:

        Lesen Sie bitte das Dokument des RKI mit dem Titel "Vorbereitung auf den Herbst/Winter 2021/22", veröffentlicht am 22.7.2021.

        Dort findet man Prognosen zum Infektionesverlauf für diesen Winter. Angenommen wurden verschiedene Impfquoten sowie ob Kontakte eingeschränkt werden oder nicht. Laut dieser Prognose hätte eine vierte Welle nur mit einer hohen Impfquote UND Kontaktbeschränkungen verhindert werden können. Ausserdem haben Kontakbeschränkungen einen größeren(!) Einfluss auf den Verlauf der Pandemie als eine um zwanzig Prozent höhere Impfquote.

        Die Impfung ist daher nicht, wie von der Politik verkündet, unser einziges Mittel aus der Pandemie heraus. Solange die Wirksamkeit der Impfung nicht besser wird, werden wir Kontaktbeschränkungen weiter als effektives Mittel brauchen.

  • So logisch aufgebauter Artikel, dass es jeder nachvollziehen können müsste. Also sogar die neue Crew der Mandatsträger, die jetzt erst über die Impfpflicht debattiert, wo längst hätte gehandelt werden müssen. Stattdessen haben die Volksvertreter versucht, ihr Volk in die Irre zu führen durch die Behauptung, dass es keine Impflicht geben wird. Schildge muss ins Parlament!

  • Welche "Notlage"?. Wenn ich mir die Zahlen ansehe, z.B.Median der mit (nicht notwendigerweise an...) C19 Verstorbenen 83 Jahre, Belegung aller betreibbaren Intensivbetten 15,6% (Quelle C19-App gerade eben), Infektionssterblichkeit der 20-29 Jährigen 0,014%,(Quelle medrxiv.org) wäre eine Impfpflicht absolut nicht gerechtfertigt. Abgesehen davon fehlt der Nachweis, dass eine Impfpflicht die Probleme lösen würde, womit sie auch nicht verhältnismäßig ist und damit nicht verfassungskonform. Das ausgerechnet Linke hier scheinbar "mal richtig durchregieren" wollen, finde ich reichlich befremdlich. Ich selbst bin übrigens geboostert - auch wenn das keine Rollen spielen sollte für den Kommentar.

  • In erster Linie sollte es um Nutzen und Schaden und Erörterung von Alternativen gehen. Wenn diese Fragen offen diskutiert und alle Optionen bekannt sind, kann man das Moral-Orakel befragen. Dies ist hier noch nicht ausgeschöpft. Es herrscht die berühmte Merkelsche Alternativlosigkeit. Ist es vielleicht nicht auch eine Frage der Moral, warum die Ärzte abgabenfrei (!) impfen, die eh schon stromlinienförmigen Krankenhaus AGs für den ABBAU (!) von Betten gefördert wurden, nota bene während einer Pandemie und biontech nun noch während der Kampagne seine Preise erhöht hat und plötzlich zig Milliarden schwer ist, während die Pflege Applaus bekommt. Von einem möglichen Fonds zur Entschädigung von Impfgeschädigten, die es ja gibt, ganz zu schweigen. Das passt nicht auf eine Kuhhaut, von den geschwärzten Verträgen und den gelöschten mails der UvdL auch nicht zu reden. Da ist viel Platz für Moralfragen!

  • "Warum sollte der Staat nun ausgerechnet beim Impfen dem Einzelnen die Entscheidung nehmen? Vereinfacht gesagt: Weil die Nicht-Impfung nicht nur Einzelnen, sondern der Allgemeinheit schadet." Das hängt sehr stark vom sonstigen Verhalten der betreffenden Person im Alltag ab. Ich kann doppelt geimpft und geboostert sein und trotzdem meine Eltern im Seniorenheim infizieren, selbst wenn diese auch doppelt geimpft und geboostert sind. Umgekehrt kann ich mich als ungeimpfte Person extrem vorsichtig verhalten, mich ins Homeoffice begeben, soziale Kontakte herunterfahren, penibel die Maskenpflicht einhalten usw. Was Staat und Gesellschaft vom Einzelnen verlangen können, ist Rücksichtnahme. Außerdem kann der Staat Vorgaben machen wie Maskenpflicht, 2G+ usw. Wer das als Ungeimpfter akzeptiert und darüber hinaus, verglichen mit Geimpften, stets besondere Vorsicht walten lässt, erfüllt seine moralische Pflicht ebenfalls. Covid 19 bedroht zu 85% das Leben klar eingrenzbarer Risikogruppen. Der Staat hat die Pflicht, diese Gruppen zu schützen. Zum Beispiel mit einer berufsbezogenen Impfpflicht. Eine allgemeine Impfpflicht ist dagegen unverhältnismäßig. Noch vor wenigen Wochen wurde gesagt, man wolle die Corona Maßnahmen über die Hospitalisierungsrate steuern. Diese liegt heute (07.01.) bei 3,29. Vor wenigen Wochen, als die gesamte politische Elite eine 180° Wende pro Impfpflicht einleitete, lag der Wert bei 5,9, während er vor einem Jahr bei ca. 15 (!) lag. Damals wurde gesagt: Niemand hat die Absicht, eine Impfpflicht einzuführen. Und das ist ein weiteres Argument gegen die Impfpflicht: Weil man sie explizit ausgeschlossen hatte!

  • Und WIEDER in dieser Debatte: Die Pflicht bezöge sich dann auf künftige Impstoffe, von denen wir alle zuvor garnichts wissen. Sie 'trifft' dann jede/n, auch Freudig-Gebossterte/n, und nimmt auch ihr/ihm die Freiheit für künfttiges freies Entscheiden. Vgl. taz.de/Diskussion-...bb_message_4238882

    • @lesnmachtdumm:

      Hier sollte aus geboostert nicht gebosstert werden, wra nru ien Tppifleher...

  • Hier schwurbelts aber arg. Moral lässt sich definieren, wenn auch jede Zuschreibung stets kontrovers bleiben wird. Das Allerweltswort "unmoralsich" samt dem Bsp. "Ehebruch" hat mit ernsthaft dikutierter Moral ja nu aber garnichts zu tun, ist keinesfalls ein Wort für ihr Gegenteil.

    • @lesnmachtdumm:

      Ich sags mal so: Jeremy Bentham hätte auf diese Problematik eine sehr sehr einfache Antwort.

      • @Ajuga:

        The greatest happiness of the greatest number - immer, wenn auch für den jeweils ver-PFLICHT-eten nicht immer einfach. . Mir gings aber eher um den etwas deplazierten Allerweltsschwurbel "unmoralsich" , durch das gegebene Beispiel "Ehebruch" hier ja auch eindeutig schwurbelig ausgefüllt.. Da lugt der Pabst ums Eck, oder werauchimmer, und das gehört nicht hierher.

  • "Pflichterfüllung ist nur möglich auf Grund eigener Einsicht des Handelnden in seine Pflicht. Gehorsam aber besteht aus der Befolgung von Befehlen ohne Rücksicht darauf, was der Handelnde als seine Pflicht erkennt. Anleitung zum Gehorsam ist daher Anleitung zum nicht-sittlichen Handeln. […] Nicht besser steht es mit dem Versuch, durch Verheißung von Lohn und Androhung von Strafe die Menschen erziehen zu wollen." (Leonard Nelson 1922).

    Sie haben Angst und Sie wollen sich sicher fühlen. Deswegen sollen alle anderen Ihren Ansichten aus moralischen Gründen folgen. Dabei wird Moral nur vorgetäuscht, indem Sie absolut gestellt und befohlen wird. Leider müssen wir rein in den Sumpf und uns mit Abwägen, Kompromissen und Andersdenkenden beschmutzen.

    Der Rechtsstaat ist im Übrigen nicht moralisch fundiert: "Damit wurzelt der Geltungsanspruch des Gesetzesbefehls heute nicht mehr in dem Anspruch auf überzeitliche Maßstäbe der Richtigkeit und Wahrhheit, sondern nunmehr in der verfassungsrechtlich begründeten Regelungsautorität des demokratisch legitmierten Gesetzgebers. [...].Damit läßt sich der vom Gewissen geleitete Dissens des Einzelnen gegenüber der Mehrheitsentscheidung nicht mehr als "Irrtum" begreifen. Der auf Identifikation des Bürgers mit sich verpflichtete Staat kennt kein "irrendes Gewissen". (Merten / Papier - Handbuch Grundrechte Band IV Gewissensfreiheit, S. 670).



    (Anm.: Und ja, es ist - meines Erachtens - eine weltanschauliche Frage, weil es auch um die Bedeutung instrumenteller Vernunft, die Mensch-Umwelt-Beziehung und humanistische Werte geht. Dies nur als Anmerkung falls das Argument aufkommt, das sei nur eine technokratische Frage und der Anwendungsbereich der Gewissensfreiheit sei nicht eröffnet.)

  • Seltsam, dass in diesem Kommentar kein einziges Mal das Wort "abwägen" vorkommt. Spielt dieses Wort in dem Staat, den sich der Autor erträumt, keine Rolle mehr bei Konflikten zwischen den Interessen des Einzelnen und der Allgemeinheit?

    Ich zünde mir eine Zigarette an und bin froh, dass dieser Staat bislang nur ein (Alb-)Traum ist ...

  • Diese Annahme einer moralischen Pflicht zur Impfung basiert letztlich auf einer vermuteten, weitgehenden Abwesenheit von Schäden für den Geimpften. Die Geschichte ist vollgepackt mit Beispielen, in denen etwas von den "führenden Wissenschaftlern" als wirksam und harmlos eingestuft wurde, das sich dann als katastrophal schädlich herausgestellt hat (Lobotomie, Contergan, ...). Eine Pflicht zur Impfung würde ich jederzeit bejahen, wenn auch die Wahl des Impfstoffs frei wäre. Aber die zahlreichen, auch von der WHO zugelassenen Totimpfstoffe werden von der EU und der BRD aus Profitinteressen blockiert.

    • @Erbsenstein:

      Märchenstunde!



      Es ist falsch, dass andere Impfstoffe blockiert würden:



      Wer hat wann eine Zulassung beantragt, aber muss darauf unverhältnismäßig lange warten?



      Die Russen und Chinesen haben jedenfals keine Zulassungsanträge gestellt...

      Ihre Beispiele sind ebenfalls falsch: dort wurden Hinweise auf Risiken gezielt von einer einzelnen Firma verschwiegen (und auf öff. Kontrolle verzichtet). Da waren keine "führenden" Forscher beteiligt.



      Für die aktuellen Impfstoffe werden dagegen solche Hinweise ausdrücklich öffentlich und niederschwellig gesucht.

    • @Erbsenstein:

      Dem Stimme ich voll und ganz zu. Ich denke mit der Zulassung eines echten Totimpfstoffes gegen Corona könnte man die Impfquote um 5 bis 10% erhöhen ohne die Gesellschaft weiter zu spalten.

      • @Jaku:

        Die europäische Arzneimittelagentur hat im Dezember 2021 die Zulassung des Totimpfstoffes Novavax empfohlen.

      • @Jaku:

        Novavax und andere fälschlicherweise Tot impfstoff genannte Seren zeigen gegen Omikron keine oder kaum Wirksamkeit!! Nur boostern mit mrnas zeigt gegen Omikron gewisse Wirkung...



        Mit Impfung,Impfpflicht ,ist Corona im Gegensatz zu den Pocken und auch Masern NICHT auszurotten.



        Deshalb ist eine Impfpflicht gegen Covid



        Nur als Papiertiger zu sehen,wenn sie käme und Lauterbach hat ja immer betont ,dass Impfverweigerer in diesem Fall keinerlei Staatsgewalt gegen sich zu befürchten haben.Das was zum Beispiel Palmer gegen Impfverweigerer ins Spiel bringt ,wie Beugehaft, Kürzung von Renten usw.ist wieder typisch fuer autoritaere Persönlichkeit en die als Tiger angreifen und als Bettvorleger landen müssen.

      • @Jaku:

        Dazu müsste es erst mal einen Totimpfstoff mit hinreichender Wirksamkeit geben.

        Bislang fallen alle, wirklich ausnahmslos alle Totimpfstoffe in diesem Punkt durch; man könnte fast vermuten, dass es am Wirkprinzip liegt. Man könnte auch vermuten, dass das dazu geführt hat, dass ein Impfstoff gegen SARS-1 nicht rechtzeitig entwickelt wurde (damals stand mRNA-Technologie noch hicht zur Verfügung), oder dass es generell noch gar keinen einzigen Impfstoff gegen Coronaviren gab, obwohl 20 Jahren dran geforscht wurde - bis man es mit einer neuen Technologie versuchte, und es auf Anhieb klappte. Alles ein wenig auffällig, aber was interessieren schon Fakten?

        • @Ajuga:

          Ist das Warten auf den 'konventionellen' Impfstoff nicht auch ein Weg-Projezieren auf den Sankt-Nimmerleins-Tag? Diese Frage wurde in der Presse auch schon behandelt, mit der Vermutung, wenns jetzt konkret möglich werde, würden die meisten angeblich darauf Wartenden vermutlich doch nicht zugreifen.

        • @Ajuga:

          Das ist so nicht korrekt. Der Schutz vor einer Infektion mit der Alpha-Variante liegt bei Coronavac/Sinovac laut internationalen Studien zwischen 50 und 80 Prozent (Biontech mehr als 90). Der Schutz vor einem schweren Verlauf liegt mit dem Totimpfstoff Coronavac/Sinovac bei über 80% Prozent. Das ist auf jeden Fall nicht "durchgefallen". Gegen neuere Virusvarianten wirken alle Impfstoffe weniger gut.

          Schauen Sie sich die Karte mit den welweiten Inzidenzen an und vergleichen das mit der Karte der Länder, die Conoavac verimpfen. Wo sind die Inzidenzen derzeit höher? Natürlich ist mir bewusst, dass hier viele Faktoren eine Rolle spielen, aber so ganz nutzlos scheint der Impfstoff nicht zu sein. Ich lasse mich aber gern durch Fakten vom Gegenteil überzeugen.

  • Schöner Artikel, den Christian "meine Freiheit ist mir wichtiger als eure Gesundheit" Lindner mal lesen sollte.

  • Eine interessante, aber für mich nicht zwingende Argumentationskette. Werden in dieser Logik alle Anhänger der Anthroposophie demnächst gegen Masern usw. zwangsgeimpft?



    Es sollte keine Zweifel geben ob der Staat bzw. die Gesellschaft berechtigt ist...die Zweifel sind bei den Konsequenzen eines derartigen Handelns.

    • @alterego:

      Um Zwang ging es im Text nicht.

  • Eine andere Frage ist: Welchen Preis wird die Gesellschaft zahlen wenn es zu einer Impfpflicht kommt.

    Ich selbst bin bereits geboostert, aber wenn sich jemand nicht impfen lassen will ist das seine Entscheidung. Die ich übrigens für falsch halte.

    Ich denke das Thema ist extrem komplex.

    Ich hätte eine andre Frage an die Moralforscher:

    Ist eine moralisch richtige Entscheidung vernünftig wenn diese Entscheidung sehr großen Schaden anrichtet?

    Da die Welt nie scharz und weiß war muss man eher eine andere Frage stellen:

    Was wiegt mehr, Moral oder Vernunft?

    • @Müller Christian:

      Vernunft entsteht und versteht man doch erst mit der Lehre über (moderne) Moral und Ethik - das in Klammern notwendig erwähnt, bevor ein Spaßvogel die brutalen Römer in den Ring wirft.

      Dies aufzuwiegen sehe ich als nicht sinnvoll an. Eher sehe ich es als sinnvoll an, wenn Vernunft auf einem Gerüst gebaut ist, mit der wir philosophisch argumentieren bis handeln können.

    • @Müller Christian:

      Moralforscher treffen keine politische Entscheidung. Das dürfen unsere Herrschenden abwägen.



      Ich hoffe, sie lassen sich dabei nicht immer wieder durch lautes Geschrei ins Boxhorn jagen. Durch klare Kante ist das Thema am besten zu beenden. Entgegenkommen verunsichern die Kooperativen und befriedet gar nix...

  • Hallo Charles Schildge,

    ...fand den AutorenName nicht gleich?

    Richtig toller Artikel!

    Wenn immer ich es nun mit "schwafelnden Philisophen" zu tun haben werden:



    Kennst Du Dich aus & hast es begriffen, dann geht es in wenigen Sätzen, messerscharf & auf den Punkt; wie einstmals bei Charles Schildge in der taz zu 'Grenzen der Freiheit'!

    Danke!