Haftstrafen gegen rechte Terrorgruppe: Der Hass von Chemnitz
Ein Gericht in Dresden hat acht Nazis zu Haftstrafen verurteilt. Als „Revolution Chemnitz“ griffen sie Menschen an und planten einen Terroranschlag.
Auch Tom W., ein früherer Kameradschaftsführer, Zuhause mit deckenhohem Hakenkreuz im Partyzimmer, beteuert: Nie habe er Leute töten oder schwer verletzten wollen. Und Christian K., angeklagter Rädelsführer und ebenfalls einschlägig vorbestraft, bittet zumindest für die Mitangeklagten um „Gnade“: Sie sollten Bewährungsstrafen erhalten, damit sie in den Corona-Zeiten bei „ihren Liebsten“ sein könnten.
Vor gut anderthalb Jahren klangen die Männer noch ganz anders. Einen „Bürgerkrieg“ wollten die insgesamt acht Angeklagten anzetteln, eine „Systemwende“ mit „effektiven Schlägen“ gegen „Linksparasiten“. Damals im Spätsommer 2018, als sie mit tausenden anderen Rechten in Chemnitz auf der Straße standen, nachdem dort ein 35-Jähriger von zwei Geflüchteten erstochen worden war. Es war ein Ausnahmezustand. Und die acht Neonazis wollten noch mehr.
Davon jedenfalls ist das Dresdner Oberlandesgericht überzeugt. Am späten Dienstagnachmittag verurteilt es die acht Männer wegen Rechtsterrorismus zu Haftstrafen von zweieinviertel bis fünfeinhalb Jahren. Ja, es seien noch keine Anschläge erfolgt, erklärt Richter Hans Schlüter-Staats. Aber die „Möchtegern-Revolutionäre“ seien zur Gewalt bereit gewesen – und „Gott sei Dank“ rechtzeitig gestoppt worden. „Auch geistig Verwirrte können gefährlich sein“, bekräftigt Schlüter-Staats – und verweist auf den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke.
Ziel: NSU übertrumpfen
Auch die Bundesanwaltschaft hatte den Männern Rechtsterrorismus vorgeworfen. Im September 2018 waren ihnen sächsische Polizisten auf die Schliche gekommen, dann übernahm Karlsruhe. Nach den Aufmärschen in Chemnitz hatten sich die Beschuldigten in Chats immer weiter in ihren Hass auf „Kanacken“, den „Abschaum“, hineingesteigert: Man müsse „ein Schritt weitergehen“.
Schließlich bildeten sie die Chatgruppe „Revolution Chemnitz“, sinnierten über Anschläge auf Politiker und Linke, auf „Merkel-Zombies“, wollten nach Waffen suchen. Anführer Christian K. schrieb, er sei bereit, es „bis zum Ende durchzuziehen“. Der NSU werde dagegen nur „wie die Kindergartenvorschulgruppe wirken“.
Am 3. Oktober sollte es angeblich losgehen – mit einem Anschlag in Berlin, den die Gruppe Linken in die Schuhe schieben wollte. Schon zuvor gab es einen „Probelauf“ in Chemnitz: Ein Teil der Männer griff eine Gruppe Iraner auf der örtlichen Schlossteichinsel an, warf einem eine Bierflasche an den Kopf. Dann wurden die Männer festgenommen.
Ein halbes Jahr wurde nun vor dem Oberlandesgericht verhandelt. Am Dienstag sitzen die Beschuldigten nochmal im Hochsicherheitssaal, abgeschirmt am Stadtrand. Die Verhandlung verfolgen sie regungslos, starren in den Saal. Es sind Bauarbeiter, Securities, Arbeitslose, 22 bis 32 Jahre alt, fast alle vorbestraft und einschlägig tätowiert – und seit Jahren in der rechtsextremen Szene aktiv: als Hooligans oder bei der 2007 verbotenen Kameradschaft „Sturm 34“.
„Was Sie gemacht haben, war lächerlich“
Ihre Verteidiger kritisieren am Dienstag zunächst, dass in Zeiten der Corona-Pandemie überhaupt noch verhandelt werde. „Unverantwortlich“ sei dies, man werde „ganz konkreten Gesundheitsrisiken“ ausgesetzt. Das Gericht hielt es indes für ausreichend, Abstandsregeln im Saal zu verhängen, zwischen ZuhörerInnen müssen je drei Sitze freibleiben.
