Horst Seehofer in Russland: Gesundes Grundvertrauen
Bayerns Ministerpräsident ist offensichtlich mit seinem Moskau-Besuch zufrieden – allen Lügen von Präsident Wladimir Putin zum Trotz.
Das wird er auch. Ohnehin hatte der CSU-Chef vor, im Herbst mit einer großen Delegation aus Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur in Moskau wieder vorzusprechen. Er sei Realpolitiker und suche den Dialog, sagte Seehofer. Ohne Grundvertrauen in die Aufrichtigkeit des Gegenübers könne kein Politiker erfolgreich sein.
Dem lässt sich nicht widersprechen. Seehofer gab zu verstehen, dass er den Eindruck hatte, auch Präsident Wladimir Putin teile diese Auffassung. Die mannigfachen Vertrauensbrüche, Unwahrheiten und Betrügereien, die Putin im Ukrainekrieg und bei der Krimannexion zu verantworten hat, schlugen bei der Bewertung des Präsidenten nun nicht mehr zu Buche. Auch jene Lügen nicht, die der Kremlchef selbst als solche enttarnte.
Die Vorleistung an gutem Willen aus Bayern ist immens. Vielleicht trug auch die angenehme Atmosphäre dazu bei, auf die sich russische Gastgeber blendend verstehen, wenn sie den Besucher betören wollen. Weiße Magie nennen die Russen diese Dienstfertigkeit, auf die schon seit Jahrhunderten vor allem Deutsche immer wieder hereinfallen.
Eine Heldentat
Doch wie soll der Ministerpräsident reagieren, wenn ihn der Moskauer Bürgermeister Sergej Sobjanin mit den Worten preist: „Herr Seehofer, Sie haben eine Heldentat vollbracht!“ Gemeint war die Reise nach Moskau trotz heftiger Kritik in Deutschland.
Seehofer verteidigt seine Position. Er hätte sich in seinem langen Politikerleben nie instrumentalisieren lassen, nicht mal von der eigenen Partei. Vielleicht ist der Geheimdienstmann Putin beim Manipulation doch etwas geschickter als die bayrische Provinz.
Mit Blick auf die Sanktionen, auf deren Lockerung das schwächelnde Moskau zielt, wiederholte der Ministerpräsident sein Credo, dass er von Sanktionen nichts halte. Er sei von vornherein skeptisch gewesen. Dennoch liessen sich Sanktionen auch nicht von heute auf morgen einfach wieder aufheben, meinte er.
Ob er diesen Zeitpunkt vielleicht schon im zweiten Halbjahr für gekommen halte, wollte er nicht sagen. Doch Edmund Stoiber, der ihn begleitete, wies auf die Unzufriedenheit anderer Europäer hin, die eine größere Diskussion vor der Verlängerung der Maßnahmen im Juni anstoßen würden.
Ausgewogene Position zu Syrien
Wie gut Wladimir Putin informiert war, rief Erstaunen bei den Besuchern hervor. Zur Lage in Syrien habe der Präsident eine sehr detaillierte und ausgewogene Position eingenommen. Dass syrische Angriffe mit russischer Unterstützung in den letzten Tagen neue Fluchtwellen aus Syrien verursachen, dazu wollte oder konnte Seehofer nichts sagen.
Es schien, als hätte vor allem der Kremlchef die Gelegenheit genutzt, den Gästen seine Sicht der Welt auszubreiten. Auch das gehört selbstverständlich zum ehrlichen Gespräch.
Auch in der Ukrainefrage waren die beiden vom Kenntnisreichtum des Kremlchefs angetan. Dass dieser vorgibt, weder militärisch noch auf andere Weise beteiligt zu sein, hätte zumindest nachdenklich stimmen müssen. Seehofer hält nach außen hin zu beiden Parteien gleiche Distanz. Da er die Frage nach dem Verursacher vermeidet, schlägt er sich jedoch auf Moskaus Seite.
Für Irritationen sorgte Seehofers Einlassung zu Wladimir Putins Umgang mit der Flüchtlingspolitik in Deutschland. Putins Haltung sei sehr „nobel“ sagte Seehofer. „Ich mische mich nicht in eure Flüchtlingspolitik ein“, zitierte er den Kremlchef. Putin hätte klare Vorstellungen zu dieser Politik, achte aber die „nationale Souveränität“. Da scheint sich der Ministerpräsident nach den Propagandaattacken aus Russland in den letzten Wochen aber wirklich zu täuschen.
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