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Haftbefehl gegen Benjamin NetanjahuEr wird nicht mehr kommen

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Auch angegriffene Staaten dürfen nicht alles. Israels Regierungschef müsste jetzt festgenommen werden. Doch die Diskussion ist eher theoretisch.

Internationaler Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag: Haftbefehl gegen Netanjahu Foto: Peter Dejong/AP/dpa

E s gibt keinen Krieg, der gerechtfertigter ist als der, den Israel seit dem 7. Oktober 2023 in Gaza führt“, sagte Israels Premierminister Benjamin Netanjahu, als er von dem Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) erfuhr.

Das ist eine Nebelkerze. Natürlich erkennt der Gerichthshof das Selbstverteidigungsrecht Israels an. Doch auch ein angegriffener Staat darf bei seiner Verteidigung keine Kriegsverbrechen und keine Verbrechen gegen die Menschlichkeit begehen. Nur darum geht es in den Haftbefehlen. Ob das gesammelte Material am Ende eine Verurteilung trägt, kann erst in einer mündlichen Verhandlung geklärt werden – wenn es je dazu kommt.

Der Gerichtshof hat auch nicht Israel und die Hamas gleichgestellt. Zwar wurden am gleichen Tag sowohl Haftbefehle gegen Netanjahu und Ex-Verteidigungsminister Yoav Gallant als auch gegen Hamas-Militärchef Mohammed Deif erlassen. Damit wollte der IStGH aber offensichtlich deutlich machen, dass er nicht einseitig gegen Israel vorgeht. Das war dem Gerichtshof offensichtlich so wichtig, dass er sogar einen Haftbefehl gegen Mohammed Deif beschloss, obwohl der wahrscheinlich seit Monaten nicht mehr lebt.

Unter vier Augen künftig in Israel

Natürlich wäre der Internationale Strafgerichtshof unzuständig, wenn Israel selbst mögliche Kriegsverbrechen in Gaza verfolgen würde. Damit hatte die Bundesregierung im Vorfeld der Haftbefehle argumentiert. Allerdings reicht die bloße Möglichkeit nicht aus. Israel müsste wirklich ernsthafte Ermittlungen gegen Netanjahu und Gallant einleiten. Diese Möglichkeit besteht auch weiterhin. Doch solange Netanjahu Ministerpräsident ist, kann damit wohl kaum gerechnet werden.

Die Bundesrepublik muss nun – wie alle 124 Vertragsstaaten, die den IStGH tragen – Netanjahu und Gallant festnehmen, sobald sie deutschen Boden betreten. Sie kann sich dieser Pflicht auch nicht durch den Hinweis auf Netanjahus völkerrechtliche Immunität als Regierungschef entziehen. Zwar ist Israel kein Vertragsstaat des IStGH. Doch das ist Russland auch nicht. Und dennoch hat die Bundesregierung im Vorjahr erklärt, sie würde Wladimir Putin verhaften, nachdem der IStGH gegen ihn im März 2023 einen Haftbefehl erlassen hat. Putin und Netanjahu müssen (bei allen sonstigen Unterschieden) im Hinblick auf die Immunität gleichbehandelt werden.

Ob Netanjahu verhaftet würde, ist aber eine eher theoretische Diskussion. Denn Netanjahu wird nicht mehr nach Deutschland kommen, solange der Haftbefehl besteht. Dafür wird schon die Bundesregierung sorgen, die sich so die heikle Abwägung zwischen Unterstützung für Israel und Unterstützung für den Internationalen Strafgerichtshof erspart. Wenn etwas unter vier Augen besprochen werden muss, werden deutsche Kanzler eben nach Israel reisen müssen.

Einschätzungsspielraum in außenpolitischen Fragen

Auf die Frage, ob Deutschland Waffen nach Israel liefern kann, werden die Haftbefehle nur mittelbare Auswirkungen haben. Die derzeitige Regierung von Olaf Scholz hält Waffenlieferungen für vertretbar, weil Israel zugesagt hat, die Waffen nur völkerrechtskonform einzusetzen. Dass der IStGH nun die bisherige Kriegsführung für illegal und strafbar hält, dürfte den Wert solcher Zusagen allerdings erschüttern, vor allem, solange Israel die Einschätzung des IStGH in keiner Weise akzeptiert.

Die Bundesregierung hat in außenpolitischen Fragen aber einen weiten Einschätzungsspielraum, den auch die von Palästinensern angerufenen deutschen Verwaltungsgerichte bisher betonten. Die Frage der Waffenlieferungen bleibt also eine politische Frage, bei der aber die Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshofs nun die Rahmenbedingungen verändert, sowohl national als auch international.

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
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17 Kommentare

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  • Nunja. Für den Fall der äußersten Fälle.



    Bleibt Trump - wie das unter Good Guys



    ( 🇺🇸 🇮🇱 - taz-us-jur.jargon) üblich!