In ihren letzten Plädoyers beteuern die Anwälte dann noch einmal die Unschuld der Angeklagten, fordern Freisprüche oder milde Strafen. Es habe keine Terrorgruppe gegeben, sondern nur „dummes Gequatsche“ in Chats, über wenige Tage, ohne konkrete Anschlagspläne, so der Tenor. Ein Anwalt nennt die Pläne „offensichtlichen Unfug, Wunschdenken, eine Fata Morgana“. „Das hatte mit der Realität überhaupt gar nichts zu tun.“
Verteidiger André Schuster spricht die Beschuldigten direkt an. „Nehmen Sie es mir nicht übel“, sagt er. „Was Sie gemacht haben, war lächerlich. Schlechter geht’s gar nicht.“ Hätten sie tatsächlich etwas in Berlin angezettelt, „wäre das böse für Sie ausgegangen“. Der NSU hätte „Sie nicht mal in der embryonalen Einstiegsstufe aufgenommen“. Die Angesprochenen starren Schuster verdutzt an.
Als dieser noch sarkastisch ausmalt, wer eine Revolution wolle, hätte zumindest einmal richtig zulangen oder zuerst mal die Chemnitzer Hooligans fragen sollen, die eine der bestorganisierten Gruppen seien, reicht es Opferanwältin Kristin Pietrzyk, die einen verletzten Iraner vertritt. Aus Protest verlässt sie den Saal. „Sowas muss ich mir nicht anhören“, schimpft sie später.
„Es sollte Tote geben“
Die Bundesanwaltschaft hatte bis zum Schluss auf der Schuld der Angeklagten beharrt und bis zu fünfeinhalb Jahre Haft für die Männer gefordert. Dem schließt sich Richter Schlüter-Staats in seiner zweistündigen Urteilsbegründung an. Den Verurteilten sei es durchaus ernst gewesen, sie hätten konkret nach Schusswaffen gesucht und sich konspirativ verhalten. „Es ging nicht um Hirngespinste, sondern um ganz konkret zur Umsetzung gedachte Vorstellungen.“ Das Ziel letztlich: „Es sollte Tote geben.“
Schon länger hätten die Verurteilten von einem Systemsturz geträumt, erklärt der Richter. Die damaligen Aufzüge in Chemnitz seien für sie die „willkommene Initialzündung“ gewesen. Schlüter-Staats kritisiert die Verteidiger, welche die Aufzüge relativiert hätten. „Absurd“ sei das.
In Chemnitz seien Extremisten aufmarschiert und auch die Beschuldigten angerückt, um sich nach eigener Auskunft „rumzuprügeln“. Schlüter-Staats warf den Verurteilten eine „Freude an der Gewaltbereitschaft“ und verfassungsfeindliche Gesinnung vor. Aber, so der Richter: „Wer für Adolf Hitler schwärmt, hat das Recht verwirkt, das Wort Deutschland auch nur im Munde zu führen.“
Die Verurteilten verfolgen die Ausführungen konsterniert. Für drei aber gibt es doch vorerst Freude: Ihre Haftbefehle werden unter Auflagen außer Vollzug gesetzt, weil ihre Reststrafe nicht mehr so lang ist und damit eine Fluchtgefahr unwahrscheinlich.
Damit reiht sich „Revolution Chemnitz“ in die jüngste Rechtsterrorwelle im Land ein. Gerade erst wurde eine weitere Gruppe Rechtsextremisten festgenommen, die ebenfalls Anschläge auf Politiker und Migranten geplant haben soll: die „Gruppe S.“. In Hanau wurden bereits im Februar zehn Menschen aus rassistischen Motiven ermordet. Zuvor tötete ein Rechtsextremist in Halle bei einem Attentat zwei Menschen und versuchte in eine Synagoge zu gelangen, ein anderer Mann erschoss in Kassel Walter Lübcke. Davor wiederum waren noch zwei Gruppen als Rechtsterroristen verurteilt worden: die „Oldschool Society“ und die „Gruppe Freital“.
Christian K., der Anführer von „Revolution Chemnitz“, hatte bereits früh eine Verurteilung mit einkalkuliert. In einem Chat hatte er seine Mitstreiter über die Folgen seiner Pläne gewarnt: „Ihr könnt euch ja vorstellen, dass wir hier über mehr als ein Kurzzeiturlaub sprechen, wenn da mal was offengelegt wird.“ So ist es gekommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe