Grüner Innenpolitiker von Notz: „Die Große Koalition ist saubequem“
Vor der Bundestagswahl spricht Konstantin von Notz, grüner Innenpolitiker aus Schleswig-Holstein, über Jamaika und Große Koalition, G20 und alternative Sicherheitspolitik
taz: Herr von Notz, worin besteht der wesentliche Unterschied zwischen den Grünen im Bund und in Schleswig-Holstein?
Konstantin von Notz: Ich sehe da ehrlich gesagt keinen großen Unterschied.
Die im Bund haben miese Umfragewerte, die in Schleswig-Holstein haben gute Ergebnisse.
Ja, und die in Baden-Württemberg noch bessere. Man sollte da keine Gräben aufmachen zwischen Bund und Land. Richtig ist aber sicherlich, dass die Grünen im Bund sich die positive Grundhaltung der Grünen in Schleswig-Holstein zum Vorbild nehmen könnten. Wenn man nicht schlecht über andere, sondern gut über sich selbst und die eigenen Themen redet, wie wir es in Schleswig-Holstein getan haben, wird das auch im Bund gut laufen.
Welches sollten denn die Themen sein, die das biedere Spitzenteam Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir verkaufen könnte?
Erstens sind die nicht bieder. Zweitens sind neben diesen Köpfen grüne Themen die entscheidenden für die nächsten Jahre. Ganz aktuell ist die Modernisierung und Ökologisierung der Mobilität. Der Dieselruß-Skandal erschüttert die deutschen Autokonzerne. Die Verkehrswende hin zu einer umweltverträglichen Mobilität ist ein ur-grünes Thema und sie ist zwingend notwendig.
Was würde ein grüner Verkehrsminister tun?
46, Anwalt und grüner Bundestagsabgeordneter aus Mölln in Schleswig-Holstein. Im Bundestag ist er Fraktionsvize der Grünen und war deren Obmann im NSA-Untersuchungsausschuss. Bei der Bundestagswahl 2017 kandidiert er auf Platz 2 der grünen Landesliste Schleswig-Holsteins.
Man muss klare Vorgaben und Regeln machen und die Dreckschleudern mittelfristig aus dem Verkehr ziehen. Zugleich müssen erwünschte Entwicklungen hin zu sauberen Autos gefördert werden. Da hat die jetzige Bundesregierung versagt: Die Kanzlerin ist mit ihrem Ziel von einer Million Elektroautos kläglich gescheitert, wie mit ihrer gesamten halbherzigen Klimaschutzpolitik. Aber das ist nicht das einzige Thema…
Nämlich?
Ganz aktuell steht die Zukunft der Demokratie und die Europas auf dem Spiel. Die Stichworte lauten Brexit, Polen und Ungarn, Trump, Putin und Erdogan. Die Grünen als Partei der Rechtsstaatlichkeit und der Bürgerrechte können auch bei diesem brennenden Thema Angebote machen. Wir brauchen ein demokratisches und transparentes Europa und wir müssen uns sehr scharf mit rechtsnationalen bis faschistischen Bewegungen auseinandersetzen. Die wollen den liberalen Rechtsstaat und die offene Gesellschaft aufbohren. Wir haben viel zu verlieren.
Wenn also die Grünen so tolle Leute und so tolle Themen haben, warum dümpeln sie dann in Umfragen bei acht Prozent?
Konstantin von Notz, Grüne
Ich teile nicht diese Verortung an Umfrageergebnissen. Diese wöchentliche Temperaturmessung geht doch an der Wirklichkeit vorbei. Es sind noch sieben Wochen Zeit bis zur Bundestagswahl. Bei den beiden letzten Bundestagswahlen hatten wir bessere Umfragewerte als Ergebnisse, dieses Jahr kann es gut genau anders herum sein. Aber natürlich müssen wir dafür noch hart arbeiten, das ist klar. Entscheidend sind nicht wöchentliche Pegelstände, sondern was am 24. September tatsächlich passiert.
Trotzdem: Wäre Robert Habeck der bessere Kandidat gewesen?
