Homosexueller Politiker in BaWü: Sichtbar schwul– und das in der CDU
Auf seiner Schule gab es keine Homos: Der Stuttgarter CDU-Bundestagsabgeordnete Kaufmann ist schwul und kämpft für eine Kultur sexueller Vielfalt.
Ein älteres Mann-Frau-Paar saß in der Stadtbahn und starrte den Lebenspartner des Bundestagsabgeordneten Stefan Kaufmann an. Offenbar erkannten sie ihn, weil er als „schwuler Partner“ im Regionalfernsehen zu sehen war. Das Paar war von der Sorte, die man in Stuttgart „gut situiert“ und „bürgerlich“ nennt. Nach zwei Minuten Starren sagte der Mann kopfschüttelnd zur Frau: „Dass so was hier überhaupt mitfahren darf.“
Da sieht man es: Zu Schulzeiten dieser Best-Ager gab es im Lehrplan nicht den Auftrag, Baden-Württemberger mit unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten (Heteros, Lesben, Schwule, Transgender, Bi-, Trans- und Intersexuelle) bekannt zu machen, so dass sie auch im Jahr 2014 noch alles erschreckt, was nicht heterosexuell ist.
Höchste Zeit also, darüber in der Schule zu sprechen? Ja, sagt Stefan Kaufmann. „Weil es wichtig ist, frühzeitig darüber aufzuklären, dass es andere Formen von Sexualität neben der Heterosexualität gibt, und dadurch Akzeptanz schafft. Damit die, die selbst schwul und lesbisch sind, offen in der Schule damit umgehen können.“
Kaufmann hat gerade eine Wahlkreisgruppe durch den Bundestag geschleust und ist nun in eines der Cafés am Berliner Bahnhof Friedrichstraße gekommen. Er hat volles, schwarzes Haar, trägt eine schwarze Brille, ist 44, sieht aber jünger aus. Jurist. Typ: knitzer Schwabe. Auf Hochdeutsch: mit allen Wassern gewaschen.
Coming-out mit 30
Kaufmann war der erste offen homosexuelle Bundestagsabgeordnete der CDU. Vor Jens Spahn. Aber er musste erst mal 30 werden, bevor er sich überhaupt outete. Auf seinem Stuttgarter Gymnasium gab es nichts jenseits der Heterosexualität. Genauer gesagt: Es gab kein Klima, in dem man zu sich und seiner Lebenswirklichkeit hätte stehen können. Folge: Er verdrängte seine Sexualität. War Schülersprecher und fand erst lange nach dem Abitur heraus, dass einige andere in der SMV auch homosexuell waren. „Bezeichnend“, nennt er das.
Chinas berühmtester Künstler darf sein Land nicht verlassen, aber seine Kunst reist um die Welt. Wie Ai Weiwei die taz-Titelseite gestaltet, sehen Sie in der taz.am wochenende vom 29./30. März 2014 . Außerdem: Welchen Wert hat das Geheimnis in Zeiten von NSA? Mit Geheimnis-Psychotest: Sind Sie eher Angela Merkel oder Hans-Peter Friedrich? Und: Wie ist die Lage in Zentralafrika, ein Jahr nachdem muslimische Rebellen die Macht übernommen haben? Ein Besuch in Bangui. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Diese Schule der Verdrängung und Tabuisierung ist heute noch Realität, und zwar nicht nur in Stuttgart, sondern auch in Berlin-Mitte. Das liegt nicht primär an rückständigen Evangelikalen und Erzkatholiken. Es liegt an Eltern, die ihre schwulen oder lesbischen Kinder nicht offen wertschätzen, sondern das generell verdrängen. Und es liegt daran, dass Schulen, Lehrer und Eltern, die sich für aufgeklärt halten, nicht aufgeklärt handeln. Sondern: gar nicht. Und damit die repressive Kultur des Verschweigens bewahren und fördern, in der kaum ein nicht heterosexueller Lehrer oder Schüler sichtbar sein will.
Da hilft kein Online-Click, sondern nur ein aktiver Beitrag zum Entstehen einer neuen und gelebten Kultur. Allein die Verankerung im Lehrplan löst das Problem nicht, und es zwingt auch niemanden zur Akzeptanz – es hilft aber denen, die darüber sprechen wollen und dadurch den Kindern die Chance geben, damit qualifiziert umgehen zu können.
Selbstverständlich braucht es zur Dynamisierung des Prozesses auch weitere direkt Betroffene, die vorangehen, auch wenn sie mit Nachteilen rechnen müssen. Wenn man Kaufmann in einer Talkshow zu dem Thema erlebt, merkt man: Er hat eine ganz andere Wirkung als ein bloßer Fachpolitiker. Weil er den scheinbar höheren Werten dienenden Erziehungs-, Moral- und Religionsdiskurs knallhart erdet, wenn er sagt: Du redest hier über mich, und ich empfinde deine Toleranz als verletzende Homophobie.
„Schützt unsere Kinder“
Für Kaufmann ist die vieldiskutierte Online-Petition gegen sexuelle Vielfalt im Unterricht doppelt schwierig, weil sie ihn nicht nur persönlich herabsetzt - sondern er im Gegensatz zu einem Grünen fürchten muss, dass er es mit den eigenen Wählern zu tun hat.
Was heißt fürchten? Er braucht nur seine Mails zu lesen, nachdem er im Fernsehen war oder bei einer Demo für die Akzeptanz sexueller Vielfalt. Als Kreisvorsitzender der Stuttgarter CDU. Sein Stellvertreter war derweil bei der Gegendemo „Schützt unsere Kinder“, bei der Plakate vor „Sex-Gehirnwäsche“ und „grünem Gesinnungsterrorismus“ warnten. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Peter Hauk, der gern Ministerpräsident würde, ließ diese Demonstranten ausdrücklich grüßen.
„Kritisch-konservative Kreise“ nennt Kaufmann den Parteiteil, der Gleichstellung als Bedrohung der klassischen Familie sieht. Der ernsthaft fürchtet, seine Kinder könnten zu Homos erzogen werden. Oder sonstige Bedenken und Ängste hat, die er rational genauso wenig begründen kann wie Kanzlerin Merkel die ihren gegen das Adoptionsrecht letzten September in einer berühmt gewordenen Wahlsendung.
Selbstverständlich kritisiert Kaufmann die grün-rote Bildungspolitik und den Bildungsplanentwurf als Ganzes. Das sei das eine, und da gäbe es genug zu verbessern. „Aber den Kampf gegen die Toleranzerziehung zum Markenzeichen der CDU zu machen, das halte ich für die falsche Strategie“, sagt er. Gern werde er gefragt, warum er überhaupt in der CDU sei, sagt Kaufmann.
Erstens: „Hilft ja nichts, wenn alle anderen so weit sind und die CDU nicht. Die CDU ist halt nun mal die deutlich stärkste Partei.“ Zweitens: Er ist nicht in die CDU eingetreten, weil er schwul ist, sondern obwohl er schwul ist. Vor allem aber: „Ich bin nicht nur schwul, ich mache nicht nur Gleichstellungspolitik, sondern habe auch andere Themen, bei denen ich bei der CDU richtig bin.“ Seine Fachgebiete sind Bildungs-, Forschungs- und Kulturpolitik.
Themen, bei denen Sie knallhart konservativ sind? Er lacht. „Es gibt auch Bereiche, in denen ich etwas konservativer bin.“ Man lerne aber sehr schnell, dass man als Schwuler mit der Gleichstellungsthematik für die öffentliche Berichterstattung attraktiver sei.
Koservativ-progressiv
Kaufmann hat in der Weltgrünenmetropole Stuttgart im Oktober den symbolisch wichtigsten Wahlkreis der Republik für die CDU verteidigt: Stuttgart 1. Gegen den Grünen-Vorsitzenden Cem Özdemir. Wer in Stuttgart-Mitte gewinnen will, der muss zum progressiven Flügel der Partei gehören. Ein offen nicht heterosexueller CDU-Politiker gilt in identitätspolitisch korrekten urbanen Milieus automatisch als progressiv. Heißt: Hier hilft es sogar.
Im siegreichen Wahlkampf 2009 hatte er noch etwas uncharmant gegen Özdemir geholzt. Er tue freundlich, sagte der Grünen-Chef, repräsentiere aber im Grunde die alte Landes-CDU. 2012 drückte er bei der verlorenen Stuttgarter OB-Wahl den parteilosen Werber Sebastian Turner als CDU-Kandidat durch – was ihm einige heute noch übel nehmen.
Linksliberale politische Beobachter vor Ort sagen, Kaufmann hänge halt sein Fähnchen nach dem jeweiligen Wind. Kaufmann sagt, er habe die Fähigkeit zur „Differenzierung“. Das kann man kritisieren, aber eben auch als wichtigste Eigenschaft eines Gegenwartspolitikers sehen. Beim Verkehrs- und Immobilienprojekt Stuttgart 21 war er jedenfalls immer klar dafür. Den davongejagten CDU-Ministerpräsidenten Mappus sah er immer kritisch.
Was immer konservativ heute bedeutet: Kaufmann ist sein Stuttgart wichtig, seine Familie – und der Segen der katholischen Kirche. Er war Ministrant, sein Lebenspartner war Ministrant, beide kommen aus gläubigem Elternhaus, die katholische Kirche ist wichtig für sie – und nun wollen sie den Segen ihrer Kirche. „Die Kirche segnet Panzer, Weizenfelder, Schulen. Warum nicht uns?“, sagte Kaufmann. Er fand eine Kirche, einen Pfarrer, bekam einen zustimmenden Gemeinderatsbeschluss – aber am Ende einen ablehnenden Brief vom zuständigen Diözesanbischof Gebhard Fürst. Und nun?
„Ich schreibe zurück und biete ein persönliches Gespräch an, dann soll er mir das persönlich erklären.“ Warum ist das wichtig für ihn? Kaufmann will, dass der Segen der katholischen Kirche offiziell über der Verbindung zweier Menschen ruht, die sich lieben und versprochen haben, bis zum Ende für einander da zu sein. „Wir sind bewusst in der Kirche“, sagt er. „Und es ist auch Politik, wenn ich den Bischof bitte, unsere Segnung zu genehmigen.“
Er ist als Homosexueller sichtbar. In der CDU. In der Kirche will er das auch sein. Und er will die Position der Kirche sichtbar machen. So oder so. Kaufmann weiß, dass es um Sichtbarkeit geht. Auch in der Schule. Gegen die Kultur des „Ja, das gibt es, aber bitte nicht in der Stadtbahn und bitte nicht darüber reden“.
„Abstruse“ Debatte
Sein Mitkatholik, der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann, hat sich am Donnerstag mit den pietistisch-evangelischen Kritikern getroffen, denen es vollauf reicht, dass es „das“ gibt. Kretschmann hatte zuvor Teile der Debatte ganz unpräsidial als „abstrus“ bezeichnet. Das ist fast noch vornehm formuliert. Das Ergebnis des dysfunktionalen Diskurses könnte verheerend sein. Wenn die grün-rote Bildungsreform, über die es einiges zu sagen gibt, von 2015 nach hinten verschoben würde, wie es im Raum steht, dann würde das in der Öffentlichkeit auf die Absage an die Akzeptanz verschiedener Lebenswirklichkeiten reduziert.
Das aber hieße, dass die baden-württembergische Gesellschaft im Gegensatz zu Stefan Kaufmann auf die Unsichtbarkeit von Nichtheteros in ihren Schulen besteht. Will man das Land so darstellen? Das für sich und seine Milieus zu klären, ist die Verantwortung von Ministerpräsident Kretschmann – und von CDU-Landeschef Thomas Strobl.
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