    Immer noch die BIG RAUSHOLE - DEN HAAG - •

    Na Mahlzeit

  • Sauber dargelegt.



    Solange der Tod des Betreffenden nicht belegt war, muss der IGH wohl sogar den Haftbefehl ausstellen.



    Dass da dringend etwas geprüft werden sollte, wenn Netanyahu Krieg in die Länge gezogen, eskaliert und sehr dezent ausgedrückt: überhart gegen die Zivilisten geführt hat und führt; das ist eine Selbstverständlichkeit.

    Es folgt ein rechtsstaatliches Verfahren, was Zivilisten in Gaza (wie denen auf dem Festival) eben nicht zuteil wurde.



    Netanyahu sollte deeskalieren sowie sich stellen, die letzten Hamasführer auch. Wir brauchen wieder Verrechtlichung statt Bibi-Western.

  • "Damit wollte der IStGH aber offensichtlich deutlich machen, dass er nicht einseitig gegen Israel vorgeht. Das war dem Gerichtshof offensichtlich so wichtig, dass er sogar einen Haftbefehl gegen Mohammed Deif beschloss, obwohl der wahrscheinlich seit Monaten nicht mehr lebt."

    Genau das macht den IStGH für mich unglaubwürdig und befangen, dass er nur einen Deckmantel-Haftbefehl gegen einen Märtyrer beschlossen hat und sich somit auf jüdisch/israelische Angeklagte beschränkt. Als ob es in- und außerhalb Gazas nicht noch lebende Organisatoren/Täter/Verwalter/Unterstützer des 07.10.23 und nachfolgenden Angriffkrieges, somit potentielle Völkermörder, geben würde. Davon abgesehen wird die jüdisch/israelische Kriegspartei immer noch angegriffen, die Geiseln werden noch festgehalten und somit von der Gaza-Hamas-Iran-u.v.m.-Kriegspartei Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen.

    • @*Sabine*:

      "dass er nur einen Deckmantel-Haftbefehl gegen einen Märtyrer"



      Es wurde hier schon mehrfach erklärt, aber gerne ein weiteres Mal: der Chefankläger des IStGH hat Haftbefehle für drei Hamas-Anführer (Deif, Sinwar, Hanniya) und zwei Israelis (Netanjahu, Gallant) beantragt; das von Ihnen behauptete Ungleichgewicht existiert nicht, bzw. nur zu Gunsten Israels, da dort die militärische Führung nicht einbezogen wurde.



      Dass die Betroffenen auf palästinensischer Seite inzwischen tot bzw. vermutlich sind, kann man kaum dem IStGH zum Vorwurf machen.



      Im Übrigen missverstehen Sie die Aufgabe des IStGH: die besteht nämlich darin, die Verantwortlichen für Kriegsverbrechen zu verfolgen, nicht zu entscheiden, wer für den NO-Konflikt verantwortlich ist (worauf es ohnehin keine einfache Antwort gibt).

      • @O.F.:

        "Dass die Betroffenen auf palästinensischer Seite inzwischen tot bzw. vermutlich sind, kann man kaum dem IStGH zum Vorwurf machen."

        Ich mache dem IStGH zum Vorwurf, dass keine/zu wenige Haftbefehle für lebende Personen der Gaza-Hamas-Iran-u.v.a.-Kriegspartei ausgestellt sind. Für mich ist es schwer vorstellbar, dass nur die Herren Sinwar, Deif und Haniyya der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen verdächtig sind. Wenn sich der IStGH bemüht, kommen sicherlich noch weitere mutmaßliche Täter dieser Kriegspartei für Haftbefehle in Frage.



        Ich bin gespannt, ob sich der IStGH dauerhaft mit den beiden jüdisch/israelischen Verdächtigen zufriedengibt und die Verdächtigen der anderen Kriegspartei außen vor lässt. Der Alibi-Haftbefehl für Herrn Deif ist meiner Meinung nach vernachlässigbar.

  • Danke für die klare Einordnung!

  • "Allerdings reicht die bloße Möglichkeit nicht aus. Israel müsste wirklich ernsthafte Ermittlungen gegen Netanjahu und Gallant einleiten."- Ich bezweifle das, denn die israelische Regierung und weite Teile der politischen Landschaft in Israel streiten ab, dass es überhaupt eine Hungerkatastrophe in Gaza gibt. Da ist es dann schon mehr als eine reine Vermutung das sie nicht hinsichtlich des Einsatzes von Hunger als Kriegswaffe ermitteln werden. Da sie auch für praktisch jeden getöteten Zivilisten das Argument bringen, dass Hamas sich unter ihnen versteckt hat, ist eine Ermittlung wegen Mordes auch unwahrscheinlich. Mehrere israelische Menschenrechtsorganisationen kritisieren seit Jahren, das Israel nicht in der Lage oder nicht Willens ist Rechtsverstöße gegen Palästinenser genauso zu verfolgen wie Rechtsverstöße gegen Israelis. Das war ja auch der Grund wieso div. Organisationen darauf gedrängt haben das die OPT den Römischen Statuten beitreten. Hier nur ein Ausschnitt der bekanntesten Organisation:



    www.btselem.org/accountability



    www.btselem.org/pu..._of_responsibility



    www.btselem.org/pu...willing_and_unable

  • Guter und klärender Kommentar.



    Durch die schwammige Erklärung des Regierungssprechers hat die Angelegenheit leider einen fahlen Beigeschmack erhalten. Es wurde damit der Eindruck erweckt, im Zweifelsfall juristische Schlupflöcher zu finden, um den Haftbefehl nicht vollziehen zu müssen.

    Dieses offenbart ein zweifelhaftes Rechtsverständnis und untergräbt die Souveränität des Rechtsstaates.

    Länder wie Großbritannien oder die Niederlande waren da wesentlich gefestigter in ihren eindeutigen Aussagen.

    • @Sam Spade:

      Danke, das sehe ich ganz genau so.

    • @Sam Spade:

      das sehe ich genauso.



      wie bernie sanders gerade die regierung wegen der anhaltenden waffenlieferungen als mitschuldig bezeichnet hat, wird sich auch deutschland zur rechenschaft ziehen lassen muessen.



      staatsraeson bedeutet schutz des staates israel, oder der bevoelkerung des staates israel? dazu gehoeren alle, auch palestinenser natuerlich.

      • @the real günni:

        Die Staatsräson sind die Würde des Menschen, die Grundrechte und die Einbindung in europäisches und Völkerrecht.



        Schutz von kriegseskalierenden Demokratiefeinden in anderen Ländern ist keine Staatsräson.

  • "Das war dem Gerichtshof offensichtlich so wichtig, dass er sogar einen Haftbefehl gegen Mohammed Deif beschloss, obwohl der wahrscheinlich seit Monaten nicht mehr lebt." Eine wirkliche "Nebelkerze" würde ich diesen, wenn auch verbrieften, Versuch nennen, einen mutmaßlich Toten per Haftbefehl festnehmen lassen zu wollen. Für wen steht denn Hr. "Deif"? Für die Palästinenser? Für einen nicht vorhandenen Staat Palästina? Oder für eine menschenverachtende Terrortruppe? Mit diesen Haftbefehlen am selben Tag soll die Hamas mit dem israelischen Staat gleichgesetzt werden, sei es, um die Hamas aufzuwerten, sei es, um die regulären israelischen Regierungsvertreter auf Verbrecherniveau runterzuziehen.



    Natürlich wird Hr. Netanyahu nicht mehr nach Deutschland kommen, schon weil er generös genug sein dürfte, seinen Verbündeten damit nicht in Verlegenheit zu bringen.



    Stattdessen sollte der dt. Kanzler (nach dem Februar 2025) seine Antrittsbesuche in dieser Reihenfolge machen: F, PL, GB, USA, IL

    • @Vigoleis:

      PL steht für Palästina? Dann bin ich bei Ihnen, würde aber dringend noch die Ukraine, als Land, dass ebenfalls von üblen Kriegsverbrechern verwüstet wird in die Liste aufnehmen. Nachdem er dann in Israel war um den Verbrechern dort ins Gewissen zu reden wäre auch ein Besuch in Moskau angebracht.

      • @Residente:

        PL ist Polen. Übertreibs nicht mit dem interpretieren.

        • @Ashenvale:

          Ach so, danke Ihnen für diese wichtige Information.

    • @Vigoleis:

      Siehe oben, wenn der Kommentar durchkommt.



      Unterstellen wir einfach das Simple.

    • @Vigoleis:

      Die "Nebelkerze" ist keine: als der Antrag auf Haftbefehle gestellt wurde, waren Deif - ebenso wie Haniyya und Sinwar - noch am Leben (dass nach Deif solange gefandet wird, bis er sein Ableben bestätigt ist, entspricht gängiger juristischer Praxis).



      Auch der Vorwurf der Gleichsetzung ist falsch: die Aufgabe des IStGH ist nicht die politische Bewertung verschiedener in den Gaza-Krieg involvierter Akteure, sondern die juristische Aufarbeitung mutmasslicher Verbrechen, die im Kontext dieses Krieges begangen wurden - weshalb er die Verantwortlichen zur Fandung ausgeschrieben hat, egal auf welcher Seite sie stehen. Statt dem IStGH vorzuwerfen, dass er seiner Aufgabe nachkommt, sollte man sich vielleicht die Frage stellen, was es über die gegenwärtige israelische Regierung aussagt, wenn man ihre Vertreter auf der Anklagebank neben Hamas-Funktionären wiederfindet (oder wiederfinden würde, wären letztere nicht schon tot).