Verkehrsberuhigung durch Stadtplanung: Hannover sucht drei Superblocks

Ähnlich wie in Barcelona will Hannovers Oberbürgermeister autoarme, grüne Quartiere in der City schaffen. Die SPD schaltet schon einmal auf Abwehr.

Blick über die Stadt Barcelona vom nahe gelegenen Berg Tibidabo aus. Deutlich erkennbar die gerade und parallel verlaufenden Straßen in Teilen der Stadt.

Das Straßenraster Barcelonas erleichtert das Anlegen von Superblocks Foto: Foto: Guo Qiuda/XinHua/dpa

HANNOVER taz | Die Idee ist nun schon ein Weilchen in der Welt: In sogenannten Superblocks wird der Autoverkehr gedrosselt, damit der gewonnene Platz den Bewohnern zur Verfügung steht. Die verkehrsberuhigten und begrünten Straßen sollen für mehr Aufenthaltsqualität und weniger Lärm- und Luftverschmutzung sorgen. Barcelona macht das schon seit 2017 vor – andere europäische Städte haben es nachgemacht.

Jetzt will auch Hannover nachziehen. Immerhin ist der grüne Oberbürgermeister Belit Onay ja nicht zuletzt mit dem Versprechen auf eine echte Verkehrs­wende angetreten und gewählt worden.

Über der Frage, welche Quartiere für solche Superblocks infrage kommen, wird noch gebrütet. Am Dienstag gaben Onay und sein Stadtbaurat Thomas Vielhaber (SPD) bekannt, dass sie ein Konsortium aus den Büros Fair Spaces (Berlin), Cities for Future (Hamburg) und Goudappel (Deventer/NL) beauftragt haben, drei unterschiedlich strukturierte Viertel zu identifizieren, in denen die Superblocks modellhaft ausprobiert werden sollen.

Ein bisschen erstaunlich waren die Reaktionen: Die Oppositionsparteien signalisierten grundsätzlich Offenheit, was im Fall von Volt/Die Partei nicht verwundert, bei CDU und FDP, die sich sonst gern als Autofahrer-Parteien und Verteidiger der „Brötchentaste“ profilieren, aber schon. Dafür stellte sich nun offenbar der Koalitionspartner SPD auf die Hinterbeine. „Das Büro des Oberbürgermeisters sieht es offensichtlich als seine Kernaufgabe an, das Leben der Menschen zu erschweren“, moserte Fraktionschef Lars Kelich in einer Pressemitteilung, bevor er in den Urlaub entschwindet.

Polemik gegen grüne Lastenradfahrer

Und dann schon fast in AfD-Manier: „Es herrscht augenscheinlich ein Weltbild vor, das nur noch Menschen kennt, die im Home Office oder der Innenstadt arbeiten, sich nur noch zu Fuß oder mit dem Fahrrad bewegen, als Ältere keinen Besuch mehr von außen empfangen wollen, bzw. als Eltern so viel Zeit haben, ihre Kinder mit dem Lastenrad vom einen Ende der Stadt in das andere zu gondeln.“

Das klingt allerdings, als habe er sich mit dem Konzept der Superblocks nicht wirklich beschäftigt. Die sehen nämlich eigentlich so aus, dass vor allem der Durchgangsverkehr aus den Viertel rausgehalten wird. Das erreicht man sogar mit verhältnismäßig wenig Aufwand: ein paar Diagonalsperren und Einbahnstraßen sorgen dafür, dass die Viertel nicht mehr einfach durchquert werden können.

Die Anwohner können ihre Wohnungen in der Regel durchaus noch mit dem Auto erreichen – allerdings bei deutlich reduzierter Geschwindigkeit, mit – je nach Modell – nur noch zehn bis 20 Stundenkilometern. Im Idealfall nehmen schon diese Maßnahmen einen erheblichen Verkehrsdruck aus den Vierteln und ermöglichen es, Fahrspuren in Freiflächen zum Spielen, Sitzen und Flanieren zu verwandeln.

Allerdings fällt den Freiflächen dann häufig auch der ein oder andere Parkplatz zum Opfer – ein nicht nur in Hannover heiß umstrittenes Thema. Es könnte spannend werden zu sehen, wie die Planer das lösen wollen. Immerhin sollen sie sich auf die stark belasteten Innenstadtquartiere konzentrieren, in denen oft beide Straßenseiten durchgängig zugeparkt sind.

Das Konzept der Superblocks dient auch in Hamburg als Blaupause für die Projekte „Ottensen macht Platz“ und „Superbüttel“. Letzteres liegt im Stadtteil Eimsbüttel, und zwar im sogenannten Relliquartier.

Die Initiative „Kurs Fahrradstadt“, die sich in Hamburg für die Verkehrswende engagiert, hat „Superbüttel“ im Frühjahr 2021 vorgestellt und in Anlehnung an die Idee aus Barcelona zehn Kriterien entwickelt, die einen Stadtteil zu einem „Superbüttel“ in ihrem Sinne macht: Unter anderem muss der Stadtteil dicht besiedelt sein und hohe Lebens- und Aufenthaltsqualität haben, grün und autoarm muss er sein. Motorisierte Fahrzeuge sind nur als Gast geduldet, überall gilt Schritttempo und Nachhaltigkeit spielt eine große Rolle.

Eine Umfrage unter 613 Superbüttel-Anwohnern ergab damals: Knapp 76 Prozent der Befragten unterstützen das Projekt. Umgesetzt wurde es allerdings bisher nicht, aber der Bezirk debattiert drüber.

Das Projekt „Ottensen macht Platz“, ebenfalls ein Hamburger Beispiel für die Mobilitätswende in hochverdichteten Stadtteilen, wurde zwischenzeitlich gestoppt, weil Anlieger dagegen klagten.

Und in einem Punkt hat Kelich vermutlich recht: In den schachbrettartig angelegten Straßenzügen Barcelonas sind solche Gebiete natürlich einfacher festzulegen als in Städten wie Hannover mit gewundenen Seitenstraßen, wo sich nicht so einfach dreimal drei Häuserblöcke zu einem Superblock zusammenfassen lassen. Unmöglich ist es allerdings auch nicht, dazu gibt es schon Modelle und Analysen.

Auch in einzelnen Stadtteilen Hannovers hat es schon Vorstöße gegeben, bestimmte Quartiere als „Superblocks“ auszuweisen. Die kamen zum Teil von privaten Initiativen, aber auch aus den Bezirksräten. Das, betont die Stadt, war überhaupt erst der Anlass, sich dem Thema grundsätzlich und konzeptionell zu widmen.

Einbezogen werden sollen in jedem Fall die betroffenen Anwohner. Denn auch das gehört zu den Lehren, die Barcelona ziehen musste: In den ersten Vierteln war der Widerstand anfangs hoch und kam nicht selten von Geschäftsleuten. Das von ihnen befürchtete Geschäftesterben blieb aber aus. Mittlerweile gibt es Viertel, die sich darum bewerben, Superblock werden zu dürfen.

Der Auftrag an das Agenturen-Konsortium lautet jedenfalls erst einmal, eine gründliche Analyse der Erfahrungen aus anderen Städten zu liefern. Dann sollen begründete Quartiersvorschläge gemacht werden – inklusive eines Mobilitätskonzeptes, das darlegt, wie die Verkehrsströme innerhalb und rund um diese Quartiere herum funktionieren können. Die drei Quartiere sollen sich zudem strukturell unterscheiden – damit das Ganze auch zu Erkenntnissen führt, die dann auf andere Stadtviertel übertragbar sind.

„Es wird mit Sicherheit nicht nur Vorschläge aus eng bebauten Gründerzeitquartieren geben“, schreibt Stadtsprecher Christian von Eichborn auf taz-Anfrage. Was man übersetzen könnte mit: nicht nur da, wo Grünen-Wähler mit Lastenrad wohnen.

Die Machbarkeitsuntersuchung ist ohnehin nur der erste Schritt. Die Umsetzung und Erprobung müssen die Ratspolitiker dann erst noch diskutieren und beschließen. Da hat also auch die SPD-Fraktion noch viel Zeit, sich mit den lästigen Details zu befassen.

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