
Holger Friedrichs „Berliner Zeitung“: Der Systemsprenger
Die „Berliner Zeitung“ wird 80. Zum Geburtstag wächst intern der Unmut über den Verleger Holger Friedrich. Über die Abgründe eines Medienimperiums.
D er Saal des Berliner Babylon-Kinos ist am 26. Mai rappelvoll, als Matthias Oehme, Leiter der Eulenspiegel-Verlagsgruppe, Holger Friedrich und Egon Krenz vorstellt. Ersterer sei „Verleger einer Zeitung, die vielleicht mehr als andere dem Prinzip der Diskursivität verpflichtet ist“, ein „leidenschaftlicher Zeitungsmann“, letzterer ein „leidenschaftlicher Sozialist“. Viele der mehr als 700 Gäste unterbrechen die Vorstellungsrunde mit Applaus, wie ein Video des Abends zeigt. Oehme verspricht ihnen durch Holger Friedrichs Moderation des Bühnengesprächs etwas anderes „als die oft hochnotpeinlichen Verhöre, denen sich manchmal Egon Krenz stellen muss“.
So stellt Holger Friedrich sich gerne dar: als Verleger, der für die Meinungsfreiheit einstehe, der mit allen rede, der die DDR vor einer falschen Erinnerungspolitik verteidige. Einer, der mit seinen Titeln Berliner Zeitung, Berliner Kurier und seit Kurzem auch der neuen Weltbühneden öffentlichen Diskurs mit einer fehlenden Perspektive bereichere. Der mit dem Kauf des Verlags 2019 ein Stück ostdeutscher Geschichte vor der Bedeutungslosigkeit habe retten wollen, wie er es gegenüber dem Medienportal Kress formulierte. Er sei einer der „politikfernsten Verleger Deutschlands“, sagte er Radioeins, die Berliner Zeitung berichte „wertneutral“.
Friedrichs Kritiker – und davon gibt es viele – würden dieser Darstellung vehement widersprechen. Doch selbst sie würden eingestehen: Leidenschaftlich ist er auf alle Fälle. Sie sehen in ihm aber vor allem einen populistischen und russlandnahen Verleger, der auf Kuschelkurs mit Autokraten gehe und redaktionellen Einfluss aus persönlichen, geschäftlichen und politischen Gründen übe. Sie sagen: Friedrich habe die Berliner Zeitung zu einem Kampfblatt der Querfront entwickelt, das nicht der polarisierten Gesellschaft entgegenwirke, sondern die Spaltung selbst vorantreibe. Eine Zeitung, die die politischen Ränder bedient – vom BSW zur AfD. Eine, die Figuren wie Egon Krenz hofiert.
Anlass des Abends im Babylon-Kino ist die Vorstellung des dritten Memoirenbandes von Krenz. Er war 1989 für 50 Tage Nachfolger Erich Honeckers als SED-Generalsekretär und Staatsratsvorsitzender der DDR, wurde nach der Wende zu sechseinhalb Jahren Haft für die Mauertoten verurteilt. Für die Berliner Zeitung durfte er zahlreiche Gastbeiträge verfassen, seine Memoiren wurden dort vorab veröffentlicht. Auf der Bühne bedankt sich Friedrich bei ihm mehrmals, als sei er der eigentliche Held der Wende, weil er 1989 keinen Schießbefehl gab. „Danke, dass ihr das damals so entschieden habt“, sagt Friedrich, damals Soldat, „weil es war eine zivilisatorische Großtat“.
Nun feiert die Berliner Zeitung ihr 80. Jubiläum, eine Sonderausgabe zum Geburtstag erschien Ende Mai. Im selben Monat lancierte Friedrich ein Projekt, von dem die allermeisten im Verlag nichts wussten: Er legte Die Weltbühne neu auf. Ende Juni wurde der Berliner Verlag in den Kreis der Gesellschafter der dpa aufgenommen – Deutschlands führender Nachrichtenagentur, wie diese auf taz-Anfrage bestätigt.
Schwarze Zahlen und dunkle Wolken
Folgt man Friedrichs Darstellung, läuft fast sechs Jahre nach seiner Übernahme des Verlags alles nach Plan. Pünktlich zum Jubiläum vermeldet er, dass er aus einem Verlustgeschäft von 8 Millionen Euro pro Jahr ein profitables Blatt gemacht habe. 1,4 Millionen Euro Gewinn vor Zinsen und Steuern soll der Verlag 2024 erwirtschaftet haben – „ohne irgendwelche Buchungstricks“, sagte Friedrich Radioeins. „Dieses Jahr werden wir ein bisschen was über 2 Millionen schaffen.“
Doch zum Geburtstag seiner Zeitung ziehen auch dunkle Wolken auf. Nach dem Launch der Weltbühne hagelte es Kritik: Deborah Feldman zweifelte die jüdische Identität von Philipp Peyman Engel, Chefredakteur der Jüdischen Allgemeinen, fälschlicherweise an. Nicholas Jacobsohn, Enkel des jüdischen Gründers der Weltbühne, die von den Nazis verboten worden war, bezeichnete Friedrichs Neuauflage als „Diebstahl“.
Was will Holger Friedrich mit dem Verlag? Was treibt ihn um? Wie hat sich die Berliner Zeitung unter ihm entwickelt? Und läuft alles wirklich nach Plan?
Die taz hat mit knapp 20 ehemaligen und aktuellen Mitarbeiter*innen des Berliner Verlags gesprochen. Sie arbeiten oder arbeiteten in unterschiedlichen Abteilungen und Ressorts, auf unterschiedlichen Ebenen, manche seit vielen Jahren, einige waren Führungskräfte. Für alle, die den Verlag inzwischen verlassen haben, war seine Entwicklung unter Friedrich ein Grund. Alle wollen anonym bleiben. Einige sagen, sie hätten Angst vor Holger Friedrich.
Die taz hat auch Holger Friedrich um ein Interview gebeten, er hat sich im Mai und Juni dazu mehrfach bereit erklärt. Er bot unter anderem an, dass die taz ihn vom Flughafen in Berlin abholen könne. Den von ihm vorgeschlagenen Termin Ende Juni im Verlagshaus am Alexanderplatz sagte er wieder ab.
Die taz hätte in der Vergangenheit die mit Abstand unhöflichsten und unsachlichsten Texte über ihn und den Berliner Verlag veröffentlicht, schreibt er in einer E-Mail. Er unterstellt der taz, weder objektiv noch vollständig noch fair zu berichten. Friedrich erklärte sich danach trotzdem bereit, schriftliche Fragen der taz per E-Mail zu beantworten. Einen Fragenkatalog der taz ließ er jedoch bis heute unbeantwortet.
Neoliberale Disruption
Als Holger Friedrich und seine Ehefrau Silke im September 2019 den Berliner Verlag überraschend kauften, habe es zunächst Hoffnung gegeben, berichten einige. Er sei mit offenen Armen empfangen worden, weil er ambitioniert gewirkt habe. Kolleg*innen beschreiben ihn als locker und charismatisch. Journalistische Erfahrung hatte er nicht. Dafür hatte der Mann, heute 58 Jahre alt, seine Millionen mit dem Verkauf eines Techunternehmens an den SAP-Konzern gemacht, er war später Partner beim Beratungsriesen McKinsey.
Mit Friedrich zog eine Mischung aus Start-up-Geist und neoliberaler Disruption in die 1945 gegründete Zeitung. „Die bessere Idee gewinnt. Keine Hierarchien. Keine Autoritäten“ – so sagte Friedrich selbst es dem Spiegel damals zu seinem Antritt als Verleger. Das Ziel: Die „Transformation zu einem technologiebetriebenen Medienhaus“, wie es in Dokumenten des Verlags steht.
Friedrichs Vorbilder seien Menschen wie Elon Musk, Jeff Bezos oder Peter Thiel, sagen Kolleg*innen. Eine vergleicht Friedrichs Ideen mit denen von Musk und dessen Department of Government Efficiency, oder „DOGE“, das auf einen fanatischen Sparkurs in diversen US-Behörden zwecks „Produktivität“ ging.
Die Berliner Zeitung ist heute zweifelsohne eine andere: Friedrich habe den Verlag technologisch modernisiert, sagen einige. Es folgten ein Redesign der Zeitung und Webseite, ein Relaunch der Wochenendausgabe, eine kurzlebige englische Onlineausgabe, „Open Source“-Artikel, die von allen eingereicht werden können, und ein neues Redaktionssystem, das auch mobiles Arbeiten erleichtert.
Eine vergleichsweise gute Bezahlung lockt vor allem Nachwuchs-Journalist*innen an. Nach eigenen Angaben ist die Belegschaft heute im Schnitt elf Jahre jünger als vor Holger Friedrichs Kauf und kommt heute aus mehr als 20 Nationen. Ein ehemaliger Redakteur sagt der taz: „Er hat die Zeitung schon gerettet.“
Friedrich hat die Zeitung auch inhaltlich radikal umgebaut. Sie sei inzwischen ein „merkwürdiges Alternativmedium für Russlandfreunde, Impfgegner, Fans vom FC Union Berlin und die letzten Rammstein-Fans“, formuliert es ein ehemaliger Mitarbeiter. Es ist eine Beschreibung, die man oft hört.
Als er und seine Frau Silke Friedrich 2019 den Verlag übernahmen, veröffentlichten sie ein knapp 4000 Wörter langes Manifest voller Nostalgie und Rebellion, in dem sie etwa fragten, warum man 2001 die ausgestreckte Hand von Herrn Putin nicht ergriffen hätte. Silke Friedrich hat sich inzwischen aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, ihr Mann mit dem markanten Bart macht alleine weiter. Heute applaudiert er dem Zollkrieg und Sparkurs von Donald Trump, von dem Europa lernen müsste, wie er im April in einem Gastbeitrag für Die Welt argumentierte.
Zwischen Anerkennung und Rache
Mehrere Menschen, die mit ihm eng zusammengearbeitet haben, beschreiben Friedrich als libertären Kapitalisten. „Er denkt, dass das alte System so schlecht ist, dass nur Zerstörung helfen kann“, sagt eine Person. Eine andere sagt: „Seine Ambition ist, das System, so wie es ist, abzuschaffen.“
Viele sagen aber auch, dass man Friedrich besser psychologisch als politisch verstehen könne: Er sei gekränkt, habe einen Minderwertigkeitskomplex, wolle Anerkennung, sehe sich und die Ostdeutschen als Opfer der Geschichte – und sei schließlich von Rache getrieben. Er präsentiere sich – trotz inoffizieller Mitarbeit bei der Stasi, SED-Mitgliedschaft und NVA-Wehrdienst – als Verfolgter des DDR-Systems, nicht als Teil davon.
Auf der Bühne im Berliner Babylon-Kino mit Egon Krenz sagt Holger Friedrich, die Ostdeutschen sollen eigentlich den Friedensnobelpreis bekommen, weil sie die Wende gewaltfrei geschafft hätten. Stattdessen seien ostdeutsche Eliten nach 1990 sozial ausgegrenzt worden. „Sie wollen mitspielen bei der deutschen Elite“, sagt eine Person über das Multimillionär-Verlegerpaar – und sähen sich als Außenseiter, die ausgeschlossen und von der Medienbranche diskreditiert würden. Der Underdog-Mythos seines publizistischen Imperiums wirkt wie ein Teil des Geschäftsmodells.
Viele ehemalige und aktuelle Mitarbeiter*innen sehen in Friedrich keinen „leidenschaftlichen Zeitungsmann“. Sie sagen übereinstimmend und unabhängig voneinander: Friedrich verachte Journalist*innen und den Journalismus. Es herrsche intern ein „Angstregime“, sagt eine.
Der Verleger Friedrich greife regelmäßig und gravierend in die redaktionelle Arbeit ein. Er nehme an Themensitzungen teil, wünsche sich Texte, verhindere dafür andere, diktiere sogar Überschriften und Dachzeilen – und beschwere sich direkt und in konfrontativem Ton bei Redakteur*innen, wenn ihm Artikel nicht passen. In E-Mails, die der taz vorliegen, gibt Friedrich genaue Anweisungen, wie über bestimmte Themen zu berichten sei: „nicht wieder so banal behandeln“, schreibt er in einer samt konkretem Themenwunsch, denn zweimal hätte die Zeitung „nicht performt“.
Keine Diskussionskultur mehr
Anfang des Jahres wurde die große Morgenkonferenz der Zeitung abgeschafft. Manche vermuten, dass damit einer der wenigen Räume für Kritik geschlossen werden sollte. „Es gibt keine interne Diskussionskultur mehr“, sagt eine Person. Zwar findet nun täglich eine Ressortleiter-Runde statt. Doch diese Führungsebene – die bei vielen Zeitungen eine gewisse redaktionelle Unabhängigkeit genießt – sei entmachtet worden. Von den Ressortleiter*innen und Chefredakteuren vor Friedrichs Verkauf des Verlags ist heute niemand mehr übrig.
Mit Tomasz Kurianowicz sei einer zum Chefredakteur ernannt worden, der die Zeitung eher passiv leite, sagen Kolleg*innen. Kurianowicz’ Stellvertreter Moritz Eichhorn wird von mehreren Personen als Friedrichs „Kettenhund“ bezeichnet. Trotz ostdeutscher Ausrichtung der Zeitung besteht die Chefredaktion ausschließlich aus Westdeutschen. Der aktuelle Geopolitik-Chef – so nennt sich inzwischen das Auslandsressort der Zeitung – schloss erst im Mai 2024 sein Volontariat ab. Der Leiter des Politikressorts fing erst im vergangenen August als Nachwuchsjournalist bei der Zeitung an, bevor er nach taz-Informationen vergangene Woche kündigte.
Wohlwollend könnte man sagen: Nachwuchsjournalist*innen hätten in Friedrichs Berliner Zeitung die Gelegenheit, sich zu beweisen und schnell aufzusteigen. Oder auch: Führungskräfte verfügten oft nicht über die nötige Erfahrung und Autorität, um sich gegen einen Verleger zu behaupten, der sich andauernd und auf allen Ebenen redaktionell einmischt.
Mitarbeiter*innen sagen: Die zentralisierte Machtstruktur führe dazu, dass Friedrich sich durchsetzen könne und seine Lieblingsthemen im Blatt regelmäßig vorkämen. „Am Ende entscheidet immer der Chef. Und das ist nicht der Chefredakteur, sondern der Verleger“, sagt eine. Die Chefredaktion bestehe lediglich aus seinen „willigen Vollstreckern“. In der Zeitungsbranche ist das – gelinde gesagt – sehr unüblich.
Der taz liegen E-Mails vor, in denen Friedrich Berichte in Auftrag gibt – etwa zum ostdeutschen Biotec-Unternehmen Centogene, in dessen Aufsichtsrat er zur Zeit der Veröffentlichung saß und von dem er Aktionär war. „Wenn ihr dem Tagesspiegel und der Morgenpost einen auswischen wollt, dann habt ihr das morgen mit in der Ausgabe“, schrieb Friedrich. „Ostdeutsche Erfolgsstory in der Medizin“, lautete dann Schlagzeile am nächsten Tag. Offengelegt wurde Friedrichs Verbindung zum Unternehmen damals nicht, erst ein Spiegel-Bericht machte sie öffentlich.
Das Ende des Investigativressorts
Die Berliner Zeitung erhielt 2020 aufgrund des Interessenkonflikts eine Rüge vom Presserat – eine von bis heute sechs Rügen seit der Übernahme der Zeitung durch Friedrich. Zweimal wurde sie sogar wegen Friedrich selbst gerügt. Zum Vergleich: In den zehn Jahren vor seinem Kauf des Verlags erhielt sie keine einzige Rüge. In einem Fall ging es um die Namensnennung eines Informanten. Als Ex-Bild-Chefredakteur Julian Reichelt sich nach seinem Rauswurf an die Berliner Zeitung mit vertraulichen Dokumenten wandte, verpfiff ihn Friedrich beim Springer-Chef Mathias Döpfner höchstpersönlich.
Kurz bevor die Friedrichs den Verlag kauften, recherchierte das Investigativressort der Zeitung mehrmals zum undurchsichtigen Firmengeflecht hinter dem Immobilienunternehmen Trockland, das am Checkpoint Charlie unter anderem ein Hard-Rock-Hotel errichten wollte – ein umstrittener Bauplan. Trockland soll Partner aus dem familiären Umfeld des früheren turkmenischen Despoten Saparmyrat Nyýazow sowie Verbindungen nach Moskau haben. Einer ist Vladimir Sokolov, der zuvor bei der russischen Investmentbank VTB Capital tätig war, deren Mutterorganisation von der EU und USA sanktioniert wurde. Sokolovs damalige Ehefrau, die Anteile an Trockland besitzt, ist die Tochter Nyýazows.
Friedrich soll intern nahegelegt haben, dass er die Personen hinter Trockland persönlich kenne. Im November 2022, nachdem der Berliner Senat die Grundstücke am Checkpoint Charlie erworben und mit der Planung eines Stadtplatzes und Erinnerungsortes dort begonnen hatte, schrieb Friedrich in der Berliner Zeitung von „teilweise massiven, auch unsachlichen Vorwürfe der Presse“ gegen Trockland, die unbegründet seien. Die Berichterstattung sei „hochgradig tendenziös und in nicht geringem Umfang verleumderisch“. „Auch die Blätter des Berliner Verlages hatten sich daran beteiligt“, schrieb er. Seine Zeitung habe „später daraus Konsequenzen gezogen, sich bei Betroffenen entschuldigt und in der redaktionellen Aufstellung für eine Stärkung von faktenbasiertem Journalismus gesorgt“.
Das Investigativressort der Berliner Zeitung wurde unter Friedrich aufgelöst, dessen Leiter gekündigt. Autorenprofile der Redakteur*innen im Ressort wurden von der Webseite der Zeitung teilweise gelöscht, Autorennamen von einigen Recherchen fehlen. Mindestens ein Artikel zu Trockland ist heute nicht mehr online.
Liebesgrüße aus Moskau
Und dann gibt es die Nähe zum Putin-Regime. Im Mai 2023 besuchten Friedrich und sein Herausgeber Michael Maier einen Empfang in der russischen Botschaft in Berlin zum Jahrestag des Sieges über die Nationalsozialisten. Der russische Botschafter durfte Gastbeiträge für die Zeitung verfassen. In einem nennt er die russische Annexion der Krim eine „Wiedervereinigung“, die vom Westen provoziert worden sei.
Friedrich hat nach eigenen Angaben Moskau seit dem russischen Überfall auf die Ukraine mehrfach besucht. Im Mai schrieb er einen lobenden Reisebericht über die russische Hauptstadt, in der er die digitale Verwaltung und den pünktlichen Nahverkehr anpries. Moskau wirke „aufgeräumt und funktionstüchtig“.
Weniger Aufmerksamkeit hat der kuriose Fall des usbekisch-russischen Oligarchen Alischer Usmanow bekommen. Er ist unter anderem Miteigentümer des Stahlkonzerns Metalloinvest, der Tageszeitung Kommersant und des Telekommunikationsriesen MegaFon. Er gilt laut BBC als einer Putins Lieblingsoligarchen, eine enge Beziehung streitet Usmanow jedoch ab. Er steht auf der Sanktionsliste der EU, die in einer Resolution 2022 festhielt: Usmanow habe russische Entscheidungsträger, die für die Annexion der Krim und die Destabilisierung der Ukraine verantwortlich sind, aktiv materiell oder finanziell unterstützt.
Sämtliche Verfahren gegen Usmanow in Deutschland sind eingestellt. Die Zeitung sieht deshalb einen „Milliardär im Fadenkreuz“, der politisch verfolgt werde, und verteidigt ihn in mehreren Artikeln. So beschreibt Holger Friedrich im Februar 2024 ein Treffen mit ihm in der usbekischen Hauptstadt Taschkent. Usmanow sei „großzügig“, an seinen „Händen klebt kein Blut“. Die Geldwäsche-Vorwürfe von 42 Millionen Euro? „Peanuts“. Usmanows Verhalten provoziere Neid, was laut Friedrich auf ein „mangelndes interkulturelles Verständnis“ im Westen zurückzuführen sei. Bei solchen Verteidigungen vermuten einige Personen, mit denen die taz gesprochen hat, dass womöglich Geschäftsinteressen eine Rolle spielen könnten.
Mehrere Mitarbeiter*innen, die unter Friedrich zur Berliner Zeitung wechselten, haben in der Vergangenheit für russische Staatsmedien gearbeitet. Thomas Fasbender ist das prominenteste Beispiel: Er leitete ab Anfang 2024 das damals neugegründete Geopolitik-Ressort, bevor er dieses Jahr Mitherausgeber der Weltbühne wurde. Neben seiner langjährigen Mitarbeit als Autor der neurechten Zeitung Junge Freiheit hatte Fasbender bis zum Großüberfall Russlands auf die Ukraine mehrere Formate beim Propagandasender RT.
Wer dem Kettenhund zu nahe tritt
Wenige Tage nach Beginn des russischen Angriffs lud Fasbender den früheren DDR-Oberst Bernd Biedermann in seine Sendung, der über Putins Angriffskrieg in der Ukraine sagen durfte: „Aber welche Alternative hätte er denn gehabt?“ Das sei gar kein Krieg, sondern eine „selektive militärische Operation“. Am 4. März 2022 zeichnete Fasbender seine letzte RT-Sendung auf und kritisierte darin Putins Krieg. Ein Jahr später schrieb er in einem Gastbeitrag für die Berliner Zeitung über den russischen Überfall: „Wer dem Kettenhund so nahe tritt, muss risikovergessen sein.“ Der Fehler Europas sei gewesen: „zu glauben, die liberale Weltordnung ließe sich ohne böse Konsequenzen bis dicht an die russische Grenze vorschieben, vielleicht sogar darüber hinaus.“
Im Juli 2022 fing auch Katerina Alexandridi bei der Berliner Zeitung an, nachdem sie acht Jahre lang bei der Nachrichtenagentur Ruptly, die zu RT gehört, Planungschefin war. Sie stieg im Oktober 2023 zur stellvertretenden Chefredakteurin der Berliner Zeitung auf, seit Januar ist sie „Head of International News“. Im April 2022 wechselte Liudmila Kotlyarova, die von 2020 bis Februar 2022 Korrespondentin und Redakteurin der russischen staatlichen Nachrichtenagentur RIA Novosti war, zur Berliner Zeitung. Seit Mai 2023 ist Kotlyarova Leiterin des Wirtschaftsressorts. Von Juli 2023 bis Mai 2025 war Lea Fabbrini Online-CvD der Berliner Zeitung, bis Februar 2022 arbeitete auch sie bei Ruptly.
Russland ist nicht der einzige Staat, mit dem die Berliner Zeitung auffallend sanft umgeht. Ein ehemaliger Redakteur erklärt es so: „Für Holger ist China das, was die DDR hätte werden können.“ Im Oktober 2022 druckte die Berliner Zeitung etwa eine Rede des Staatschefs Xi Jinping auf dem Parteitag in Peking. Darin spricht er von Chinas „Außenpolitik des Friedens“.
Seit November 2024 hat Jiawen Ruan 14 Artikel für das Blatt geschrieben – Beiträge über staatliche Reformen in China vom Energiesektor bis zum Wohnungsmarkt, die sich wie eine Hofberichterstattung für das autoritäre Regime lesen. Die Autorin ist Chefkorrespondentin im Berliner Büro der staatlichen China Media Group (CMG), die der Propagandaabteilung der Kommunistischen Partei untersteht.
Im Oktober 2024 empfing Friedrich und der Berliner Verlag eine sechsköpfige Delegation der CMG in Berlin. Im April 2025 nahmen Friedrich und der stellvertretende Chefredakteur Moritz Eichhorn an einer Konferenz der CMG im chinesischen Qufu teil.
Kuschelinterviews mit Autokraten
Merkwürdig ist auch der Umgang der Berliner Zeitung mit dem diktatorischen Regime in Aserbaidschan. Im Juni interviewte Daniel Cremer, neben Eichhorn stellvertretender Chefredakteur, Mir Jamal Paschajew, der als Vertreter des Aufsichtsrats des Investmentunternehmens Pasha Holding vorgestellt wurde. Verschwiegen wurde, dass er ein Cousin von Mehriban Alijewa ist – Frau des Diktators Ilham Alijew, seit 2017 Vizepräsidentin und damit zweitmächtigste Person der kaukasischen Erbdiktatur. Alijewas Vater, Paschajews Großvater, gründete die Firma.
„Das Gespräch ist nicht nur rätselhaft, sondern skandalös“, kommentierte der Blog Übermedien. Das unkritische Interview wirke wie verkappte Werbung für das autoritäre aserbaidschanische Regime und einen mit ihm aufs engste verbundenen Konzern. Übermedien führt eine Reihe freundlicher Beiträge über Aserbaidschan auf, die in letzter Zeit in der Berliner Zeitung erschienen sind und die nicht mehr von „autoritär“ oder „Diktatur“ sprechen.
Aserbaidschan steht auf Platz 167 von 180 in der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen. Im Sommer 2024 reiste Friedrich dorthin, um am Shusha Global Media Forum teilzunehmen, das um die „Aufdeckung falscher Informationen“ und die „Bekämpfung von Desinformation“ ging. Er berichtete in der Berliner Zeitung in zwei Artikeln positiv über die Reise, bei dem er auch ein Propagandafilmstudio des Regimes sowie das militärische Sperrgebiet im Bergkarabach besuchen durfte.
Im Oktober 2024 trafen Vertreter des Berliner Verlags, darunter auch Friedrich, einen engen Berater des aserbaidschanischen Autokraten Alijew, Elchin Amirbayov, in den Räumen des Verlags. Die Berliner Zeitung veröffentlichte wenige Tage später ein Interview mit Amirbayov, geführt von Thomas Fasbender und Simon Zeise, der zuvor bei der Jungen Welt arbeitete. Angesprochen auf die Pressefreiheit im Land – „nicht sonderlich hoch“ – durfte Amirbayov unwidersprochen sagen: „Die schlechte Presse sollte nicht so verstanden werden, dass wir jedes Mal die Schuldigen sind. Wir waren schon des Öfteren Opfer heftiger Desinformation, insbesondere am Vorabend großer Ereignisse.“ Und: „Niemand ist perfekt.“
„Mehr Leute sind gegangen als geblieben“
Friedrichs Kurs führt zu einer großen Unzufriedenheit innerhalb des Verlags. Die Stimmung sei „am Boden“, sagt eine Person. Das zeigen die Ergebnisse einer Mitarbeiterumfrage aus dem Jahr 2024, die der taz vorliegen. In der Marketingabteilung nahmen nur rund die Hälfte der 22 Mitarbeiter*innen teil, das Ergebnis: 3,4 von 10 Punkten an Zufriedenheit. In den redaktionellen Abteilungen war die Teilnahme deutlich geringer. Bei der Wochenzeitung betrugt sie 22 Prozent, bei der Tageszeitung lediglich 12 Prozent, mit einer Zufriedenheit von jeweils 5,5 von 10 Punkten. Zu den Gründen gehören eine unklare Blattlinie, der ständige Transformationskurs, geringe Feedback-Kultur und Wertschätzung sowie zu wenig Aktivität seitens der Chefredaktion.
Das Ergebnis: Seit September 2019 haben etliche Mitarbeiter*innen den Verlag verlassen. Viele kündigen, andere werden gekündigt. Wie viele Redaktionsmitglieder die Berliner Zeitung genau verlassen haben, ist ungewiss. „Mehr Leute sind gegangen als geblieben“, schätzt einer. Ein langjähriges, inzwischen ehemaliges Redaktionsmitglied sagt: „Ich kenne da kaum noch Leute.“
Auch finanziell dürfte der Berliner Verlag nicht so gut dastehen, wie Friedrich behauptet. Die Zahlen – 1,4 Millionen Euro Gewinn für 2024 und eine Prognose von mehr als 2 Millionen Euro dieses Jahr – seien „Unsinn“, kommentiert ein ehemaliger Mitarbeiter. Ein anderer sagt: „Ich halte die Aussage, dass die Zeitung Geld verdient, für extrem beschönigend.“ Eine Dritte: „Er würde niemals zugeben, dass er mit dem Projekt gescheitert ist.“ Niemand, mit dem die taz darüber gesprochen hat, findet die Zahlen realistisch.
Belege für das Wachstum gibt es bislang nicht. Jahresabschlüsse der Berliner Verlag GmbH für 2023 und 2024 sind im Bundesanzeiger noch nicht veröffentlicht worden. 2022 betrug der Gewinn vor Zinsen und Steuern 294.000 Euro. Seit 2021 vermeldet der Verlag keine Verkaufszahlen mehr bei der IVW, die solche Daten branchenweit sammelt.
Schätzungen von mehreren Mitarbeiter*innen zufolge hat die Berliner Zeitung heute rund 50.000 Printabos, die aufgrund der älteren Leserschaft wie bei den meisten Zeitungen Jahr für Jahr sinken. Zum Vergleich: die letzte gemeldete Auflage der Berliner Zeitung vom ersten Quartal 2021 betrugt knapp 80.000 Exemplare. Die Abos der Wochenendausgabe seien nach dem Relaunch unter Friedrich „eingebrochen“, sagt eine Person, die mit der Situation vertraut ist. Diese schätzt, dass die Zeitung rund 20.000 Abonnenten verloren habe. Grund seien die inhaltliche Neuausrichtung sowie die Abschaffung des populären Wochenendmagazins.
Wachstum ohne Zahlen
Woher kommt also das Wachstum? Friedrich behauptet, digitale Abos stünden dahinter. In einer Sonderausgabe zum fünften Jubiläum des Verlegerpaars zeigt eine Grafik ein steiles Wachstum der Digitalabos ab 2023, sie hat aber keine vertikale Achse, um dieses zu beziffern. Friedrich hält sich mit genauen Zahlen bedeckt.
Eine Rationalisierung des Betriebs durch die vielen Kündigungen vor allem älterer Arbeitsverträge und der Verkauf der verlagseigenen Druckerei 2024 könnten womöglich dem massiven Verlustgeschäft entgegengewirkt haben. Einzelne Gesprächspartner*innen fragen sich, ob es neben den bekannten Erlösquellen weitere Finanzierungsmöglichkeiten geben könnte. Diese Vermutungen konnten durch die taz nicht belegt werden. Auch dazu will Friedrich auf Anfrage keine Antwort geben.
Zumindest in der Aufmerksamkeitsökonomie boomt das Geschäft des Berliner Verlags. Die neue Weltbühne wurde von nahezu allen großen Medien kritisch seziert. Der Skandal schien von vornherein einkalkuliert gewesen zu sein: eine deutsche Zeitschrift, die die jüdische Biografie eines jüdischen Chefredakteurs in Frage stellt.
Die Empörung über seinen Verlag versucht Friedrich publizistisch umzumünzen. Auf eine Spiegel-Recherche zur Berliner Zeitung im September 2024 reagierten Chefredaktion und Herausgeber mit einem offenen Brief an das Nachrichtenmagazin: Ihre Journalist*innen und insbesondere ihr Verleger Holger Friedrich seien im Artikel diskreditiert und diffamiert worden, beim Spiegel gäbe es „eine regelrechte Lust daran, Akteure des Berliner Verlags mit taktischen Fouls aus dem Spiel zu nehmen“.
In einem ähnlich trotzigen Ton reagiert Holger Friedrich in einem Beitrag in der Berliner Zeitung vom 30. Juni unter dem Titel „Warum ich trotzdem für die Freiheit weiterkämpfe“. Darin schreibt er, dass der Verleger mit Denunziation überzogen worden sei. Der Text, der sich über die ersten drei Seiten der Zeitung erstreckte, liest sich wie eine Abrechnung mit all seinen Kritikern. Darin verteidigt Friedrich sich gegen die vielen Skandale der vergangenen Jahre – seine Stasiakte, die Corona-Berichterstattung seiner Zeitung, deren Russlandkurs, Beiträge über und aus autoritären Regimes wie China, Gespräche mit Viktor Orbán, den Streit um die Weltbühne und Vorwürfe des Antisemitismus gegen ihn in der taz.
Gegen all das will sich Friedrich wehren. Er spricht von „mittelalterlichen Methoden der Ausgrenzung zum Machterhalt“ der Politik und Medien. Und er habe gelernt, „wie es sich anfühlt, Beißreflexe eines etablierten Systems auszulösen, wenn dessen Orthodoxien infrage gestellt und der exklusive Zugang zu diesem System geöffnet wird“. Zum Schluss schreibt er: „Don’t shoot the messenger.“ Als hätte er das System endlich fast gesprengt.
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