Hamburger Polizei lässt Banner abnehmen: „Nie wieder Faschismus“ verboten
Beim „Lauf gegen Rechts“ fordert ein Polizist die DGB-Jugend auf, ein Transparent zu entfernen, weil es politisch sei. Die DGB-Jugend wundert sich.
Beim „Lauf gegen Rechts“ geht es weniger um den sportlichen Wettbewerb, als vielmehr darum, gemeinsam Zeichen zu setzen: gegen Rassismus, Sexismus, Faschismus und für Solidarität. Einige Teilnehmer*innen erreichten das Ziel gehend oder mit Kinderwagen, sichtlich nicht bemüht läuferische Bestzeiten aufzustellen. Die Positionierung gegen rechts ist ein inhärenter Bestandteil der Veranstaltung. Dieses Jahr fand sie im Kontext der hamburgweiten Kampagne „Klare Kante gegen Rechts“ statt.
Bei der Veranstaltung am 26. Mai liefen mehr als 5.000 Teilnehmer*innen die knapp 7,2 Kilometer lange Strecke rund um die Außenalster mit. Wer bei warmen Temperaturen eine Abkühlung brauchte, bekam diese am Pavillon der DGB-Jugend auf Höhe des Fähranlegers „Rabenstraße“. Dort hing auch das Banner.
Der Erfrischungsstand der DGB-Jugend war als Teil der Veranstaltung bei der zuständigen Behörde angemeldet. Die Genehmigung sei beim Aufbauen einem Polizisten vorgelegt worden, sagt Steffen Marquardt, Bildungsreferent der DGB-Jugend Hamburg. Derselbe Polizist sei gegen 11 Uhr erneut am Stand eingetroffen und habe gefordert das Banner abzunehmen. „Um den Lauf nicht zu stören und äußerst irritiert über die Situation, leisteten unsere Kolleg*innen der Forderung des Beamten Folge“, berichtet Marquardt.
Mehrere Zeugen widersprechen Polizei
Die Polizei Hamburg bestätigt, dass die Aufstellungserlaubnis für den Pavillon vorgelegt wurde. Zu einem späteren Zeitpunkt hätten Beamte erneut den Pavillon aufgesucht und die Verantwortlichen auf das „Nie wieder Faschismus“-Banner angesprochen. „Die Personengruppe des DGB begründete das Aufhängen des Transparentes mit der ordnungsgemäß angemeldeten Sportveranstaltung“, sagt Pressesprecherin Laura Wentzien. Eine Aufforderung, das Banner abzuhängen, habe es von der Polizei nicht gegeben.
Die DGB-Jugend bestreitet das. „Nichts liegt uns ferner, als ein Banner mit der Aufschrift 'Nie wieder Faschismus’ anlasslos abzunehmen“, versichert Steffen Marquardt. Mehrere Personen, die vor Ort waren, könnten den Vorfall bezeugen.
Die Marathonabteilung des FC St. Pauli bezeichnet das Verhalten der Polizei Hamburg in einer Stellungnahme als „äußerst fragwürdig und willkürlich“. Die Argumentation, dass es sich bei dem Banner um eine politische Aussage handele, für welche eine Kundgebung angemeldet werden müsste, ist aus Sicht des Organisationsteams „nicht nachvollziehbar“ und setze „ein falsches Signal“.
„Wir sehen die Aussage 'Nie wieder Faschismus’ als einen inhaltlichen Bestandteil des 'Lauf gegen Rechts’. Faschismus ist nach unser Auffassung ein Verbrechen“, heißt es in der Stellungnahme weiter. Ein Polizist habe hier wohl viel mehr seine private Meinung statt geltendes Recht“ durchgesetzt.
Keine Rechtsgrundlage
Ob eine rechtliche Grundlage für das polizeiliche Handeln bestand, ist fraglich. Clemens Arzt, bis März 2023 Professor an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin, sieht diese nicht. „Mit Blick auf das, was mir bisher bekannt ist, handelt es sich um einen Eingriff in die Meinungsfreiheit ohne Rechtsgrundlage“, sagt er.
Beim „Lauf gegen Rechts“ handele es sich um ein Event mit klar politischem Charakter. „Es handelt sich dabei um eine politische Meinungskundgabe, die mit dieser Veranstaltung zusammenhängt“, sagt er. Hier greife der Schutz der Meinungsfreiheit nach Artikel 5 des Grundgesetzes.
„Mir fehlt die Fantasie, auf welcher Rechtsgrundlage dieses Banner abgenommen werden müsste“, sagt der Jurist mit Schwerpunkt Polizei- und Versammlungsrecht. Das Banner sei völlig unproblematisch. „Eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ist nicht erkennbar, die ein derartiges Vorgehen rechtfertigen könnte.“
Vertrauen droht zu erodieren
Die Senatsfraktionen der SPD und der Grünen wollten den Sachverhalt auf Anfrage der taz bei derzeitigem Kenntnisstand nicht kommentieren. Auch die SPD-geführte Innenbehörde hält sich bedeckt. Solange unklar sei, was genau vorgefallen ist, wolle man nicht spekulieren.
Steffen Marquardt von der DGB-Jugend fordert Aufklärung und eine Richtigstellung von der Polizei. „Veranstaltungen wie der 'Lauf gegen Rechts’ und die damit verbundenen politischen Botschaften sind immer relevant und besonders in diesen Tagen kommt es darauf an, dass das Vertrauen in staatliche Institutionen nicht erodiert“, sagt er. Dazu bedürfe es einer Fehlerkultur, die Verantwortung für Fehlverhalten übernimmt und sich bei Unrecht entschuldigt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“