Hitler-Attentat von Stauffenberg 1944: Nachmittags in der Stauffenbergstraße
Am 20. Juli 1944 scheiterte Stauffenberg beim Versuch, Hitler durch eine Bombe zu töten. Ein Besuch in der nach ihm benannten Straße in Hamburg.
Eine Stauffenbergstraße gibt es in vielen deutschen Städten. In Berlin liegt sie zentral und führt am Bendlerblock vorbei, also an genau der Stelle, wo die Verschwörer um Claus Schenk Graf von Stauffenberg nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler erschossen wurden. Nicht überall hat sie die beste Lage, in München etwa ist es eine unspektakuläre, von Wohnblöcken bestandene Sackgasse in Schwabing-West. Ihren Namen hat sie von einem Vorfahren des Widerstandskämpfers, der bayerischer Politiker war.
Die Hamburger Stauffenbergstraße heißt wie fast alle anderen Straßen dieses Namens nach dem edlen Attentäter und liegt gutbürgerlich in den Elbvororten kurz vor Blankenese. Die Einfahrt von Süden erfolgt über die Elbchaussee.
Gleich am Anfang kommt links eine luftige Villa in Weiß, ganz hinten im Garten steht ein alter eleganter Mercedes vor der Garage, aber das Haus gehört noch zur Elbchaussee. Das Straßenschild „Stauffenbergstraße“ kommt danach, dort, wo nach einem verwilderten Grundstück links eine Straße abbiegt, in die später ein mit Kindern besetztes Lastenrad einbiegen wird.
Die Besonderheit
Nicht in jeder deutschen Stadt gibt es eine Stauffenbergstraße, aber doch in vielen; im Westen des Landes sind sie häufiger als im Osten. In der DDR galten die Wehrmachtsoffiziere um Claus Schenk Graf zu Stauffenberg, die das Attentat vom 20. Juli 1944 mit anschließendem Staatsstreich planten, als „reaktionäre Junker“.
Das Zielpublikum
Alle, die an einer Stauffenbergstraße vorbeikommen und sehen wollen, wie hoch der 20. Juli lokal im Kurs steht.
Hindernisse auf dem Weg
Der Besuch einer Stauffenbergstraße erfordert vorbereitende Lektüre, um der Falle der Glorifizierung zu entgehen. Der deutsche Widerstand hatte viele Gesichter, es gab auch andere Attentatsversuche wie den von Georg Elser, nach dem in München ein Platz und in Hamburg seit Neuestem eine Halle benannt ist.
Während der Held des deutschen Widerstands seine Kindheit auf württembergischen Schlössern verbrachte, die heute noch (oder wieder) stehen, hat die Hamburger Stauffenbergstraße Schwierigkeiten mit ihrem äußeren Erscheinungsbild.
Gut, es gibt noch diese Villen in den großen Gärten, eine, von dunklen Holzbalken durchzogen, mit Türmchen und Erkerchen und wunderschönen Buntglasfenstern, liegt gleich gegenüber dem Straßenschild hinter Bäumen versteckt, und ganz weit hinten auf der anderen Straßenseite steht auf kurzem Rasen ein klassizistischer Kasten.
Stadtvillen, die alt aussehen sollen
Aber dazwischen hat sich mehrgeschossiger Rotklinker breitgemacht, hinter einer Mauer versteckt sich gleich eine Bungalowsiedlung ganz in Weiß, und mitten in der Straße, gleich nach einem leer stehenden Einfamilienhaus mit zugewuchertem Vorgarten, erhebt sich ein riesiger Kran in den Himmel. „Stadtvillen“ mit Etagenwohnungen entstehen hier, die alt aussehen sollen, aber aus Beton sind. Es gab Widerstand von Seiten der Anwohner*innen, doch er war zwecklos, zwei Blöcke stehen schon.
Die Demokratisierung der Elbvororte – oder ist es eher die Grundstückspekulation? – schreitet voran und verändert auch das Gesicht der Stauffenbergstraße, durch die, so ist es auch wieder nicht, immer noch Mädchen in Tenniskleidung fahren, hinten im Fahrradkorb den Schläger. Der Tennisplatz ist gleich auf der anderen Seite der Elbchaussee, und vor der zugehörigen Tapasbar sitzen die Vereinsmitglieder in der Sonne.
Es liegt eine Ruhe und Trägheit über der Straße, jetzt am späten Nachmittag, ein Pulk Jungen auf Fahrrädern kommt vom Hockey, erkennbar an den länglichen Rucksäcken, ein Vater und seine Tochter, diesmal beide skatend, unterhalten sich auf Französisch. In den neuen Stadtvillen sitzen die Menschen auf den Balkons, die Baustelle vor ihren Augen ruht, vor einem Haus weiter hinten steigt eine stark nach Parfüm duftende Frau in einen Golf Cabrio.
Und dann, die Straße ist recht kurz, kommt schon das Ende, die Stauffenbergstraße mündet in die größere Manteuffelstraße, 1928 benannt nach Edwin von Manteuffel (1809–1885), preußischer Generalfeldmarschall.
Die Stauffenbergstraße hat ihren Namen erst seit 1963. Es dauerte, bis der Mann zu der Symbolfigur des deutschen Widerstands wurde. Jedes Jahr am 20. Juli wird seiner und seiner Mitstreiter in einem Staatsakt gedacht, vergangenes Jahr sprach der Verteidigungsminister, diesmal ist der Bundeskanzler angekündigt.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Glorifizierung vernebelt den Blick
Inzwischen ist Kritik laut geworden: Die Glorifizierung der Wehrmachtsoffiziere um Stauffenberg habe den klaren Blick auf ihre teils reaktionäre Gesinnung vernebelt, und sie habe andere, weniger hochgestellte Akteure des Widerstands in den Hintergrund gedrängt.
Trotzdem bleibt Stauffenberg eine Symbolfigur. Genau gegenüber seiner Straße in Hamburg liegt ein Kasernengelände: Schranken, Gitter, Säulengänge, im Hintergrund Fahnenmasten, es weht die Deutschlandfahne. Es ist die Clausewitz-Kaserne. Seit 1958 befindet sich hier die Führungsakademie der Bundeswehr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen