Ökonom zur Konjunktur 2024: „Es wird massive Einschnitte geben“
Kann die sozial-ökologische Transformation trotz geplanter Haushaltskürzungen der Ampel gelingen? Der Ökonom Rudolf Hickel hat einige Zweifel.
taz: Herr Hickel, die deutsche Konjunktur steht auf der Kippe, kurz vor Jahresende löste das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Schuldenbremse eine der größten Haushaltskrisen der Nachkriegsgeschichte aus, die nun vorerst gelöst scheint. Wie zuversichtlich sind Sie für 2024?
Jahrgang 1942, lehrte an der Universität Bremen politische Ökonomie und war 1975 Gründungsmitglied der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik.
Rudolf Hickel: Nach den derzeitigen Prognosen stagniert die Wirtschaft vermutlich. Allerdings mit dem Risiko, in die Rezession abzugleiten. Durch die erfolgreiche Tarifpolitik der Gewerkschaften konnten zumindest Kaufkraftverluste durch die Inflation gebremst werden.
Woher kommt das Risiko?
Abgesehen von den Mehrfachkrisen wirken derzeit zwei Krisentreiber: Die Geldpolitik hat ohne großen Einfluss auf die Inflation wegen der höheren Finanzierungskosten öffentliche und private Investitionen belastet – vor allem auch den Wohnungsbau. Hinzu kommt die restriktive Finanzpolitik mit der Rückkehr zur investitionsbremsenden Schuldenbremse, zu der das Karlsruher Urteil die Politik gezwungen hat.
Die Ampelkoalition verspricht nun, dass auch mit dem neuen Haushalt 2024 in den Klimaschutz investiert und ein Einschnitt bei den Sozialausgaben vermieden werden kann. Glauben Sie das?
Die Haushaltsplanung entpuppt sich unter dem Druck der Rückkehr zur engstirnigen Schuldenbremse im Einjahresrhythmus als Vabanquespiel. Bei allen Streitereien der Ampel-Parteien ist doch klar: Es wird massive Einschnitte bei den dringlichen Investitionen in den ökologischen Umbau geben. Vor allem ist die Planungssicherheit durch den bis 2027 angelegten Klima- und Transformationsfonds weggefallen, weil Kreditermächtigungen auf Abruf nun verboten sind. Jetzt muss die Finanzierung im jeweiligen Jahr aus dem regulären Haushalt gesichert oder die „außerordentliche Notlage“ ausgerufen werden. Und das bei Verzicht auf Steuererhöhungen bei den ökonomisch Starken und Vermögenden! Diese Planungsunsicherheit infolge des Urteils zur Schuldenbremse belastet übrigens die Unternehmen bei ihren Investitionen.
Inwiefern?
Ein Beispiel: Die für den ökologischen Umbau noch nicht genehmigten Subventionen zum Umbau von der fossilen zur grünen Stahlproduktion müssen jetzt aus dem regulären Haushalt finanziert werden. So konnte gerade eine Zusage mit 2,6 Milliarden Euro für die Stahlindustrie im Saarland durchgesetzt werden. Doch woher die Finanzmittel kommen, ist ungewiss. Dabei wäre es sinnvoll, per Kreditfinanzierung über mehrere Jahre das Erbe einer besseren Umwelt für nachfolgende Generationen in diesem wichtigen Produktionsbereich zu erzeugen.
In der Klimawissenschaft ist derzeit viel von Kipppunkten die Rede. Gibt es auch ökonomische Kipppunkte, die in Deutschland drohen, also Probleme, die 2024 angegangen werden müssen, weil es ansonsten zu spät ist?
Die ökologische Transformation werden wir mit den vorgegebenen Haushaltsmitteln nicht bewerkstelligen können. Insofern wird das kommende Jahr die Wahrscheinlichkeit weiterer Kipppunkte erhöhen. Die Kipppunkte zu vermeiden ist heute die Megaaufgabe einer verantwortungsvollen Finanz-, aber auch Geldpolitik. Durchaus im Sinne der „schöpferischen Zerstörung“ nach dem großen Ökonom des 20. Jahrhunderts, Josef Schumpeter, geht es darum, durch den Ausstieg aus dem bisherigen scheinbaren Wohlstand auf fossiler Basis den ökologisch nachhaltigen Wohlstand zu schaffen. Da wird auch kurzfristig die politisch gewollte Erhöhung der Energiepreise zum Problem.
Inwiefern?
Kurzfristig belastet die Abschaffung der Bremsen für Energiepreise die Konjunktur. Auch bei den Unternehmen ist die Belastung unübersehbar. Sie schieben dadurch klimapolitisch notwendige Investitionen auf die lange Bank. Wir müssen beim ökologischen Umbau fiskalische Brücken bauen, mit denen das neue Ufer zu erreichen ist. Doch das ist leider mit der Schuldenbremse in ihrer jetzigen Form nicht drin. Wenn die Politik sie nicht wieder abschafft, muss die Schuldenbremse zumindest reformiert werden.
Ist eine baldige Reform der Schuldenbremse realistisch? Schließlich bedarf es dafür eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag – neben der FDP müsste auch die Union mitmachen.
Bei den derzeitigen Mehrheitsverhältnissen ist damit nicht zu rechnen. 2024 werden die Krisenfolgen durch die Schrumpfpolitik es erneut notwendig machen, sich endlich von der engstirnigen Ein-Jahres-Schuldenbremse zu verabschieden. Um Schlimmstes zu verhindern, wird der Rückgriff auf die „außerordentliche Notlage“ und damit der Kreditfinanzierung sicherlich unvermeidbar. Politisch größere Chancen hat die Idee, den Klimafonds vergleichbar dem Sondervermögen Bundeswehr mit einem Kreditvolumen von 500 Milliarden Euro für die kommenden 10 Jahre einzurichten.
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