Grüne feiern ihren 40. Geburtstag: Da lacht das Establishment
Der Präsident lobt, alte Herren geben sich großväterlich, die Jugend tanzt im Kreis. Und nur die Barkeeperin der etwas steifen Fete will nicht regieren.
Nicht, dass damit hier irgendjemand ein Problem hätte. Also mit dem Aufstehen und Hymne singen. Schließlich sind die Grünen „stolz darauf“, die Demokratie in Regierungen und Parlamenten zu verteidigen, wie Parteichefin Annalena Baerbock zur Begrüßung sagt. Ihr Co-Vorsitzender Robert Habeck fügt hinzu, dass seine Partei „im Zentrum der Gesellschaft“ stehe.
Man tut den Grünen nicht unrecht, wenn man sagt: So ähnlich feiern sie dann auch. Die große Sause zu „40 Jahre Grüne“ und „30 Jahre Bündnis 90“ am Freitagabend im Motorwerk in Berlin-Weißensee geriet zu einer etwas steifen Veranstaltung.
Steinmeier lobt die Grünen so sehr, als spiele er mit dem Gedanken, nach Bellevue eine neue Parteikarriere zu starten. „Die Grünen haben das Land verändert.“ Und umgekehrt. Deutschland sei offener, vielfältiger, menschlicher und moderner in diesen 40 Jahren geworden. „Vor allen Dingen aber ist die Ökologie seit 1980 aus der Politik nicht mehr wegzudenken.“ Mehr noch: Ökologie und Nachhaltigkeit seien zum Maßstab von Politik geworden.
Trittin geht das runter wie kalt gepresstes Olivenöl
Steinmeier findet auch den Wandel der Grünen toll. Der Kompromiss gelte bei ihnen nicht mehr als Verrat, Opposition nicht als die edlere Alternative. Jürgen Trittin habe das – in seinem nicht untypischem Selbstbewusstsein – mal so formuliert: „Wer kann meine Ideen eigentlich besser umsetzen als ich selber?“ Wieder Gelächter.
Happy Birthday, Grüne!
Trittin geht das natürlich runter wie kalt gepresstes Bio-Olivenöl. Er guckt so, wie er guckt, wenn er sich freut, aber keiner es merken soll. Aufgestanden wird dann doch noch, nämlich nach der (wirklich guten) Rede Steinmeiers. Jener nimmt die Standing Ovations mit mildem Lächeln entgegen.
Die Grünen wiederum bemühten sich sehr, Steinmeier gut zu unterhalten. Etwa, indem sie Claudia Roth in der ersten Reihe neben ihm platzierten. Und die weiß nun wirklich, wie man Partys feiert. Wobei Ton Steine Scherben und heutige Grünen-Partys so viel gemein haben wie Spontisprüche mit einer Kretschmann-Rede.
Paartanz zu „Waka Waka“
Bei den Grünen kann es einem passieren, dass gegen zehn vor neun ein flotter Paartanz aufs Parkett gelegt wird, zu “Waka Waka“ von Shakira. Um zehn Uhr läuft dann „Schrei nach Liebe“ von den Ärzten – und die Grüne Jugend bildet einen Tanzkreis vor dem DJ-Pult. Dann ist es in der Regel Zeit zu gehen.
Bevor es zu diesen erbaulichen Szenen kommt, gilt es aber noch „Talkformate“ zu überstehen. Talkformat ist, wenn der Alt-Grüne Christian Ströbele der Neu-Klimaschützerin Luisa Neubauer erklärt, wie man angemessen radikal demonstriert. Oder wenn Joschka Fischer die tapfer fragende Baerbock ignoriert und einfach antwortet, was er will.
Ströbele geht langsam hinter seinem Rollator auf die Bühne, den roten Schal um den Hals gehängt. Er setzt sich auf sein Gefährt, nachdem er die Handbremsen energisch angezogen hat.
Als sie früher auf die Straße gegangen seien, seien alle gegen sie gewesen, erzählt er – die Zuschauer, die Medien, der überwiegende Teil der Bevölkerung. Die Demonstrationen von Fridays for Future hingegen würden akzeptiert und gelobt. Sie hätten Polizisten „höchstens mal von Weitem gesehen“ – wenn sie den Verkehr an einer Kreuzung regelten. „Wir wussten, wo der Gegner steht“, sagt Ströbele. Fridays for Future müssten aufpassen, dass sie nicht vereinnahmt würden.
Das klingt alles etwas großväterlich, aber Ströbele darf bei den Grünen alles. Derlei kann Neubauer sowieso nicht aus der Ruhe bringen. Sie erzählt lässig, wie ihr Siemens-Chef Joe Kaeser bei einem Treffen einen Aufsichtsratsposten angeboten habe. Und dass es recht frustrierend sei, ein Jahr lang mit einem dringend nötigen Anliegen vor den Parlamenten zu stehen, und dann passiere genau: nichts.
Kaeser erteilte sie übrigens – später von dpa befragt – einen Korb. Die Kernfrage seien nicht „irgendwelche Aufsichtsratsgeschichten“, sondern ob Siemens an den Investitionen festhalte, obwohl sie wüssten, welche Konsequenzen dies für das Weltklima habe.
Fischer predigt wie für Störche
Fischers Vermächtnis an seine Partei lautet: „Verdammt nochmal, scheut nicht die Verantwortung. Sucht sie, nehmt sie und setzt sie durch.“ Das ist ein bisschen so, als predige man einer Schar Störche, doch bitteschön, verdammt nochmal, endlich Frösche zu fressen. Im Saal wollen sie alle regieren, die nette Barkeeperin vielleicht ausgenommen, die Störtebecker-Pils umsonst verteilt, bis es aus ist.
Auch in diesem Duo ist die Frau der erfrischendere Part: Neben Fischer steht Aminata Touré, Landtags-Vizepräsidentin in Schleswig-Holstein und die erste Schwarze Frau in einem solchen Amt. Sie erzählt von den Koalitionsverhandlungen für das Jamaika-Bündnis in Kiel 2017. Als Union und FDP bereit gewesen seien, einen Aktionsplan gegen Rassismus und ein humanitäres Aufnahmeprogramm zu akzeptieren, habe sie gedacht: Wir können es zumindest versuchen.
Touré weiß um ihre Doppelfunktion. Sie ist nicht nur Politikerin, sondern auch Role Model. Ihre Wahl sei für Menschen mit Migrationshintergrund, mit Rassismus- oder Fluchterfahrungen ein „krasses Signal“ gewesen, sagt sie. Das Amt sei eine Ehre, sie freue sich jeden Tag, es ausüben zu dürfen.
Solange die Grünen Frauen wie Touré oder Neubauer haben, brauchen sie sich um ihre Zukunft keine Sorgen machen.
Wo ist die eigentlich die CDU?
Die SPD hat gleich mehrere Promis geschickt: Olaf Scholz sitzt in der ersten Reihe. Saskia Esken wird gesichtet, Rolf Mützenich und Kevin Kühnert auch. Von der Linkspartei sind Dietmar Bartsch und Petra Pau da. Aber ach, wo ist die CDU? Kein bekannter Christdemokrat lässt sich blicken, nur Bundesgeschäftsführer Stefan Hennewig soll da sein, aber den würde man wohl eh nicht erkennen.
Alle Partei- und Fraktionschefs seien eingeladen worden, heißt es bei den Grünen, und Kanzlerin Angela Merkel sowieso. Hat die CDU nicht kapiert, dass der Bundespräsident kommt? Hätte nicht wenigstens Paul Ziemiak? Was heißt das für Schwarz-Grün? Man weiß es nicht, und vielleicht ist das auch egal.
Genug der Taktiererei, es ist schließlich eine Feier, und die Band stimmt nun 99 Luftballons an. Bundesgeschäftsführer Michael Kellner zieht sein Jacket aus und krempelt die Hemdsärmel hoch. Katrin Göring-Eckardt wippt sanft mit. Es wird umarmt, geküsst, gelacht. Selbst die seltsame Disziplin „Ich tanze, aber nur da, wo das Fernsehteam filmt“ wird praktiziert.
Ein jeder feiert seine Feste eben so gut er kann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Machtkämpfe in Seoul
Südkoreas Präsident ruft Kriegsrecht aus
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Ineffizienter Sozialstaat
Geteilte Zuständigkeiten
Gesetzentwurf aus dem Justizministerium
Fußfessel für prügelnde Männer
Europarat beschließt neuen Schutzstatus
Harte Zeiten für den Wolf