Clara Herrmann über ihre Kandidatur: „Die Zukunft liegt vor der Haustür“

Im September will die grüne Umweltstadträtin Bezirksbürgermeisterin in Friedrichshain-Kreuzberg werden. Sie sei Mannschaftsspielerin, betont sie.

Man sieht das Porträt von Clara Herrmann

Clara Herrmann vor dem Anhalter Bahnhof, wo das Exilmuseum entstehen soll Foto: DAVIDS/Darmer

taz: Clara Herrmann, Sie wollen bei der Wahl im September als grüne Bürgermeisterkandidatin antreten und Monika Herrmann beerben. Warum?

Clara Herrmann: Warum nicht? Mir macht die Arbeit als Stadträtin in Friedrichshain-Kreuzberg sehr große Freude. Da erlebe ich auch jeden Tag unmittelbar, wie Kommunalpolitik wirkt und was wir alles Gutes bewirken können. Friedrichshain-Kreuzberg ist ein ganz besonderer Bezirk mit dieser Mischung aus Herausforderungen und Highlights. Ich will hier gerne weiter Verantwortung tragen.

Haben Sie lange gebraucht, darüber nachzudenken?

Ja, schon. Das ist keine Entscheidung, die man aus dem Bauch heraus trifft. Die vielen positiven Rückmeldungen auf meine Arbeit haben es mir am Ende leicht gemacht.

wurde 1985 in Berlin geboren und studierte Geografie an der Humboldt-Universität. Mit 21 Jahren zog sie 2006 als jüngste Abgeordnete ins Abgeordnetenhaus ein, wo sie unter anderem im Hauptausschuss war. Seit 2016 ist sie grüne Stadträtin für Finanzen, Umwelt und Kultur in Friedrichshain-Kreuzberg.

Was hätte dagegen gesprochen?

Mit den vielen Abendsitzungen, und auch das Wochenende bleibt ja nicht oft frei von Terminen, ist das nicht gerade ein familienfreundlicher Job.

Sie stehen auch ganz anders im Rampenlicht.

Nach zehn Jahren Abgeordnetenhaus und fünf Jahren als Stadträtin für Finanzen, Umwelt und Kultur habe ich meine Erfahrungen damit, sodass ich da jetzt keine Befürchtungen habe.

Rechnen Sie damit, dass auch andere ihren Hut in den Ring werfen?

Bisher ist mir das von niemandem bekannt. Aber es wäre nicht angebracht, das auszuschließen. Wir sind eine basisdemokratische Partei.

Wie ist das Prozedere? Am Dienstagabend haben Sie Ihre Kandidatur bei der Bezirksgruppe der Grünen in Friedrichshain-Kreuzberg bekannt gegeben. Welche Schritte braucht es, um auf Platz eins der Bezirksliste für die Wahl zur Bezirksverordnetenversammlung zu stehen?

Bei uns in der Partei entscheiden die Mitglieder. Die Bezirksgruppe wird bis Ende Februar das Bezirkswahlprogramm abstimmen und eine Spitzenkandidatin oder einen Spitzenkandidaten nominieren. Im April wird dann die Liste für das Bezirksparlament aufgestellt.

Monika Herrmann hatte in einem Interview in der taz gesagt, dass es bereits klar sei, dass Platz eins von einer Frau besetzt wird. Wäre aber nicht Florian Schmidt, der Baustadtrat, aufgrund seiner Bekanntheit der aussichtsreichere Kandidat gewesen?

Ich hoffe, dass meine Erfahrung als Stadträtin, meine erfolgreiche Arbeit und auch meine zehn Jahre Arbeit im Abgeordnetenhaus für mich sprechen. Bei den Grünen mussten sich Frauen zum Glück noch nie dafür entschuldigen, wenn sie einen Spitzenplatz beanspruchten. Ich würde mich aber freuen, wenn ich auch weiterhin mit meinem Kollegen Florian Schmidt zusammenarbeiten könnte. Ich kandidiere als Mannschaftsspielerin und nicht als Solokünstlerin.

Die Zusammenarbeit mit Florian Schmidt war auch für Monika Herrmann nicht immer ganz einfach. Manchmal musste sie ihn an die kurze Leine nehmen. Gehört das dann zum Mannschaftsspiel auch dazu?

Florian Schmidt und ich arbeiten sehr gut zusammen. Das würde ich gerne, wenn auch in anderen Rollen, fortsetzen.

Was ist Ihre Bilanz als Stadträtin?

Ich will mich jetzt nicht selber loben. Wir haben als Grüne im Bezirk in den letzten Jahren viele positive Veränderungen angestoßen, und ich freue mich, wenn das wahrgenommen wird. Denken Sie nur an die Pop-up-Radwege, die Pop-up-Parks, die Rekommunalisierung von Wohnungen. Wir sind Kommune für biologische Vielfalt, haben die bezirklichen Kultureinrichtungen gestärkt und geben mehr Geld für die freie Kulturszene aus.

Und mit welchen politischen Schwerpunkten wollen Sie Ihre Kreuzberger Grünen und die Wählerinnen und Wähler im Herbst überzeugen?

Mit dem Superwahljahr 2021 werden die Weichen für eine nachhaltige und gerechte Zukunft gestellt. Das reicht von der Frage, ob wir die Klimakrise in den Griff bekommen, bis hin zu grundsätzlichen Gerechtigkeitsthemen. Das zeigt sich in Zeiten der Coronapandemie noch einmal deutlicher als bisher. All diese Richtungsfragen entscheiden sich vor der Haustür. Pop-up-Radwege oder Blechlawine, Pocketpark oder Ballermann, Mieterinnenschutz oder Spekulantenparadies, Diversity oder Einheitsbrei. Für den am dichtesten besiedelten Bezirk in Berlin ist es auch wichtig, wie sich der öffentliche Raum und die Freiräume entwickeln.

Ihr Amtsantritt könnte in eine Zeit fallen, in der die öffentlichen Kassen nach der Pandemie leer sind.

Für mich ist ganz wichtig, dass die Bezirke nicht das Sparschwein einer falschen Politik des Landes oder des Bundes werden. Im Gegenteil: Wir brauchen jetzt gestärkte Kommunen mit einer starken Verwaltung. Vom Gesundheitsamt über die Bibliotheken bis zum Jugendzentrum. Die kommunale Ebene ist das Fundament unserer demokratischen Gesellschaft. Vielleicht braucht es gerade jetzt eine Finanzerin als Bürgermeisterin.

Die Grünen in Friedrichshain-Kreuzberg gelten ja als besonders prinzipientreu, manche sagen auch ideologisch. Zuletzt wollten sie die Bundeswehr nicht bei der Unterstützung der Nachverfolgung von Infektionsketten haben. Hätten Sie sich für diese Unterstützung entschieden?

Am Ende haben wir uns für die Unterstützung der Bundeswehr entschieden. Und das sehr pragmatisch. Die Frage war, ob unsere Verwaltung Amtshilfe braucht oder nicht. Am Anfang ging es ohne. Und als es nicht mehr ging, haben wir das Angebot der medizinischen Unterstützung angenommen.

Dann war es am Ende doch aber nur ein symbolischer Akt, um zu zeigen: Hey, wir sind hier immer noch das kleine gallische Dorf.

Nein, es war eine ganz pragmatische Entscheidung, die wir getroffen haben.

War es auch pragmatisch, zu sagen: „Wir wollen die Bundeswehr nicht“?

Als es ohne Amtshilfe ging, war es zu diesem Zeitpunkt die richtige Entscheidung.

Sie sind 35 Jahre alt. Werden die Grünen mit Ihnen nicht nur jünger, sondern auch pragmatischer?

Die Grünen übernehmen im Bezirk mit seinen 290.000 Einwohnerinnen und Einwohnern schon lange Verantwortung. Wir treffen jeden Tag pragmatische, um nicht zu sagen: sogar realpolitische Entscheidungen. Ich halte den Ideologieverdacht gegen uns mit Verlaub für ziemlich ideologisch motiviert. Die Grünen in Xhain machen Politik mit einer klaren Haltung.

Also folgt Clara Herrmann Monika Herrmann mit einem „Weiter so“?

Ich sehe nicht, dass wir einen grundsätzlichen Kurswechsel brauchen. Aber natürlich ist eine Clara Herrmann nicht eine Monika Herrmann. Was sicher anders sein wird: Ich möchte auch weiterhin für die Finanzen im Bezirk zuständig sein. Das war die bisherige Bürgermeisterin nicht.

Also mehr Macht.

Das hat eher mit meiner fachpolitischen Geschichte zu tun. Ich habe schon im Abgeordnetenhaus Finanzpolitik gemacht. Das ist mein Steckenpferd. Natürlich sind die Finanzen das Fundament der Politik. Aber ebenso klar ist: Das Bezirksamt ist und bleibt ein Kollegialorgan.

Wie stark sind die Grünen im Bezirk noch? Bei der letzten Bundestagswahl konnte Canan Bayram nur knapp das grüne Direktmandat gegen die Linke verteidigen.

Es wäre arrogant, anzunehmen, dass wir einfach so gewählt werden. Wir müssen klarmachen, dass es echten ­Klimaschutz, eine konsequente Verkehrswende, eine gemeinwohlorientierte Wohnungspolitik, eine vielfältige Kulturlandschaft und eine offene Gesellschaft nur mit uns gibt.

Monika Herrmann hat beklagt, dass der politische Konflikt manchmal sogar in den privaten Raum reicht, etwa bei Schmierereien im Hausflur.

Politikerinnen und Politiker sind leider immer wieder im F­okus von persönlichen Angriffen. Man darf sich davon nicht unterkriegen lassen.

Fürchten Sie Angriffe eher von links oder von rechts?

Ich fürchte mich gar nicht. Ich hoffe darauf, dass wir in Friedrichshain-Kreuzberg auch an die schönen Dinge weiterhin ­anknüpfen, die uns alle ver­binden. Wenn es die Zeiten zulassen, werden wir auch wieder unseren Anspruch auf öffentlichen Diskurs und Beteiligung stärker mit Leben füllen können.

Sie sind Stadträtin in einem Bezirk, in dem die SPD hinter Grünen und Linken liegt. Gut möglich, dass das bei den Abgeordnetenhauswahlen ebenso sein wird. Welchen Rat geben Sie Bettina Jarasch für den Umgang mit einer SPD, die nicht mehr stärkste Partei ist?

Bettina Jarasch ist eine erfahrene Politikerin, die braucht von mir keine Ratschläge. Wir beide wollen Bürgermeisterin werden. Vielleicht kann aber die SPD etwas von ihren Genossinnen und Genossen in Friedrichshain-Kreuzberg lernen. Man kann auch mitgestalten, wenn man nicht die erste Geige spielt. Immer vorausgesetzt, es kommt einem auf die Inhalte an.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.