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Hannovers SPD gegen VerkehrswendeGrüne werden immer einsamer

Die SPD in Hannover lässt das Bündnis mit den Grünen platzen. Grund dafür ist das Verkehrswende-Konzept des grünen Oberbürgermeisters Belit Onay.

Muss jetzt noch häufiger alleine fahren: Hannovers grüner Oberbürgermeister Belit Onay Foto: Michael Matthey/dpa

Hamburg taz | Mit einer autofreien Innenstadt wollte Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) bis zum Ende des Jahrzehnts Hannover zur selbsternannten Stadt der Fußgänger machen, doch diesen Plan hat die örtliche SPD nun fürs Erste zunichte gemacht: Am Montag gab sie bekannt, dass sie ihr Bündnis mit den Grünen im Stadtrat platzen lässt. „Statt ideologischer Starrheit sowie ständigem Streit steht für uns das Lösen von Problemen im Vordergrund“, erklärte der hannoversche SPD-Vorsitzende Adis Ahmetović den Austritt. Die düpierten Grünen sehen die Landeshauptstadt nun in einer „politischen Krise“.

Im September stellte Onay sein Konzept zur Umwandlung der Innenstadt vor, das ohne Mehrheit im Stadtparlament nicht umgesetzt werden kann. Zentrales Ziel des Konzeptes ist, dass sie bis 2030 „nahezu autofrei“ werden soll; Fußgänger:innen, Radfahrer:innen, Busse und Bahnen sollen bei der groß angelegten Umgestaltung konsequent Vorrang erhalten. Hinzu soll nach Onays Ansicht die auch in Hannover darbende Innenstadt künftig weniger eine Konsummeile sein, sondern durch Grün- und Aufenthaltsflächen revitalisiert werden.

Doch während Onays Initiative bundesweit zustimmende Aufmerksamkeit hervorrief, regte sich schnell nach der Vorstellung nicht nur bei der Stadtrat-Opposition um die CDU Widerstand. Auch in der Koalition mit der SPD wuchs die Wut: Die Bür­ge­r:in­nen seien weder befragt noch eingebunden worden, bemängelten die Genoss:innen. Die Grünen sahen das als vorgeschobene Kritik, da es schließlich zuvor Beteiligungsveranstaltungen gegeben hatte.

Dass sie das Bündnis mit den Grünen nun verlasse, liege aber gar nicht allein an Onays Innenstadt-Konzept, betonte die SPD am Montag. Die derzeitige Koalitionsarbeit sei geprägt von Misstrauen und Konflikten. „Das erschwert eine konstruktive Zusammenarbeit seit längerem“, sagte der Vorsitzende der SPD-Ratsfraktion, Lars Kelich.

SPD will mit wechselnden Mehrheiten gestalten

Die Grünen teilen diese Einschätzung nicht: „Unüberbrückbare inhaltliche Differenzen bestehen nicht“, widersprach Onay. Und Hannovers Grünen-Chefin Claudia Görtzen forderte die SPD auf, wieder in das Bündnis zurückzukehren: „Die Herausforderungen und Projekte sind zu wichtig und zu groß, als dass sie wegen politischer Spielereien scheitern sollten.“

Dass es dazu kommt, ist aber unwahrscheinlich. So brachte die SPD am Montag schon die Idee ein, künftig mit wechselnden Mehrheiten in Hannover Politik machen zu wollen. Der oppositionellen CDU, die Onays Innenstadt-Konzept radikal ablehnt, gefällt der Vorschlag. „Als CDU sind wir bereit, uns mit unseren Inhalten und unserem Engagement konstruktiv für die Zukunft unserer Stadt einzubringen und in dieser für Hannover schwierigen Situation Verantwortung zu übernehmen“, erklärte CDU-Fraktionschef Felix Semper.

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20 Kommentare

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  • Willkommen im Land der Autonarren

  • Wie wäre es mir einem Bürgerentscheid, dann ist klar was die Bürger wollen.

    • @Filou:

      Das käme auf die Frage an, finden Sie nicht auch?



      Wie würden Sie denn die Frage für einen solchen Bürgerentscheid im Detail formulieren?

  • Man muss leider sagen, so schön es wäre es zu machen, die art wie man das macht und wie die leute darauf reagieren, ist eine große hürde und die grünen verstehen sie nicht zu meistern.

    In mehreren städten ist zu beobachten, allerdings nicht nur von den grünen sondern auch von der spd und anderen umgesetzt, das die neuen radstrassen und radwege teilweise mehr probleme machen als sie lösen.

    ich weiß nicht, in wie weit das dann auch am Starßensamt liegt, die die "ideen" umsetzen, aber man sieht oft, das



    - das ganze nicht kommuniziert wird mit den anwohnern, was bei den anwohnern starke widerstände erzeugt, weil sie am ende vor mangelhaften und unverhältnismäßigen tatsachen stehen. (BSP: es wird nicht erhoben wie stark egtl das verkehrsaufkommen ist und in wie weit das die anderen teilnehmer und orte belastet und was man dagegen tun kann, geschweige denn, was die ortschaft davon hält).



    - die neuen regelungen zwar gut, aber nicht ganz durchdacht sind



    (BSP: wegfall von spuren und nicht geteilt genutzte spuren erzeugen teilweise staus, weil die ampeln und kreuzungen nicht nachgerüstet und flexibler angepasst werden)



    - manche regelungen eher greenwashing sind und nur der statistik helfen (beipsiel: radstrassen mit neuen abstandsmarkierungen sind jetzt noch schmaler als vorher, was letzten endes nur den parkenden und fußgängern hilft, und die andern eher belastet.)

    die leute haben nichts gegen umweltschutz, aber sie sind darauf nicht priorisiert. soll heißen, die grünen müssen weitaus vorsichtiger und partizipativer vorgehen, als sie es eh schon tun.



    hahahaha

    tja, die masse als auch die individuen sind von neuem nicht so einfach zu überzeugen - deswegen tun es manche erst gar nicht, gelle.



    Man muss die leute mehr einbinden, man muss alternative konzepte länger diskutieren und fehler ausmachen ...

    das gilt natürlich nicht nur für die grünen, sondern für alle!!!



    doch es fällt natürlich da auf, wo am meisten neues und kreatives gemacht wird...

  • Also über 60jährige können nicht im Winter mit dem Rad fahren.



    Autofahren auch in Städten muß weiter gefördert werden.

    • @drafi:

      Ich lebe in Hannover, einer Stadt mit hervorragendem Nahverkehrsangebot. Vom Liefer- und Handwerkerverkehr oder von Menschen mit Mobilitätseinschränkungen abgesehen, muss hier niemand individualmotorisiert - oder gar bei Glätte mit dem Fahrrad - in die Innenstadt, altersunabhängig. Das Konzept für eine autoarme, nicht -freie, Innenstadt sieht die automobile Erreichbarkeit aller Parkhäuser vor, die meisten Geschäfte, die Käufer aus dem Umland anziehen, liegen in Fußgängerzonen. Die Innenstadt ist zudem von überschaubarer Größe. Hier muss kein Autoverkehr gefördert werden. Bleiben in der Hauptsache überwiegend einzelfahrende Pendler, die sich morgens und spätnachmittags zur vollen Stunde in die eine oder andere Richtung stauen, obwohl Hannover nach dem Krieg „autogerecht“ mit einem flächendeckenden Netz aus Schnellwegen wiederzugebaut wurde. Warum sie das tun? Weil sie es können. Und damit tragen sie innenstadtnah zu dem Parkdruck bei, der die dort wohnenden Autofahrenden sich von den Grünen abwenden lässt. Tatsächlich konnten aber 100 Jahre Stadtplanung die nach Zahl und Abmessung der Fahrzeuge enorme Zunahme an Flächenbedarf weder vorhersehen noch bislang lösen.



      Da kommt einer Provinzposse gleich, dass vor allem in den Quartieren der „Zahnwälte“ gegen jede Fahrradstraße geklagt wird und neu aufgestellte Parkverbotsschilder von den Anwohnern geschliffen werden. Es wäre polemisch zu denken, dass dieses Selbstverständnis durch die jüngsten Schändungen von Namensschildern nach Opfern des NS umbenannter Straßen in ebendiesen Reservaten vervollständigt wird.

  • Nehmen wir es also fatalistisch: viele Deutsche wollen die Klimakatastrophe ungefiltert erleben und faschistisch regiert werden.

    Da muss die SPD halt flexibel sein.

  • Die SPD ist der Wankelmut der Parteienlandschaft. Sie haben einfach die Hosen gestrichen voll. Das ist kein Wunder.



    In der SPD steckt soviel "Sozial" wie in der Union "Christlich".



    Man hat sich solange in der Mitte angebiedert bis der Markenkern unsichtbar war.



    Rhetorisch geschult, weichgewaschen und profillos.



    "Hör ich den Wehner in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht"

    Denkt an meine Worte wenn Bernd Höcke Präsi in Thüringen wird.

    • @Tom Lehner:

      Dem ist nur noch hinzuzufügen, dass sie oder einzelne Mitglieder dieser Partei »gerne lau baden« und sich schon gar nicht zu Handlungen oder Entscheidungen durchringen konnten, die echte Änderungen mit sich gebracht hätte, s. ehem. Bundestagspräsident Thierse.

  • Wenn es irgendwo ernst wird mit dem Klimaschutz, duckt sich die SPD weg. Aber wenn es um Sonntagsreden und fette Slogans auf Wahlplakaten geht (ich erinnere mich da z.B. noch an den "Klimakanzler"): da sind die Genossen und Genossinnen dann ganz dicke da. Was für ein verlogener Haufen.

  • Das Verkehrskonzept dient ja nicht nur dem Klima, sondern auch der Gestaltung einer zukunftsfähigen Stadt. Dieses Land, wie viele andere übrigens auch, schafft es nicht, den Leuten ein Gefühl für gemeinsame und progressive Antworten auf die vielen Herausforderungen und Krisen der Gegenwart zu vermitteln.

    Ich kann nicht mehr verstehen, dass die Regierung ständig die kleinlichen "Sorgen" der Bürger ernst nehmen soll (Parkplätze? Masken? ) während die Welt schon brennt. Nun erwartet auch die SPD mehr Zustimmung fürs Aussteigen als sie jemals für ihre ehemals fortschrittlich-gewerkschaftliche Politik bekommen hat.

    Meiner Meinung nach sind kommunale Maßnahmen zur Verbesserung der Infrastruktur, der Lebensqualität und zur Verringerung der Umweltzerstörung das Beste, was wir heute tun können. Dann noch ausreichend Wohnungen, das sind die Lösungen für (Alters-) Armut, Arbeitskräftemangel, Einwanderung, Energieverbrauch usw.

    • @myron:

      'Ich kann nicht mehr verstehen, dass die Regierung ständig die kleinlichen "Sorgen" der Bürger ernst nehmen soll'

      Nun ja, das ist in Demokratien eben so üblich, dass man auf den Souverän hört.

      Es gibt natürlich auch andere Staatsformen, in denen Regierungen mehr "Gestaltungsraum" haben.

    • @myron:

      "Ich kann nicht mehr verstehen, dass die Regierung ständig die kleinlichen "Sorgen" der Bürger ernst nehmen soll (Parkplätze? Masken? ) während die Welt schon brennt."

      Dann machen Sie besser keine Kommunalpolitik, in der es nunmal mit gutem Grund um ebensolche "kleinlichen Sorgen" geht. Oder überhaupt keine demokratische Politik. Wie war das noch bei Brecht - besser, die Regierung wählte das Volk ab und wählte ein anderes...?

  • Pontevedra in Nordspanien beweist seit 24 Jahren, dass so ein Konzept für alle Beteiligten funktioniert. Die Angst des deutschen Michel vor Veränderung scheint aber auch an der Stelle grösser zu sein.

  • Sie werden nicht einsamer, sie werden unbeliebt.



    Wie waren denn die Ergebnisse der Bürgerinfoveranstaltungen? War eine Mehrheit dafür? Das wäre doch sehr interessant. Gibt es Infos dazu?

  • Leider will die Mehrheit anscheinend lieber im Stau im laufenden Auto in den Innenstädten rumstehen.

    Schade, dass in Deutschland der Mut zu zukunftsfähigen Lösungen fehlt.

  • Wenn die Massnahmen real werden (sollen), kommen die Konzepte nicht mehr an. Weder in der Verkehrswende (siehe Berlin, Hannover, Marbug, Gießen ....) noch in anderen Bereichen ("Heizungshammer"). Manchmal auf politischer Ebene, manchmal direkt auf Bürgerebene.



    Soviel zur Nützlichkeit von Umfragen "Finden sie Klimaschutz wichtig?" für das wahre Leben.

    • @fly:

      "Soviel zur Nützlichkeit von Umfragen "Finden sie Klimaschutz wichtig?" für das wahre Leben."



      Nein nützlich finden, na eher fanden ihn glaube ich wirklich eine breite Mehrheit - bis halt die wahren Kosten für den Einzelnen auf den Tisch kämen...



      Denn es wurde halt nie wirklich gefragt - "wie viel sind sie bereit dafür zu zahlen oder auf wieviel sind sie bereit zu verzichten?" Diese Frage wurde nie gestellt - wohlweislich denke ich... - denn bis vor kurzem war noch jedem außerhalb der hardcore-Umwelt-Szene klar - "bau dir ne PV aufs Dach, hol dir n Stromer und setz dich öfter mal aufs e-Bike - die Sache mit dem Fliegen und den Kreuzfahrten löst die Wissenschaft mit Effizienz und Filtern für uns - und dann passt das."🤷‍♂️



      Grüne Zukunft here we go 🥳



      Das war okay, das war akzeptabel an Einschnitten, das war mehrheitstauglich - aber ernsthaft nie mehr fliegen, das eigene Auto am besten nur noch im Notfall benutzen, keine sinnlosen online-Bestellungen mehr und überhaupt "Weniger" von allem 😂 - wo kommen wir denn da hin, das geht dann doch entschieden zu weit 😤



      Corona, Russland und die Migrationsströme taten und tun dann noch ihr übriges dazu, dass mittlerweile eine überwältigende Mehrheit sagt: "regelt erst mal das Jetzt bevor ihr das Morgen retten wollt."

      • @Farang:

        So ist es.

        Es ist aber auch ein bischen verlogen von bestimmten linken Akteuren, die sonst jede geringfügige Belastung für "die kleinen Leute" skandalisieren, die tatsächlichen Folgen von Degrowth o.ä. aber verschweigen.

        Das Leben würde sich für alle Deutschen verschlechtern und nicht nur für die oberen 10.000, denen man ans Portfolio will.

  • 4G
    48798 (Profil gelöscht)

    Schade, das sich die SPD nun von der regressiven CDU Unterstützung gegen eine längst überfällige Verkehrswende holt.



    Es gibt sicherlich auch viele SPD-Wähler, die das nicht so toll finden.

    Die Groko, die nun allerorts wieder gefeiert wird, ist sicherlich die falsche Antwort auf die Herausforderungen in Zeiten des Klimawandels.

    War vor kurzem zu Besuch in Kopenhagen. Dort fährt die Hälfte der Bevölkerung Rad, auf breiten Wegen, die dem Autoverkehr gleich gestellt sind.



    Davon können wir in Deutschland sicherlich nur träumen.

    Aber wer würde denn auch schon deshalb Urlaub in Hannover machen ... :-(