Grünen-Klausur in Weimar: Von nun an Klartext
Das Vorgaukeln einer heilen Koalition hat die Grünen ihren Klimazielen nicht näher gebracht. Jetzt heißt es, den öffentlichen Druck zu erhöhen.
D ie Ampel hat sich ihrer Erzählung entledigt. Zur „Fortschrittskoalition“ hatten SPD, Grüne und FDP nach der Bundestagswahl ihre Koalition erklärt. Von großen Gemeinsamkeiten sprachen sie, von Dynamik mit Schubkraft und von Gegensätzen, die sich ganz wunderbar ergänzten. Dass es damit in der Praxis nicht immer weit her ist, hatte sich schon über die letzten Monate angedeutet.
Mit den Weimarer Wutreden der Grünen haben sich die PR-Formeln im Vorwort des Koalitionsvertrags endgültig erledigt: Während der Klausur der Bundestagsfraktion sparten Abgeordnete, Fraktionsvorstand und Vizekanzler nicht mit offener Kritik an den Koalitionspartnern – bis hin zum von Robert Habeck ausgesprochenen Vorwurf, innerhalb der Ampel würden vertrauliche Verhandlungen wegen „billiger taktischer Vorteile“ bewusst sabotiert.
Schöne Zustände sind das nicht. Das Ende der Fortschrittserzählung ist aber immerhin folgerichtig. Von Beginn an übertünchten die Koalitionsfloskeln, was die Ampel eigentlich ist: ein aus der Not geborenes Bündnis, das zusammengefunden hat, weil für andere Konstellationen die Mehrheiten fehlten. Punktuell gibt es zwischen den Partnern zwar tatsächlich Gemeinsamkeiten.
In vielen Feldern trennt sie hinsichtlich ihrer Interessen und Werte aber einiges; hinsichtlich des politischen Anstands sogar Gewaltiges – man denke nur an den aktuellen Habeck-Putin-Vergleich von FDP-Vize Wolfgang Kubicki. Der realistische Blick auf die Ampel ermöglicht den Grünen immerhin einen Umgang mit den Koalitionspartnern, ohne den sie entscheidende Fortschritte beim Klimaschutz in dieser Legislaturperiode hätten vergessen können.
Appelle an Gemeinschaftssinn und Einsicht fruchten nicht, wenn Interessen und Überzeugungen so fundamental auseinanderliegen, wie sie es zumindest zwischen Grünen und FDP in Fragen der Energiewende tun. In diesem Fall geht es nicht anders, als über die Öffentlichkeit Druck aufzubauen – in der Hoffnung, dadurch ein Einlenken zu erzwingen. Optimal ist dieser Weg natürlich nicht.
Und es ist nicht sicher, dass er sein Ziel erreicht; dass es etwa schon beim Koalitionsausschuss am Sonntag die gewünschten Durchbrüche in der Verkehrspolitik oder bei Vorgaben für klimaverträgliche Heizungen gibt. Die Konfrontation macht die Zusammenarbeit in der Koalition kaum leichter. Von der Öffentlichkeit wird öffentlicher Streit noch dazu selten goutiert. Für die Grünen gibt es in der Ampel im Moment aber nur die Wahl zwischen zwei suboptimalen Optionen. Und eine davon – Nachsicht, Geduld und Gleichmut – ist fürs Erste erkennbar gescheitert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste