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Historiker über die Nöte der Bundeswehr „Putin lacht sich über uns kaputt“

Drohnen, Elektronik, Personal: Wie würden Sie hunderte Milliarden in die Bundeswehr investieren, Herr Neitzel? Der Militärhistoriker im Interview über das „Versagen der Politfunktionäre“.

Ein Bild der Zukunft, sagt Sönke Neitzel im Interview. Die Bundeswehr muss für den Fall eines möglichen Drohnenkrieges noch aufholen Foto: picture alliance/dpa | Michael Kappeler

taz FUTURZWEI | Herr Neitzel, Sie haben der Bundeswehr wiederholt Versagen attestiert. Die Soldaten könnten im Kriegsfall nur eins tun und das sei „mit Anstand sterben“. Gilt das auch noch nach allen Anstrengungen, die Bundeswehr zu ertüchtigen?

Sönke Neitzel: Das war eine provokante Aussage. Aber sie würde sich bewahrheiten, müsste die Bundeswehr jetzt gegen Russland in den Krieg ziehen. Wir haben natürlich Soldaten, die kämpfen können. Aber es hängt eben sehr davon ab, in welchem Szenario. Ein Grenzscharmützel von 200 grünen Männchen könnte die Bundeswehr locker bestehen. In einem modernen Krieg gegen Zehntausende Gegner aber würde sie sehr hohe Verluste erleiden. Es fehlen Drohnen und Flugabwehrsysteme, es mangelt an elektronischer Kampfführung und Führungsfähigkeiten. Die Russen haben derweil in den letzten Jahren gerade im Drohnenkrieg massiv dazugelernt.

taz FUTURZWEI: Die Bundeswehr hat die Planung und Beschaffung von Drohnen doch auch vorangebracht, sind wir für den Ernstfall jetzt nicht besser aufgestellt?

Neitzel: Das Heer hat erste Lieferungen von sogenannter Loitering Ammunition bekommen. Das sind Drohnen, die Ziele bekämpfen können. Sie sind eine Lehre aus dem Krieg in der Ukraine. Aber die Zahl ist noch zu gering. Die Soldaten müssen ja auch alle damit trainieren. Auch der letzte Mann muss außerhalb des Übungsplatzes mit diesen neuen Waffen umgehen können, und zwar in der Realität, wenn es knallt. Das sehe ich noch nicht. Die Folgen im Kriegsfall wären, dass sehr viele Särge zurückkämen. Das müssen wir natürlich vermeiden. Und die Bundeswehr versucht es auch. Aber die SPD hat noch vor ein paar Jahren die Einführung bewaffneter Drohnen politisch verhindert. Und diese Jahre fehlen uns jetzt in der Ausbildung von Soldaten.

Bild: MSC/Michael Kuhlmann
Sönke Neitzel

Der Mann: Professor für Militärgeschichte an der Uni Potsdam. Abitur in Rodgau, Wehrdienst in Hofgeismar. Geboren 1968 in Hamburg, lebt in Berlin.

Das Werk (zuletzt erschienen): Die Bundeswehr: Von der Wiederbewaffnung bis zur Zeitenwende. C.H.BECK 2025 – 128 Seiten, 12 Euro

taz FUTURZWEI: In der Kommunikation aus dem Verteidigungsministerium heraus will man den Eindruck erwecken, dass seit der sogenannten Zeitenwende vor drei Jahren unfassbar viel passiert ist. Stimmt das?

Neitzel: Wäre ich Verteidigungsminister, würde ich das auch sagen. Und ja: Es gibt jetzt bewaffnete Drohnen. Fünf große Heron-Drohnen wurden aus Israel geleast. Man hat kleinere Drohnen ins Heer eingeführt und denkt über Seedrohnen für die Marine nach. Es gab 100 Milliarden Euro, jetzt kommt noch mehr Geld.

taz FUTURZWEI: Heißt?

Neitzel: Ja, die Bundeswehr lebt 2025 in einer anderen Welt als am 22. Februar 2022. Aber wenn man es daran misst, was nötig wäre, um die Bundeswehr kriegstüchtig zu machen, wie Verteidigungsminister Pistorius so gerne sagt, dann ist es zu wenig. Das liegt ein Stück weit daran, dass die Bundeswehr eine Friedensarmee ist, die nie kämpfen musste. Und wir haben dadurch bürokratische Hindernisse, die verhindern, dass wir die Bundeswehr für einen Krieg fit machen, den Gott verhindern möge.

taz FUTURZWEI: Warum geht das in Deutschland nicht voran?

Neitzel: In der Ukraine findet unter dem Druck des Krieges sehr viel Innovation statt. Sie ersetzen mit Drohnen ihre Artillerie. Es gibt eine enge Verbindung vom Verteidigungsministerium zur Start-up-Szene. Der stellvertretende Verteidigungsminister sagte, dass sie gemeinsam überlegt haben, wie sie technische Innovationen, Verwaltung und Innovationszyklen zusammen kriegen. Wir dagegen müssen hier im Frieden signifikant vorankommen. Und das in einem Stadium, in dem die Koalitionen sich ein Stück weit blockiert haben.

taz FUTURZWEI: In der Öffentlichkeit sieht man nur die Mobilisierung von ungeheuren Geldmengen. Nach jetziger Planung soll der Wehretat 2029 schon 153 Milliarden Euro betragen – gegenüber heute mehr als eine Verdoppelung. Was und wem nützt das viele Geld?

Neitzel: Das Geld braucht es für Drohnen, technische Innovationen, elektronische Kampfführung und die Entwicklung von Software, die von den USA unabhängig ist. Mit dem Geld können wir Fortschritte erzielen, aber wir werden wohl auch eine unendliche Verschwendung erleben. Eine marode Firma würde man auch erst einmal sanieren und die Strukturen überprüfen, bevor man investiert. Die Bundeswehr hat mehr als 50 Prozent des Personals nicht in der unmittelbaren Auftragserfüllung eingesetzt. Also nicht in Brigaden, Flottillen oder Geschwadern. Man weiß nicht, wohin mit den Berufssoldaten, die nicht mehr verwendet werden können, und dann schiebt man sie halt in die Stäbe und Ämter. Etwa 30.000 Unteroffiziere und Offiziere müssten eigentlich frühpensioniert werden.

taz FUTURZWEI: Aber die Deutschen sollen doch mehr arbeiten und nicht weniger.

Neitzel: Genau. Das sieht nicht gut aus, wenn ein Stabsfeldwebel früher in den Ruhestand geht. Aber ich sehe keinen anderen Weg, sonst verlieren wir die Innovation in den Streitkräften. Auch der Bundesrechnungshof hat das Ende Mai kritisiert. Es war eine Glattrasur für das Verteidigungsministerium. Das ist aber einfach verpufft.

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Neitzel: Ohne Geld wird es nicht gehen, aber wir müssen ganz hart an die Personalstrukturen ran. Eine Verwaltung kriegt man nicht mit PowerPoints oder Schönreden effizienter. Personalreduzierung zwingt eine Organisation zu neuen Verfahren. Etwa dazu, Entscheidungen stärker nach unten zu delegieren. Die Preußische Armee war weniger technisiert, aber das Grundprinzip waren gebildete Offiziere, die Entscheidungen trafen und denen vertraut wurde. Die Bundeswehr hat 6.800 Stellen in der Personalverwaltung. Das ist gigantisch. In der Verwaltung der Wehrmacht gab es dafür 277 Stellen. Die Personalbetreuung im Frieden ist sicherlich aufwendiger, aber zwei Drittel müssten eigentlich gekürzt werden. Aber dann käme der Beamtenbund und alle möglichen Klagen.

taz FUTURZWEI: Das wird demnach nichts oder ist es trotzdem machbar?

Neitzel: Der ehemalige Verteidigungsminister Manfred Wörner hat in den 80ern gegen Proteste im Bundestag 1.100 Offiziere frühpensioniert. Es ist also möglich. Putin lacht sich doch über uns kaputt. Er und der russische Geheimdienst wissen ganz genau, wie ineffizient wir sind. Die Russen haben in den letzten zwölf Monaten rein quantitativ eine gesamte Bundeswehr neu hingestellt. Die sind sicherlich nicht so gut ausgebildet wie unsere Soldaten, aber Quantität ist auch eine Qualität. Wir schaffen es nicht einmal, von 180.000 Soldatinnen und Soldaten auf 203.000 aufzuwachsen. Ich kenne viele, die Reserveoffiziere oder Reserveunteroffiziere werden wollen.

taz FUTURZWEI: Und?

Neitzel: Die Verwaltung tut alles, um die abzuschrecken. Das ist Kabarett.

taz FUTURZWEI: Jetzt lässt sich in einer defätistischen Logik leider erwarten, dass mit dem ganzen Geld doch einfach mehr Personal für die Verwaltung eingestellt wird.

Neitzel: Klar, immerhin hat das Verteidigungsministerium jetzt auch noch einen dritten Staatssekretär. In den 2000er-Jahren war der Richtwert 1.500 Dienstposten für das Verteidigungsministerium. Wir haben heute 3.000. Zuletzt hatte Thomas de Maizière vor etwa 15 Jahren das mal reduziert. Das ist alles keine Rocket Science. Der politische Wille fehlt. Und das halte ich einfach für fatal, weil keiner mehr weiß, was die Zukunft bringt.

taz FUTURZWEI: Vielleicht wäre es eine Lösung, dem Russen, wenn er kommt, Formulare entgegenzuhalten.

Neitzel: Das wäre in der Tat abschreckend.

taz FUTURZWEI: Unter welchen Bedingungen schaffen es liberale Demokratien, sich zu reformieren?

Neitzel: Da müssen wir als Historiker sagen: meistens in sehr großen Krisen. Da war der New Deal vom US-amerikanischen Präsidenten Roosevelt in der Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre. Margaret Thatcher hat in der großen ökonomischen Krise Großbritanniens mit ihrer neoliberalen Doktrin viel verändert. Im Militär war das meistens nach großen Niederlagen möglich; dann fangen Armeen an zu lernen.

taz FUTURZWEI: Angeblich sind wir eine Wissensgesellschaft, aber ich bezweifle das stark. Man denke nur an Klimaforschung, die mittlerweile vollständig ignoriert wird. Nur in der Pandemie hatte die Wissenschaft mal kurz Konjunktur.

Neitzel: Ja, ich war bei mancher Runde im Verteidigungsministerium in der Zeit von Annegret Kramp-Karrenbauer und Christine Lambrecht dabei. Damals ging es um China, Russland, Cyberfragen und Terrorismus. Wir haben intensiv diskutiert, aber unsere Warnungen hatten keine Konsequenzen. Wir sind da als Wissenschaftler kläglich daran gescheitert, unser Wissen zu transferieren. Ich saß neulich mit dem Innenminister eines Bundeslandes auf einem Podium. Es ging um Cyber- und Drohnenabwehr, und er dachte ernsthaft noch im Konjunktiv. Mir warf er vor, mich aufzuspielen. Er sagte, wenn er so reden würde wie Herr Neitzel, wäre er Professor und nicht Minister. Er war überzeugt, die Bevölkerung sei noch nicht so weit. Das ist eine grobe Unterschätzung. Doch die Bevölkerung ist nicht das Problem, es sind die Politfunktionäre.

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