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Haushaltskrise der Ampelregierung„Sonst eskaliert die Lage“

Wird die Haushaltskrise nicht schnell beendet, drohe eine Rezession, sagt der Ökonom Marcel Fratzscher. Auch die EU ringt um eine Reform der Schuldenbremse.

Nicht abstempeln, sondern gemeinsam Lösungen suchen Foto: Sascha Steinach/imago

Berlin dpa |/reuters | Die Haushaltskrise muss aus Sicht von Ökonom Marcel Fratzscher schnellstmöglich beendet und ein Bundeshaushalt 2024 verabschiedet werden. „Sonst eskaliert die Lage und könnte die deutsche Wirtschaft erneut in die Rezession treiben“, sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung.

„Das größte Problem heute, politisch wie wirtschaftlich, sind nicht Kürzungen von Ausgaben oder Subventionen, sondern ein so massiver Vertrauensverlust in die Handlungsfähigkeit der Politik, dass Unternehmen ihre Investitionen absagen oder ins Ausland verlagern“, sagte Fratzscher. „Stabilität und das Einlösen von Versprechen muss jetzt für die Bundesregierung oberste Priorität haben.“

Fratzscher sprach sich für ein erneutes Aussetzen der Schuldenbremse aus, wie dies auch viele in der SPD und bei den Grünen wollen – die FDP ist allerdings bisher sehr skeptisch. „Die Erklärung einer Notlage für 2024 und das Einhalten aller Versprechen ist bei weitem der beste Weg, um noch größeren wirtschaftlichen Schaden abzuwenden“, sagte der Ökonom.

Mittelfristig gebe es viele Einsparmöglichkeiten, primär bei Subventionen für fossile Energieträger von knapp 60 Milliarden Euro im Jahr, wie beispielsweise dem Privileg bei Diesel und Flugbenzin. „Zudem sollten auch Steuerprivilegien bei Erbschaften, Immobilien und der Mehrwertsteuer abgebaut werden.“

EU ringt um Reform von Schuldenregeln

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) ringen seit Tagen darum, wie ein 17 Milliarden Euro großes Loch im Etat für 2024 gestopft werden kann. Es entstand unter anderem durch das Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts.

Die SPD-Fraktionsspitze hält einen Bundestagsbeschluss über den Haushalt 2024 in diesem Jahr nicht mehr für möglich. Entsprechend äußerte sich die parlamentarische Geschäftsführerin der größten Koalitionsfraktion, Katja Mast, am Donnerstag in einer mit Fraktionschef Rolf Mützenich abgestimmten SMS an ihre Fraktion. Die europäischen Finanzminister ringen derweil noch vergeblich um eine Reform der Schuldenregeln. In der Nacht zu Freitag kam es zu keiner Einigung. Achtstündige Beratungen bei einem Abendessen im kleinen Kreis brachten EU-Vertretern zufolge keinen Durchbruch. Um drei Uhr am Freitagmorgen seien die Minister auseinandergegangen.

Die spanische EU-Ratspräsidentschaft erwäge nun ein Sondertreffen der Finanzminister noch im Dezember, vermutlich kurz vor Weihnachten. Viele Regierungen wollten das Thema noch dieses Jahr mit einer politischen Verständigung abräumen, sagte ein Diplomat zu Reuters.

EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni sagte am Freitagmorgen, es müsse die richtige Balance gefunden werden zwischen der Möglichkeit, zu investieren und dem Abbau der Schuldenstände. „Wir haben einige Fortschritte erzielt.“ Man sei aber nicht fertig geworden. Eine Verständigung vor dem Jahresende sei aber weiter möglich. „Es ist eine Sache von Tagen.“

Die bisherigen EU-Schuldenregeln, die als überholt und unrealistisch gelten, sind seit 2020 ausgesetzt – zunächst wegen der Corona-Pandemie, später wegen der Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine. Ab 2024 sollen sie wieder greifen, weswegen eine Reform drängt. Erstmals zur Anwendung kämen die neuen Regeln aber erst in der zweiten Jahreshälfte 2024, wenn die Budgetpläne für 2025 von Brüssel bewertet werden müssen.

In den vergangenen Jahren sind die Schuldenstände in Europa sehr deutlich gestiegen. Eigentlich gilt in der EU eine Obergrenze beim Haushaltsdefizit von drei Prozent der jeweiligen Wirtschaftsleistung und 60 Prozent beim gesamten Schuldenstand. Gegen diese Vorgaben wurde in der Vergangenheit aber immer wieder verstoßen, ohne dass dies nennenswerte Konsequenzen gehabt hätte.

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7 Kommentare

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  • Wir haben unsere europäischen Partner zu der Einhaltung der Schuldengrenze zwangsverpflichtet selbst in existentiellen Notlagen wie in Griechenland. Kaum müsste bei uns selbst aber mal richtig gespart werden steht die Regel zur Disposition. Ich kann nur davor warnen besonders in den fiskalisch kreativeren Teilen der EU diese Büchse der Pandora wieder zu öffnen. Sehr kreativ übrigens Steuererhöhungen Abbau von Privilegien zu nennen. Den merke ich mir bei der nächsten Erhöhung meines Stundensatzes für meine Kunden.

    • @Šarru-kīnu:

      Tja ... vermutlich wäre es für die Popularität der Union nicht sehr zuträglich, wenn sie auch hier durchsetzen würde, dass die Bürger die Kosten der Medikamente zu signifikanten Teilen selbst tragen müssten. So wie es damals von der Troika in GR durchgesetzt wurde. Sowas kann man nur im Ausland machen. Gell, Herr Schäuble.

  • "Die SPD-Fraktionsspitze hält einen Bundestagsbeschluss über den Haushalt 2024 in diesem Jahr nicht mehr für möglich. Entsprechend äußerte sich die parlamentarische Geschäftsführerin der größten Koalitionsfraktion, Katja Mast, am Donnerstag in einer mit Fraktionschef Rolf Mützenich abgestimmten SMS an ihre Fraktion. Die europäischen Finanzminister ringen derweil noch vergeblich um eine Reform der Schuldenregeln. In der Nacht zu Freitag kam es zu keiner Einigung. Achtstündige Beratungen bei einem Abendessen im kleinen Kreis brachten EU-Vertretern zufolge keinen Durchbruch. Um drei Uhr am Freitagmorgen seien die Minister auseinandergegangen."

    --> Was ist denn hier passiert? Sind hier zwei Agenturmeldungen zusammengerutscht? Während es in der ersten Hälfte des Artikels und des Absatzes um die Haushaltskrise in der Bundesrepublik geht, geht es ohne jede Überleitung im selben Absatz plötzlich um die EU Verhandlungen zu den Maastricht-Schuldenregeln der EU. Das eine hat aber mit dem Anderen überhaupt nichts zu tun.

    Weder lösen die EU Finanzminister die Haushaltkrise der Ampel, noch hat die Schuldenbremse des Grundgesetzes Auswirkungen auf den EU-Haushalt.

    Ich musste den Artikel zweimal lesen, so verwirrt war ich.

  • Ja, die Gefahren wachsen täglich. Und ja, es gibt nichts besseres als "Augen zu und durch", also das Bestätigen einer Notlage und der Haushalte für 23 und 24. Es braucht nur eine ordentliche Begründung einer Notlage. Und die sollte doch auch wohl möglich sein, wir haben doch offensichtlich eine Notlage, die ist zwar nicht nur aus einem Faktor entstanden, aber sie ist da. Natürlich darf das keine Dauerausrede werden, aber es gibt ja auch noch Wahlen. Da kann der Wähler die Schuldigen (FDP) bestrafen. Und eine verantwortungsvolle Opposition könnte jetzt schon bei der Neugestaltung der Schuldenbremse mithelfen, will sie aber nicht. Die gehört übrigens auch bestraft für ihre Spielchen.

    • @Benedikt Bräutigam:

      Wenn Putin die NATO angreift, dann haben wir eine Notlage.

      Die gegenwärtige Situation ist sicherlich keine.

      • @Tom Tailor:

        Es geht doch um den Klimanotstand. Reicht das nicht als Begründung?

        • @Frau E. aus B.:

          Der Klimanotstand erfüllt (wahrscheinlich) die Voraussetzungen der Notlage nicht. Die Notlage muss nach der Schuldenbremse im Grundgesetz, "sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen".

          Weder das Eine noch das Andere liegt beim Klimanotstand vor.

          Zunächst entzieht sich der Klimawandel gerade nicht dem Einfluss der Regierung. Vielmehr ist der Grundtenor aller Forscher und Aktivisten, dass wir handeln müssen, CO2-Emissionen einschränken und unser Leben umstellen müssen, um die Auswirkungen abzuwenden.

          Wenn wir die Klimakrise abwenden können, entzieht sie sich aber nicht unserer Kontrolle, sondern unterliegt gerade unserer Kontrolle.

          Zum anderen belastet die Klimakrise die Finanzlage des Staates (noch) nicht. Was den Haushalt belastet sind die Maßnahmen dagegen, aber nicht die Erderwärmung generell. Als Kontrollüberlegung gilt hier: Wenn wir jegliche Maßnahmen einschränken, könnten wir noch gut 10 bis 20 Jahre leben, bevor die ersten finanziellen Auswirkungen (Ernteausfälle, Brände, etc.) uns erreichen. Dann ist es zwar für den Kampf gegen den Klimawandel zu spät, aber die Belastung ist (noch) nicht bei uns eingetreten.