Im September ein Superwahltag in Berlin: Farbe bekennen
Am 26. September ist Superwahltag in Berlin. Zur Wahl stehen das Abgeordnetenhaus, die Bezirksparlamente und obendrauf der Bundestag.
Ganz im Osten bleibt Berlin dagegen tiefrot. Wenn die Linkspartei ihre Direktmandate in Treptow-Köpenick, Lichtenberg und Marzahn-Hellersdorf verteidigt, würde sie sogar für den Fall in Fraktionsstärke in den Bundestag ziehen, dass sie bundesweit an der Fünfprozenthürde scheitert.
Eine grüne Revolution dagegen könnte in der Mitte stattfinden. Bisher haben die Grünen nur ein Direktmandat in Friedrichshain-Kreuzberg errungen. Nun aber könnten drei neue in Pankow, Mitte und Tempelhof-Schöneberg dazukommen.
Und die SPD? Die ginge diesen Prognosen zufolge leer aus. Es ist also spannend, nicht nur im Bundestag, sondern auch im Abgeordnetenhaus, wo erstmals mit Bettina Jarasch eine grüne Politikerin im Roten Rathaus Platz als Regierende Bürgermeisterin nehmen könnte. Sollte dagegen Franziska Giffey für die SPD Regierende werden, müsste sie sich in Berlin gegen den Bundestrend durchsetzen.
Auch in den Bezirken schenken sich die Parteien nichts. Dort gibt es erstmals sechs statt fünf Stadträte in den zwölf Rathäusern. Gleichzeitig bekommen die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister mehr Kompetenzen. Auf der kommunalen Ebene dürfte es dennoch unübersichtlich werden, wie die Berichte aus Spandau, Friedrichshain-Kreuzberg, Tempelhof-Schöneberg, Marzahn-Hellersdorf und den anderen acht Bezirken zeigen. (Uwe Rada)
Friedrichshain-Kreuzberg: Rote Kratzer am Grün
Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat höchste Bedeutung für die Grünen: Hier (und in einer zum Wahlkreis dazugehörigen kleinen Ecke von Prenzlauer Berg) holte Christian Ströbele 2005 das erste und bis heute bundesweit einzige grüne Direktmandat für den Bundestag. Er verteidigte es erfolgreich, bis 2017 schließlich Canan Bayram diese Tradition fortführte. Auf Bezirksebene stellt die Ökopartei seit 2006 die BürgermeisterIn. Und was die Abgeordnetenhauswahl angeht, holten die Grünen zuletzt vier der fünf Direktmandate. Kurz zusammengefasst: Wer wissen will, wie ein urgrüner Wahlkreis aussieht – Medien, Soziologen oder PolitikberaterInnen –, schaute bisher in den 2001 fusionierten Ost-West-Bezirk.
Doch ausgerechnet in diesem Jahr, da den Grünen größte Chancen auf eine Regierungsbeteiligung im Bund zugerechnet werden, könnten sie in ihrer ureigenen Hochburg schwächeln. Bereits 2017 hat die Linke das Direktmandat für den Bundestag hier nur knapp verpasst: 1,4 Prozentpunkte fehlten am Schluss: Die Linke hatte stark zugelegt, die Grünen hatten deutlich verloren. Und bei den Zweitstimmen lag die Linkspartei mit 28,5 Prozent mehr als 8 Prozentpunkte vor den Grünen.
Eines steht schon fest – der Wahltermin. Am 26. September wird gewählt. Bundestag, Abgeordnetenhaus, Bezirke: Einen solchen Superwahltermin hat es zuletzt am 2. Dezember 1990 gegeben. Damals hatte die CDU im Abgeordnetenhaus 40,4 Prozent geholt, die Alternative Liste hatte mit 5,0 knapp die Fünfprozenthürde geschafft.
Wie sich die Zeiten geändert haben. Auch auf Bundes- und Bezirksebene stehen die Grünen inzwischen gut da. Einer der Bundestagswahlkreise, die im September grün werden könnten, ist Mitte. Für den Bundestag kandidiert für die Grünen Hanna Steinmüller gegen die Berliner Juso-Vorsitzende Annika Klose. 2017 hatte Eva Högl (SPD) den Wahlkreis knapp gewonnen. Nun liegen den Prognosen zufolge die Grünen vorne. Steinmüller hatte sich parteiintern gegen den grünen Bundestagsabgeordneten Özcan Mutlu durchgesetzt.
Im Bezirk sind die Grünen schon vorne. Bürgermeister Stephan von Dassel tritt wieder an. Allerdings konnte er sich nur knapp mit 50,6 Prozent gegen seinen Herausforderer, den Fraktionschef in der BVV, Tilo Siewer, durchsetzen. Die SPD entscheidet im März, allerdings steht bereits fest, dass Baustadtrat Ephraim Gothe wieder antreten will. Die CDU geht mit Stadtrat Carsten Spallek ins Rennen.
In Pankow hat zuletzt Stefan Liebich (Linke) das Direktmandat für den Bundestag geholt. Liebich tritt nun nicht mehr an, stattdessen hat die Linke Udo Wolf aufgestellt. Der muss sich gegen den Grünen Stefan Gelbhaar behaupten. Gut möglich, dass die Gentrifizierung die Ampel im Bezirk auf Grün schaltet.
Gilt das auch für die Bezirkspolitik? Dort hatten die Grünen 2016 mit Vollrad Kuhn einen Kandidaten aufgestellt, der nicht einmal als Stadtrat dem Amt gewachsen war. Nun soll am 6. März ein neuer her, am 23. Februar stellen sich die KandidatInnen vor. Möglicherweise hat der bisherige Bürgermeister Sören Benn (Linke) eine Chance auf eine Wiederwahl. Mit seiner pragmatischen und zugleich frechen Art hat er sich Sympathien weit über seine Partei hinaus erworben. Über die Liste der Linken entscheidet eine Versammlung am 20. Februar.
Weniger spannend dürfte es in Lichtenberg zugehen. Bereits Anfang Februar hat die Lichtenberger Linkspartei die bisherige Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch erneut als Direktkandidatin für die Bundestagswahl nominiert. Als Bürgermeisterkandidat wurde Amtsinhaber Michael Grunst (Linke) ebenfalls einstimmig nominiert. Es gilt als wahrscheinlich, dass beide im Amt bleiben.
In Treptow-Köpenick soll auch alles beim Alten bleiben. Gregor Gysi will für die Linke wieder in den Bundestag. Oliver Igel (SPD) will Bezirksbürgermeister bleiben.
In Steglitz-Zehlendorf will Thomas Heilmann (CDU) erneut in den Bundestag ziehen. Seine Herausforderin ist die grüne Landesvorsitzende Nina Stahr, die als Abgeordnete ihr Parteiamt aufgeben müsste. Für die SPD kandidiert der Kreisvorsitzende Ruppert Stüwe.
Auf Bezirksebene will CDU-Bezirksbürgermeisterin Cerstin Richter-Kotowski wieder antreten. Ihre Herausforderin für die SPD könnte Gesundheitsstadträtin Carolina Böhm sein.
Einigen Wirbel hat es um die Kampfkandidatur von Sawsan Chebli gegen Michael Müller gegeben. Seit einer Mitgliederbefragung ist klar, dass Müller in Charlottenburg-Wilmersdorf antritt, um in den Bundestag zu ziehen. Er dürfte es aber gegen seinen CDU-Kontrahenten Klaus-Dieter Gröhler schwer haben.
Im Bezirk will Heike Schmitt-Schmelz (SPD) Bürgermeister Reinhard Naumann beerben. Die CDU geht mit Judith Stückler, der stellvertretenden BVV-Vorsitzenden, ins Rennen.
In Reinickendorf, wo Frank Steffel, 2001 erfolgloser CDU-Spitzenkandidat bei der Abgeordnetenhauswahl, seit 2009 den Bundestagswahlkreis beherrschte, gibt es in jedem Fall einen neuen Wahlsieger. Die örtliche CDU, 18 Jahre von Steffel angeführt, entzog ihm den Rückhalt und lud die Kulturstaatsministerin und Ex-CDU-Landesvorsitzende Monika Grütters ein, diesen sicheren Wahlkreis zu übernehmen. Die nahm an und verärgerte damit ihre Parteifreunde in Marzahn-Hellersdorf, wo sie zuvor vier Mal Kandidatin war.
Im Rathaus hört Bezirksbürgermeister Frank Balzer (CDU) auf und will ins Abgeordnetenhaus. Ihn soll Michael Wegner beerben.
Und in Neukölln tritt Hakan Demir bei der Bundestagswahl als Kandidat der SPD an. Demir setzte sich bei einer Mitgliederbefragung gegen Tim Renner durch, der Wunschkandidat der SPD-Landesvorsitzenden und Berliner Spitzenkandidatin Franziska Giffey und des Neuköllner Bezirksbürgermeisters Martin Hikel war. Hikel tritt im Bezirk erneut an. Für die CDU geht Falko Liecke ins Rennen, für die Grünen wohl Jochen Biedermann. (wera, sta)
Das direkte Duell ist 2021 das gleiche wie vor vier Jahren: Bayram tritt erneut gegen Pascal Meiser an, wieder ohne Absicherung auf der Landesliste. Sie weiß also, dass sie um jede Stimme kämpfen muss. Die 55-Jährige setzt dabei auf klassische Kreuzberger Tugenden und Traditionen: „Mit mir wird unser Wahlkreis weiterhin eine streitbare und unabhängige Stimme im Bundestag haben, wie mit meinem Vorgänger Christian Ströbele“, sagte sie der taz. Sie wolle sich vor Ort für die großen politischen Themen einsetzen, etwa nachhaltigen Klimaschutz, die Stärkung der Rechte von Mieter*innen und die Beendigung von Kriegen und den Schutz von Freiheits- und Bürger*innenrechten einzufordern.
Bayram ist es mit ihren selbst für viele Grüne bisweilen zu radikalen Positionen und der damit einhergehenden Medienpräsenz gelungen, deutlich bekannter zu werden als noch 2017. Allerdings teilen längst nicht alle potenziellen Grünenwähler*innen im Bezirk ihre Ansichten.
Der Linkenkandidat Pascal Meiser, 2017 über die Landesliste in den Bundestag eingezogen, gilt als profilierter Vertreter der Gewerkschaften im Parlament. Er steht eher für bundespolitische Themen. Präsent vor Ort ist er als Bezirksvorsitzender seiner Partei – eine Position, die der 45-Jährige seit 2013 innehat.
Bayram wie Meiser stehen für eine jeweils geradezu klassische Klientel ihrer Partei. Inwieweit das bei dieser Wahl zieht, wird entscheidend sein, vor allem für die Grünen.
Denn der Bezirk wandelt sich. Während jahrzehntelang Mittelschichtfamilien ihn eher verlassen haben, ziehen jetzt sogar welche hinzu – und verändern damit die Ansprüche an die Politik.
Die scheidende Bürgermeisterin Monika Herrmann hat dem Rechnung getragen, indem sie immer mal wieder auch Sicherheitsaspekte betonte, für die eine stärkere Polizeipräsenz nötig sei – was wiederum einige Urgrüne auf eine harte Probe stellt.
Ihre designierte Nachfolgerin, die mit ihr nicht verwandte oder verschwägerte 35-jährige Clara Herrmann, bisher als Stadträtin unter anderem zuständig für Finanzen, setzt auf ein Weiter-so: „Ich sehe nicht, dass wir einen grundsätzlichen Kurswechsel brauchen“, sagte sie der taz vor wenigen Tagen.
Ob das reichen wird, damit die Grünen erneut wieder drei der fünf Stadträte im Bezirk einschließlich Bürgermeisterin stellen? (Bert Schulz)
Tempelhof-Schöneberg: Kühnert, Künast und Luczak im Dreikampf
Es gibt in diesem Bundestagswahlkampf eine ganze Reihe interessanter bis spannender Duelle – aber ein echtes Triell, einen Dreikampf von Bewerbern mit ähnlich guten Chancen, hat nur Tempelhof-Schöneberg zu bieten.
Jan-Marco Luczak von der CDU geht zwar mit leichten Vorteilen in das Rennen, immerhin hat er den Wahlkreis ja auch schon dreimal gewonnen, 2009, 2013 und 2017. Aber Renate Künast von den Grünen, in all diesen Jahren unter den Geschlagenen, dürfte diesen September bei der Wahl angesichts des Hochs ihrer Partei besser denn je abschneiden. Und Kevin Kühnerts SPD schwächelt zwar weiter, doch der langjährige Juso-Bundeschef und stellvertretende SPD-Vorsitzende könnte mit seinem bundesweit bekannten Gesicht unabhängig von seiner Partei punkten.
Der Wahlkreis Tempelhof-Schöneberg, das war, bevor CDU-Mann Luczak 2009 erstmals antrat, elf Jahre lang tiefrotes Gebiet und fest in SPD-Hand – nicht nur, weil ein attraktives Wohngebiet des Bezirks zwischen den Gleis-Strängen der S 1 und der S 25 „Rote Insel“ heißt. Drei Mal in Folge siegten ab 1998 SPD-Bewerber, zudem sind die Sozialdemokraten seit 2001 durchweg die führende Kraft im Rathaus des Bezirks.
Dass Luczak den Sozialdemokraten den Wahlkreis trotzdem abnehmen konnte, kam umso überraschender, als der CDU-Mann noch in keinem anderen Parlament gesessen hatte, weder in der Bezirksverordnetenversammlung noch im Abgeordnetenhaus, für das er 2006 vergeblich kandidiert hatte. Zehn Prozentpunkte Vorsprung hatte er bei der letzten Wahl 2017 auf Künast, knapp sechs auf die damalige SPD-Bewerberin Mechthild Rawert.
Aber damals schnitten die Grünen eben bundesweit enttäuschend ab und kamen nur auf 8,9 Prozent – aktuell liegt Künasts Partei bundesweit in Umfragen zwischen 17 und 21 Prozent und in Berlin auf Augenhöhe mit der CDU. Künast, mit 65 die bei weitem Älteste und als Ex-Ministerin und Ex-Spitzenkandidatin die Erfahrenste der drei, zog bislang stets über die Grünen-Landesliste in den Bundestag ein. Sie hat sich nach teils herben Niederlagen auf Landes- und Bundesebene auf den Hinterbänken ihrer Bundestagsfraktion halten können.
SPD-Kandidat Kühnert bescherte es schon im Herbst Schlagzeilen, dass in diesem Wahlkreis nicht Berlins Noch-Regierungschef Michael Müller kandidiert, der hier seit 2001 direkt ins Abgeordnetenhaus gewählt wurde. Müller tritt stattdessen in Charlottenburg-Wilmersdorf an. Für manche ist Kühnert so „der Mann, der Michael Müller verdrängte“.
Luczak hat sich in seinen drei Wahlperioden im Bundestag als Rechtspolitiker und vor allem Mietrechtsexperte etablieren können und ist eine führende Kraft bei der Verfassungsklage der Christdemokraten gegen den Mietendeckel. Da das Karlsruher Urteil noch für die erste Jahreshälfte angekündigt und eng an Luczak geknüpft ist, könnte es zusammen mit der Debatte über Wohnungsenteignungen in großem Stil auch im Tempelhof-Schöneberger Triell ein bestimmendes Thema werden. (Stefan Alberti)
Marzahn-Hellersdorf: Die Linke muss punkten
Für die Linke könnte es in Marzahn-Hellersdorf um alles gehen. Sollte sie bei den Bundestagswahlen an der Fünfprozenthürde scheitern, braucht sie drei Direktmandate, um dennoch in Fraktionsstärke ins Parlament zu kommen. Derzeit liegt die Partei bundesweit bei Umfragen bei nicht eben komfortablen 6 Prozent.
Neben Lichtenberg und Treptow-Köpenick soll dabei ein weiteres Mandat eben aus Marzahn-Hellersdorf kommen. Das für Petra Pau, das sie seit 2002 innehat, galt bisher auch als eine sichere Bank. Die Bundestagsvizepräsidentin ist beliebt und kommunal fest verankert. „Meine Pro-Themen bleiben BürgerInnenrechte und Demokratie, meine Kontra-Themen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus“, sagt sie der taz. Doch dieses Jahr bekommt sie mit dem CDU-Mann Mario Czaja starke Konkurrenz. Auch Czaja pflegt seinen Wahlkreis und wirbt mit seiner Ostidentität, sonst eher eine Spezialität der Linken. Bei vorangegangenen Wahlen zum Abgeordnetenhaus, wo Czaja derzeit sitzt, räumte er bei den Erststimmen locker doppelt so viele Stimmen ab, wie die CDU in dem Bezirk, nicht gerade ihre Hochburg, Zweitstimmen erhielt. Wobei Czaja sich stärker um die Themen in den Eigenheimsiedlungen in Mahlsdorf und Kaulsdorf kümmert, wo seine Familie seit Generationen wohnt, während Pau stärker in den Plattenbausiedlungen verankert ist.
Auch auf den Rathaussessel im Bezirk hat die Linke die besten Karten. Sie nominierte ohne Gegenkandidatur Kulturstadträtin Juliane Witt. Die will die bisherige Bürgermeisterin Dagmar Pohle, ebenfalls Linke, ablösen, die mit 67 Jahren in den Ruhestand geht. Witt ist ein ganz anderer Politikerinnentyp als die Amtsinhaberin: Zugewandt, modern und nicht bemüht, Probleme um des Images des Bezirkes willen klein zu reden.
Ein Selbstläufer wird ihre Wahl allerdings nicht, denn bei den letzten Wahlen 2016 verteidigten die Linken nur hauchdünn den Status der stärksten Partei im Bezirksparlament. Nicht gegen die CDU, sondern gegen die AfD, die andernfalls ein Vorschlagsrecht für den Bezirksbürgermeister gehabt hätte. So musste sich deren Mann Thomas Braun mit dem Posten des stellvertretenden Bürgermeisters begnügen. Dort blieb er blass. Jetzt bewirbt sich der 64-Jährige um das Bundestagsmandat, wo er wohl chancenlos bleibt.
Als AfD-Spitzenkandidatin für die Bezirkswahlen wurde einem Parteiaussteiger zufolge Jeannette Auricht aufgestellt, die aktuell im Abgeordnetenhaus sitzt. Sie bewirbt sich allerdings auch wieder um ein Direktmandat für das Abgeordnetenhaus, sichert sich nach allen Seiten ab. Am Ende wird sie nur einen Job antreten können.
Doch wenn das Abgeordnetenhaus im April ein neues Kommunalgesetz beschließt, nach dem es in Zukunft nicht fünf, sondern sechs Stadträte pro Bezirk gibt, dann wird in Marzahn-Hellersdorf die AfD wohl zwei Stadtratsposten besetzen können. Auch wenn interne Streitigkeiten dazu führten, dass ihre mal mit 15 Verordneten besetzte Fraktion derzeit auf 10 Personen geschrumpft ist. (Marina Mai)
Spandau: CDU diverser aufgestellt
In Spandau wird in diesem Jahr politisch vieles anders. Nicht bloß in der Bezirkspolitik, wo die SPD ab Herbst ohne den bisherigen Bürgermeister auskommen muss, oder auf Landesebene, wo ihr Fraktionschef Raed Saleh jüngst den langjährigen Parlamentarier und äußerst versierten Umweltpolitiker Daniel Buchholz um eine erneute Abgeordnetenhaus-Kandidatur brachte. Nein, die gravierendste Veränderung spielt sich bei der Bundestagswahl ab.
Fünf Mal hintereinander – und damit einmalig in Berlin – haben sich im Spandauer Wahlkreis, zu dem auch Charlottenburg-Nord gehört, der SPD-Politiker Swen Schulz und der CDU-Mann Kai Wegner duelliert. Am Ende stand es 3:2 für Schulz, der auch 2017 direkt in den Bundestag gewählt wurde. In diesem Jahr aber wird keiner von beiden mehr antreten. Eine Altersfrage ist das nicht – Schulz ist 52, Wegner sogar erst 48. Doch Schulz kündigte bereits 2018 an, nicht erneut anzutreten und seiner Familie mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Und Wegner, in der laufenden Wahlperiode zum CDU-Landeschef aufgestiegen, tritt bei der ebenfalls am 26. September anstehenden Abgeordnetenhauswahl als CDU-Spitzenkandidat an und will danach Regierender Bürgermeister werden.
Bei der Nachfolge sorgte Wegner, der nicht nur Landesvorsitzender, sondern auch Kreischef der Spandauer CDU ist, für eine Überraschung: Er schlug den schwarzen Musikmanager Joe Chialo vor, die Spandauer CDU folgte ihm einstimmig. Chialo, der 1970 in Bonn als Sohn einer tansanischen Diplomatenfamilie geboren wurde, wäre der erste Berliner Bundestagsabgeordnete mit afrikanischen Wurzeln und würde dort auch die CDU/CSU-Fraktion wieder diverser machen: Ihr gehörte von 2013 bis 2017 der afrodeutsche frühere Schauspieler Charles M. Huber an, der bis in die späten 90er Jahre in der populären Krimiserie „Der Alte“ mitspielte. Aktuell sitzt nur in der SPD-Fraktion ein Schwarzer.
Chialo, der erst 2016 in die CDU eintrat und seither dem Vorstand eines Ortsvereins in Mitte angehört, hatte noch im Herbst angekündigt, in diesem Bezirk anzutreten, wo er allerdings parteiintern eine Mitbewerberin gehabt hätte. Der Wechsel nach Spandau dürfte seine Chancen auf ein Bundestagsmandat erhöhen: Im Wahlkreis Mitte gelten Grüne und SPD als klare Favoritinnen auf den Sieg.
Viel leichter wird es allerdings auch in Spandau nicht: Die SPD setzt als Nachfolger von Schulz auf ein dort sehr bekanntes Gesicht, den Noch-Bürgermeister Helmut Kleebank. Chialo könnte manchem Spandauer aber auf ganz andere Weise vom Fernsehbildschirm bekannt sein: Er saß 2019 in der fünfköpfigen deutschen Jury des European Song Contest, kurz ESC. (Stefan Alberti)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“