Also eines muss man doch mal festhalten: Wir haben basisdemokratisch legitimierte Spitzenleute. Bei der SPD wurde das 2013 noch von drei Männern ausgekungelt, dieses Mal hat Gabriel es mit sich allein ausgemacht – von der Union mal ganz zu schweigen.
Aber Sie haben Recht: Robert wäre ganz sicher ein sehr guter Kandidat gewesen, deshalb hat er beim Mitgliederentscheid auch ein so tolles Ergebnis bekommen. Aber die knappe Mehrheit hat sich für Cem entschieden, das ist zu respektieren. Deshalb ist diese Kandidatenfrage jetzt müßig. Und außerdem war Robert bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein im Mai neben Monika Heinold unser großes Zugpferd. Für die Grünen im Land und für Schleswig-Holstein ist es gut, dass es hier weiterhin Minister ist.
Und auch für Sie persönlich. Hätte Robert Habeck die Urwahl gewonnen, hätte er Ihnen einen sicheren Listenplatz weggenommen. Wie ist aktuell das Verhältnis zwischen Ihnen beiden?
Unser Verhältnis ist gut. Wir haben es geschafft, mit dieser schwierigen Situation, die einige Medien als Dilemma von Shakespearschen Dimensionen beschrieben haben, so fair umzugehen, dass wir immer noch gute Freunde sind. Da ist nichts in die Brüche gegangen. Hätte Robert die Urwahl gewonnen, hätte ich zurückgezogen. Auch damit hätte ich leben können. Jetzt aber kämpfen wir beide gemeinsam für den grünen Erfolg bei der Bundestagswahl.
In Schleswig-Holstein wollten die Grünen die Küstenkoalition mit SPD und SSW fortsetzen und landeten mit CDU und FDP in Jamaika. Droht Schwarz-Gelb-Grün auch im Bund?
Das halte ich für sehr unwahrscheinlich. Im Bund müssten die Grünen sich dann in einer Vierer-Konstellation bewegen, die CSU wäre ja auch mit dabei. Und mit der wäre es weitaus schwieriger als mit CDU oder FDP, verlässlich zu regieren.
Aber bekanntlich entscheiden ja die WählerInnen über mögliche Koalitionen. Rein rechnerisch dürfte es nur drei Möglichkeiten geben: Die Fortsetzung der Großen Koalition aus CDU und SPD, Jamaika oder eventuell reicht es ganz knapp für Schwarz-Gelb.
Ich bin sicher, dass es nach der Wahl eine große Dynamik geben wird, die Große Koalition fortzusetzen. Es ist einfach saubequem für die Agierenden, im Parlament nicht für Mehrheiten kämpfen zu müssen. Wenn Angela Merkel, Horst Seehofer und künftig dann wohl Martin Schulz zusammen mit den Fraktionschefs hinter verschlossenen Türen im Kanzleramt Beschlüsse fassen, die die gigantische Parlamentsmehrheit dann einfach nur noch umsetzt, ist das eben höchst bequem.
Umso mehr müsste es dann doch im Interesse der Grünen sein, fast schon staatsbürgerliche Pflicht, der CDU Angebote zu machen, die sie nicht ausschlagen kann?
So würde ich es nicht formulieren. Wir werden nicht in Opportunismus verfallen, um die erneute Groko zu verhindern. Es muss um glasklare Inhalte gehen. Der Weg nach Jamaika ist im Bund sehr viel weiter als in Schleswig-Holstein, auch weil er über München führt. Die Union müsste sich sehr stark bewegen.
Welcher potenzielle Koalitionspartner würde Sie persönlich mehr schrecken: CSU oder Linke?
Es gibt ein Gleichgewicht des Schreckens. In meinen Ressorts in der Innenpolitik ist die CSU maximal schwierig, hingegen kann ich mit den Fachpolitikern der Linken sehr gut zusammenarbeiten. Aber natürlich gibt es bei den Linken auch eine ganze Reihe von Leuten, mit denen eine Zusammenarbeit in der Europa- und Außenpolitik schwierig bis unmöglich ist.
Sarah Wagenknecht?
Ja. Frau Wagenknecht hat viel dafür getan, dass Rot-Rot-Grün keine ernsthafte Option ist. Ich persönlich bedauere, dass manche Leute sich im Destruktiven gefallen.
Herr von Notz, Sie sind einer der profiliertesten deutschen Innen- und Justizpolitiker. Was sind für Sie persönlich die politischen Schwerpunkte im Wahlkampf und in der nächsten Legislatur?
Wir müssen zu einer effektiven Sicherheitspolitik kommen, die nicht der repressiven Logik dieser Großen Koalition entspricht. Wir müssen weg von Totalüberwachung und Massenspeicherungen gigantischer Datenmengen, sondern Kriminelle und politische Gewalttäter gezielt bekämpfen.
Die Integrationspolitik muss dringend verbessert und intensiviert werden, vor allem durch mehr, frühere und bessere Sprachkurse.
Und wir brauchen eine grundsätzliche Reform beim Verfassungsschutz. Diese Struktur mit dem Bundesamt und den 16 Landesämtern, die noch aus dem Denken des Kalten Kriegs stammt, muss modernisiert werden. Im Terrorabwehrzentrum sitzen 42 Behörden beieinander, die fast alle V-Leute beschäftigen, die sich wahrscheinlich auch gegenseitig bespitzeln – so geht das nicht. Es gibt in der Innenpolitik viele Baustellen, die wir anpacken müssen, um die Sicherheit für die Bürger zu erhöhen, ohne die Bürgerrechte anzutasten. Da müssen wir ran.
Was würde denn ein grüner Innenminister anders machen?
Er müsste natürlich auch für Sicherheit sorgen. Aber nach Otto Schily und Thomas de Maiziére müsste er eine andere, neue Erzählung haben. Der Innenminister ist auch Verfassungsminister – das ist in den vergangenen 16 Jahren, freundlich gesagt, etwas kurz gekommen.
Zuletzt haben die Ereignisse um den G20-Gipfel in Hamburg gezeigt: Natürlich muss staatliche Gewalt – auch die Arbeit der Polizei und anderer Sicherheitskräfte – immer hinterfragt, aufgearbeitet und wirksam kontrolliert werden müssen. Aber wir brauchen eben auch moderne und bessere Einsatzkonzepte. Denn ein funktionierender Rechtsstaat ist ohne eine gut ausgebildete und gut ausgerüstete Polizei nicht möglich. Diese Modernisierung wäre eine klassische grüne Aufgabe.
Hätte es denn unter einem grünen Bundesinnenminister ein Polizeikonzept wie in Hamburg beim G20-Gipfel gegeben?
Da wird sicher noch Einiges aufzuarbeiten sein. Deshalb jetzt nur soviel: Ich glaube nicht, dass eine Einsatzstrategie, die nicht auf Deeskalation setzt, noch zeitgemäß ist. Und man sollte sich bei Großveranstaltungen nicht überraschen lassen – das gilt für die Love Parade in Duisburg, die Silvesternacht von Köln und eben auch den G20-Gipfel von Hamburg. Daraus sollte man für die nächsten Großveranstaltungen in Deutschland Lehren ziehen.
Zum Schluss zurück nach Schleswig-Holstein: Ein brisantes Thema ist die Fehmarnbelt-Querung. Die Grünen haben dieses Projekt im Jamaika-Vertrag akzeptiert, Sie persönlich lehnen es weiterhin ab. Eine Zerreißprobe zwischen der Partei daheim und ihrem Mann in Berlin?
Nein. Die Argumente gegen die Fehmarnbelt-Querung sind durch einen Koalitionsvertrag nicht weg. Wir haben CDU und FDP nicht davon überzeugen können, dass es sich um ein sinnloses und nicht bezahlbares Projekt handelt. Letztlich liegt es ebenso wie die A20 in der Verantwortung des Bundes, das Land kann da kaum etwas selbständig entscheiden. Deshalb ist in diesem Fall das Papier des Koalitionsvertrags geduldig.
Wird der Tunnel gebaut oder nicht?
Das ist vollkommen offen. Die Investoren müssen nach Ablauf der Widerspruchsverfahren entscheiden, ob es sich lohnt und zeitgemäß ist, zehn Milliarden Euro im Fehmarnbelt zu vergraben.
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