Grundrechtereport 2025: „Jeder weiß, dass das rechtswidrig ist“
Bürgerrechtsorganisationen präsentieren jährlich einen „alternativen Verfassungsschutzbericht“. Diesmal ging es nicht zuletzt um Polizeigewalt.

Der Grundrechtereport versteht sich als „alternativer Verfassungsschutzbericht“. Seit 1997 veröffentlichen ihn zehn Bürgerrechtsorganisationen von der Humanistischen Union bis Pro Asyl als Taschenbuch. Laudator Steinbeis ist Herausgeber des renommierten „Verfassungsblogs“. Er appellierte insbesondere an die deutschen Konservativen, sich wieder mehr für „Recht und Ordnung“ zu engagieren. Das „ständige Gejammer über rechtliche Fesseln und Hürden“ führe dazu, dass das Recht immer häufiger ignoriert und umgangen werde.
Steinbeis nannte drei Beispiele: die Auslieferung der nonbinären Antifaschist*in Maja T. nach Ungarn, bevor das Bundesverfassungsgericht über einen Eilantrag entscheiden konnte; die Bereitschaft von Kanzler Friedrich Merz den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu in Berlin zu empfangen, obwohl gegen diesen ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs vorliegt; der Entzug des Aufenthaltsstatus von vier ausländischen Studierenden, die sich an propalästinensischen Protesten in Berlin beteiligt hatten.
„Jeder weiß, dass jeder weiß, dass das rechtswidrig ist“, benannte Steinbeis die Gemeinsamkeit der drei Vorfälle. Wie bei US-Präsident Donald Trump gehe es auch in Deutschland darum, ganz bewusst das Recht zu ignorieren. Es werde die Botschaft gesetzt: „Seht her, was wir machen können weil wir es können.“ Dass der Grundrechtereport dagegen weiter „in der Sprache des Rechts“ argumentiere, sei klug, so Steinbeis. So könne man die Konservativen zumindest in Widersprüche verwickeln.
Viele trauten sich nicht mehr, zu protestieren
Über den juristischen Umgang mit pro-palästinensischen Besetzungen an Berliner Hochschulen sprach die Anwältin Jessica Grimm. Die Strafverfahren wegen Hausfriedensbruchs würden überwiegend eingestellt. Falls es zu Urteilen komme, gebe es kleinere Geldstrafen oder Freisprüche wegen Beweisproblemen. „Es fällt auf, dass die Gerichte sich um die Frage drücken, ob solche Protestaktionen nicht doch von der Meinungs- und Versammlungsfreiheit gedeckt sind“, so Anwältin Grimm.
Auch wenn die Strafverfahren bisher eher glimpflich verliefen, so hätten sie doch einschüchternde Wirkung. „Viele der Protestierenden hatten noch nie mit Polizei und Justiz zu tun“, so Grimm, „sie befürchten, dass es bei der nächsten Verurteilung zu einem Eintrag ins Führungszeugnis kommt; und ausländische Studierende sorgen sich, dass sie bei der nächsten Verurteilung ausgewiesen werden“. Viele trauten sich daher nicht mehr, zu protestieren.
Die Medienwissenschaftlerin Sevda Can Arslan engagiert sich in der „Initiative 2. Mai“, die gegen tödliche Polizeigewalt in Mannheim protestiert. Anlass war ein Polizeieinsatz im Mai 2022. Ein Arzt hatte die Polizei gebeten, den 47-jährigen psychisch Kranken Ante P. zurück in die Klinik zu bringen, er könne sich sonst selbst gefährden.
P. reagierte aggressiv auf die Polizisten, am Ende des Einsatzes war er aus ungeklärten Gründen tot. Das Landgericht Mannheim verurteilte einen Polizisten, der P. viermal mit der Faust auf den Kopf geschlagen hatte, wegen Körperverletzung im Amt. Der Bundesgerichtshof hob die Verurteilung im Oktober 2024 allerdings wieder auf. Der Polizist habe sich zumindest bei zwei Faustschlägen auf sein Notwehrrecht berufen können.
Arslan wies auch auf die Verantwortung von Journalisten hin. „Wenn die Polizei selbst betroffen ist, sollte man ihr nicht alles unbesehen glauben, sondern selbst recherchieren“, forderte die Medienwissenschaftlerin, die auch zu Polizeigewalt und Journalismus forscht.
Inzwischen müssen Aktivist:innen und Angehörige der Opfer selbst vor Gericht, weil sie von Polizisten zivilrechtlich verklagt wurden. Sie hatten die tödlichen Polizeieinsätze als „Mord“ oder „unethisch“ bezeichnet. „Hier wird versucht, Kritik an der Polizei juristisch zu unterbinden“, so Arslan.
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