Hochstaplerin Anna Sorokin: Alle verarscht
Anna Sorokin hat in den USA eine Menge Leute um sehr viel Geld betrogen. Täuschung ist heute einfacher als je zuvor – Instagram macht's möglich.
Es gab mal einen Traum, der zum amerikanischen Versprechen wurde: Wer lange und gründlich genug Teller wäscht, der kann es schaffen. Vom Speiserest zum big investment, alles ist möglich – das war der Glaube der pre-millennials. Doch heute ist das alles etwas anders, wer glaubt noch an soziale Mobilität? Der Traum hat heute einen neuen Slogan: Fake it till you make it.
Trump gibt vor, ein Präsident zu sein, im Silicon Valley verkaufte die Betrügerin Elizabeth Holmes einen eher unbrauchbaren Bluttest, der versprach etwa HIV und Hepatitis schneller zu erkennen – HBO zeigt gerade eine Dokumentation über sie.
Auch über das geplatzte Fyre Festival gibt es eine Netflix-Doku. Für die Musikveranstaltung im Frühjahr 2017 auf den Bahamas warben eine Menge Influencer, es gab Ticketpreise von bis zu 12.000 Dollar und große Versprechen. Nur hatte der Veranstalter keine Ahnung, wie man so ein Festival veranstaltet. Was das angesagteste Event des Jahres werden sollte, war ein Debakel und wurde nach nur einer Nacht abgebrochen.
Der neuste Star der amerikanischen – nein, weltweiten – Faszination für Betrüger, heißt Anna Delvey, eigentlich Anna Sorokin. Aus Russland stammt die 28-Jährige, die in Eschweiler zur Schule ging und sich in den letzten Jahren eine Viertelmillion US-Dollar ergaunert haben soll. Gerade steht sie deswegen in New York vor Gericht. Vielleicht wird sie nach Deutschland abgeschoben, auch die hiesigen Medien blicken voller Spannung in die USA.
Rimowa-Koffer, Céline-Sonnenbrillen und Gucci-Sandalen
Sorokin soll Schecks gefälscht haben, mit denen sie einen Kredit über 22 Millionen US-Dollar bekommen wollte. Die Banken bekamen gefälschte Unterlagen, Hotels ungedeckte Schecks und Bekannte ihr Geld nicht wieder. Sie behauptete, ihr Vater mache in Öl, anderen erzählte sie, er verkaufe Solarzellen. Mit 25 würde er ihr endlich ihr Vermögen auszahlen. Nur, in Wirklichkeit ist ihr Vater Lastwagenfahrer, ihre Mutter Hausfrau, und alles andere ist erfunden.
Ein kurzes Kunststudium in London und ein Praktikum beim hippen Pariser Magazin Purple ließen sie die noble Luft schnuppern, von der sie mehr atmen wollte. Wer kann schon im Motel One nächtigen, wenn er sich einmal in den weichen Laken der Standard Hotels räkelte?
Die Artikel über Sorokin lesen sich wie Texte von Popliteraten der 90er Jahre, es geht um Rimowa-Koffer, Céline-Sonnenbrillen und Gucci-Sandalen. Auch Rachel DeLoache Williams, eine Fotoredakteurin der US-Zeitschrift Vanity Fair, die von Sorokin zu einem Urlaub in Marokko eingeladen wurde und dann auf den Kosten von mehr als 60.000 Dollar sitzen blieb, schreibt über die Betrügerin nicht, ohne die Kunst an den Wänden der Restaurants, in denen die beiden speisten und deren Starköche zu benennen. Es ist eine Welt, von der man schnell mehr will.
2013 in Paris änderte Sorokin ihren Namen, erfand sich und ihr Instagram-Profil, hatte Kontakte zu Sternchen. Schließlich zog sie nach New York, postete Bilder von Fashionpartys, aus Venedig und von der Art Basel. Sie hatte einen Kunstsammler gefunden, der ihr Flüge und Hotel bezahlte und dann vergaß, dass sie das Geld zurückgeben wollte. Es waren ja nur ein paar Tausend Dollar, sagt er.
Ihr Ziel: die Anna Delvey Foundation
Sie lebte drei Monate im Mercer Hotel in SoHo für etwa 600 Euro die Nacht. Sie traf sich mit Immobilienbesitzern, Anwälten, Investoren. Ihr Ziel: die Anna Delvey Foundation gründen. Sie wollte damit einen private members’ club in einer schicken Immobilie eröffnen, mit Kunstausstellungen, einer deutschen Bäckerei und schönen Zimmern. Zur Eröffnung, so erzählte sie, werde Christo das Gebäude verhüllen. Sogenannte trust fund babies mit großem Selbstbewusstsein und langweiligen Idee fallen in den gehobenen Kreisen nicht weiter auf.
Aber wie kommt jemand ganz ohne Treuhandfonds durch? Anna sei clever, taktlos, arrogant, mutig gewesen, heißt es. Sie gab hohes Trinkgeld. Zahlte Austern und Bellinis. Sie freundete sich eher mit Mitarbeitern als dem Management an.
Aber auch mit dem Fyre-Festival-Gründer Billy McFarland soll sie Kontakt haben: Page Six berichtet sogar, dass sie über Monate in dem Firmenloft gewohnt habe und sich weigerte auszuziehen. Ein Betrüger, der von einer jungen, hübschen Betrügerin betrogen wird. Besser wird die Geschichte kaum.
Die Produzentin von „Grey’s Anatomy“ soll deswegen nun eine Netflix-Serie aus ihr machen. Angeblich hat Sorokin gleich bei Produzenten aus Hollywood angerufen, weil sie klare Vorstellungen davon habe, wer ihre Rolle übernehmen solle. Jennifer Lawrence ist wohl im Gespräch. Auch die „Girls“-Regisseurin Lena Dunham arbeitet angeblich an dem Stoff der Fakerin. Und die Bild schickt einen Reporter nach Eschweiler.
Der Trend zum Betrug erstaunt nicht: Das Begehren steigt. Luxus ist überall. In Magazinen, auf Instagram, in Realityshows. Luxus ist greifbarer geworden. Mit einem Like ist er fast berührbar. Wen wundert’s, dass gefaked wird. Coole Streetstylemarken ballern Luxuslabellogos auf Jogginganzüge, coole Kids haben gefälschte Designershirts. Billig wird wie teuer getragen, und andersrum funktioniert es absurderweise ähnlich: Gucci verkauft schmutzig aussehende Turnschuhe für 700 Euro, das DHL-T-Shirt für ein paar Hundert Euro gibt es seit Jahren.
Je mehr man über Sorokin liest, desto nachvollziehbarer wird ihr System. Es setzt vor allem auf Instagram. Auch die Vanity-Fair-Mitarbeiterin hat Sorokin zuerst auf der Fotoplattform gesehen. 40.000 Follower hatte sie da, das ist eine eigene Währung beim Verkauf von Vertrauen – selbst wenn man sie sich kaufen kann.
Der Schein vom Sein
„Retired Intern“, beschreibt sich Sorokin auf der Seite, Praktikantin in Rente. Sie zeigt Fotos von Werken gehypeter Künstler, Bilder aus teuren Hotelbetten, Selfies mit schicken Szenetypen. All das reicht, um den Betrachtern das Gefühl zu geben, hier handele es sich um wen. Ein großer Teil der Nutzer der Fotoplattform agiert so: Heidi Klum zieht den Teenagerstar Billie Eilish für ein Foto an sich, um Teenies zu gefallen, Influencer zeigen sich in geschenkter Designerkleidung, und in Russland kann man ausrangierte Privatjets mieten, um sich darin zu fotografieren.
Auf einigen ihrer Posts zeigt sich Anna Sorokin mit Purple-Chef Olivier Zahm und am nur für Mitglieder zugänglichen Pool auf dem Dach des Soho House Berlin. Das reicht auch in Deutschland bereits aus, um auf Partys eingeladen zu werden, auf denen es Champagner und hippe Häppchen gibt, die – abfotografiert – wiederum einen gewissen Erfolg vorgaukeln. Die Betrachter glauben es gern. Denn Betrüger zeigen uns einen Blick auf die Welt, wie wir sie gerne hätten, nicht wie sie ist. Sorokin ist ein Produkt der Generation, die sich durch die sozialen Medien verarschen lässt.
„Magician of Manhattan“ steht über Artikeln über sie, in anderen, sie sei eine typische Narzisstin, die sich nimmt, was ihr ihrer Meinung nach zusteht. Der Urlaub in Marokko für über 60.000 Dollar in ein paar Tagen war vielleicht dann doch eine Nummer zu groß, Sorokin flog auf.
Sie sei, erzählt man, immer unpünktlich gewesen. Und das ist wichtig, um wichtig zu erscheinen. Auch zum Prozess kommt sie zu spät, angeblich hatte sie sich geweigert, in Gefängniskleidung aufzutreten.
Am zweiten Tag der Verhandlung trug sie ein tief ausgeschnittenes Kleid von Michael Kors, so vermeldeten sogleich internationale Medien. Es heißt, Sorokins Anwalt habe extra eine Starstylistin engagiert, da die Geschworenen eher jemandem glaubten, der aussehe wie eine reiche Unschuldige. Nur konsequent in dieser Welt. Fake it till you make it.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste