Haushaltswoche im Bundestag: Neue Energiequellen im Bundestag
Ein angriffsfreudiger Friedrich Merz lockt den Kanzler aus der Reserve. Olaf Scholz fährt in lebhafter Parlamentsdebatte einen Punktsieg ein.
N ein, die Energiekrise wurde auch an diesem Mittwoch im Bundestag nicht gelöst. Aber der erste Tag der Haushaltswoche macht trotzdem Hoffnung. Denn was lange dröge klang (schon dieses Wort, Haushaltswoche, öde!), wird endlich wieder spannend.
Zum ersten Mal seit vielen Jahren gibt es einen Oppositionsführer im Bundestag, der nicht von der AfD gestellt wird, der sich von den Rechtsextremen abgrenzt, der trotzdem Lust auf Attacke hat und die Regierung polemisch angreift. Gerade weil er dabei auch gern mal unsachlich wird und wie beim Streit über die Atomkraft-Notreserve heillos übertreibt („Stoppen Sie diesen Irrsinn!“), kann man Friedrich Merz nur dankbar sein. Denn er hat damit ein echtes Wunder ausgelöst: Sogar Olaf Scholz ist aufgewacht.
Zum ersten Mal im Leben der Menschen, die in den Amtsjahren Angela Merkels geboren wurden, können die BürgerInnen wieder eine Führungskraft an der Regierungsspitze live erleben, die sich spürbar ärgert, die frei spricht und die nach der Rede des Oppositionschefs rhetorisch zurückschlägt („Es ist schon erledigt, bevor Sie es ausgesprochen haben“), statt unverfängliche Regierungserklärungen monoton abzulesen, in denen „alternativlos“ oft die einzige Erklärung war, und kaum jemand hörte noch hin.
Nicht nur für Scholz ist es ein Segen, dass er von der Union viel härter angegangen wird als Merkel früher von SPD und Grünen. Als attackierter Kanzler muss der alte Phlegmatiker aus sich herausgehen und tut es auch. Die Angriffe scheinen wie eine neue Energiequelle für Scholz zu wirken.
Im Schlagabtausch am Mittwoch reichte das für einen kleinen Punktsieg gegen Merz, der außer „mehr Atomkraft“ keine neuen Ideen bieten konnte und so tat, als hätte die Union mit dem ganzen Schlamassel durch die Energieabhängigkeit von Russland nichts zu tun gehabt. Das war zu billig und wurde schnell entzaubert. Für die Ampel also alles gut? Natürlich nicht.
Der neue Schwung des Kanzlers bringt noch kein Gas in neue Röhren und kein Geld in leere Beutel, aber er ist wichtig für die politische Debattenkultur – gerade auch im Abwehrkampf gegen Putin und andere Despoten. Es mag pathetisch klingen, aber die Demokratie kann nur verteidigt werden, wenn der Parlamentarismus lebendig bleibt. Wenn über offene Streitfragen wie die weitere Nutzung der Atomkraft auch offen gestritten wird. Wenn die Opposition die Regierung herausfordert.
Wenn die CDU die SPD antreibt. Wenn die Linke dafür sorgt, dass die sozialen Fragen gestellt werden. Und wenn die Regierung engagiert und verständlich zu erklären versucht, was sie tut. Zu dumm nur, dass einer, der das eigentlich besonders gut kann, gerade schwächelt. Aber vielleicht tankt ja auch Robert Habeck wieder Energie, wenn er sich noch ein paar Merz-Reden anhört.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen