Handy-Verbot in französischen Schulen: Schöne alte Welt
Frankreich verbannt Smartphones aus dem Unterricht. Das ist realitätsfern. Geschulte Lehrkräfte mit Digital-Kompetenz wären weitaus sinnvoller.
Smartphones gelten als ungesund. Sie machen angeblich die Daumen krumm, bremsen die Schwimmgeschwindigkeit der Spermien und lassen die Halswirbel erstarren. Konsequent nur, dass die Geräte in vielen Schulen auf der Sünden-Skala ähnlich hoch eingeordnet sind wie die Kippe hinter der Turnhalle. In Frankreich sollen sie künftig sogar per Gesetz aus Unterrichtsräumen und von Pausenhöfen verbannt werden. Das Handyverbot wird an Vorschulen, Grundschulen und weiterführenden Schulen gelten.
Das französische Parlament setzt damit ein Wahlversprechen Emmanuel Macrons um. Und der feiert sich nun für Fortschritt auf dem Bildungssektor – der aber leider in die falsche Richtung geht. Denn anstatt Zeit und Geld in eine sinnvolle Eingliederung der Geräte ins Curriculum zu investieren, simulieren französische (ähnliche wie auch jetzt schon bayerische) Schüler*innen und Lehrer*innen am Vormittag eine schöne alte Welt ohne Smartphones, die – und das hat sich mittlerweile langsam herauskristallisiert – es so wohl nicht mehr geben wird.
Da Schule ja bekanntlich auf die Realität vorbereiten soll, gehören Handys und was man Bereicherndes mit ihnen anstellen kann, auf den Lehrplan. Ein solches Verbot ist einfach nicht zeitgemäß.
Vom Hausaufgabenorganiseren über Cloud-Apps, in denen Lehrmaterial zugänglich gemacht wird, bis hin zu Vokabeltrainern oder einem digitalen Karteikartensystem: All das ist sinnvoll für den Alltag – wenn die jungen Smartphone-Nutzer*innen nicht sowieso schon selbst herausgefunden haben, dass das Gerät mehr kann als WhatsApp und Instastories.
Keine Klassensprecher*in muss sich heute noch selbstlos dazu bereit erklären, Kisten mit Duden oder Brockhäusern aus dem verstaubten Raum neben dem Lehrerzimmer zu holen, wenn die gesamte Schülerschaft die umfangreichsten Nachschlagewerke stets in der Hosentasche hat. Bleibt der Lehrkraft die sehr wichtige Aufgabe, zu vermitteln, wie die Informationsflut im Netz richtig genutzt und unseriöse Angebote identifiziert werden können.
Kaum vorstellbar, wie zeitgemäß es wäre, Geräte mit einem Whiteboard zu verbinden, um gemeinsam Tafelbilder zu bearbeiten, Videos oder Audiodateien vorzuspielen oder Websites an die Wand zu werfen.
Laut einer Studie des Cornelsen-Verlags aus dem Jahr 2015 besitzt ein durchschnittliches deutsches Gymnasium lediglich 50 PCs und 25 Notebooks, 4 Tablets und 7 Whiteboards für etwa 880 Kinder und Jugendliche. Wie praktisch, dass Schüler*innen diese Defizite in Budget und Ausstattung ihrer Bildungseinrichtung durch eigenes Equipment ausgleichen können.
Wenn das Smartphone geduldetes Hilfsmittel oder Untersuchungsgegenstand im Unterricht würde, ließe sich sein Umgang sehr viel besser kontrollieren. Geräte gleich neben dem Englischbuch sind schneller überblickt als die, die heimlich aus der Tasche gezogen und unter dem Tisch gecheckt werden.
Cybermobbing spielt sich rund um die Uhr ab
Mit dem Handyverbot will die französische Regierung erreichen, dass sich Schüler*innen wieder besser konzentrieren können. Auch Mobbingfälle sollen verringert werden, wenn das Smartphone in der Schule verboten ist. Die Begründung: Ohne Handy lässt sich keine Schulhofprügelei filmen.
Der Gedanke aber ist paradox: Wenn die Schlägerei schon der Lehrerschaft entgeht, bleibt das heimlich mitgeführte Smartphone zum Filmen sehr wahrscheinlich auch unentdeckt. Cybermobbing ist zweifelsohne ein großes Problem. Aber es spielt sich rund um die Uhr ab. Smartphone-Verbote halten Schüler*innen nicht davon ab, nach Schulschluss Beleidigungen und Gerüchte auf sozialen Netzwerken zu verbreiten.
Umso wichtiger, dass das Thema immer wieder im Unterricht besprochen wird und dafür kompetente Lehrer*innen über die sozialen Mechanismen von Snapchat, Facebook und Co. aufklären und mit den Schüler*innen diskutieren.
Immerhin ist das Smartphone-Verbot eine gute Nachricht für diejenigen, die noch so richtig „old school“ rebellieren wollen: Ist die Pausenaufsicht mit der Handyjagd auf dem Schulhof beschäftigt, raucht sich die Zigarette hinter der Turnhalle gleich viel entspannter.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?