Kolumne Die eine Frage: Er machte es, weil er es konnte
War Joschka Fischer wirklich der letzte Rock'n'Roller? Eine Würdigung zum siebzigsten Geburtstag des einzigen grünen Außenministers ever.
J oschka Fischer steht für das, was wir sind. Und das nehmen ihm manche übel. Ah, Moment, jetzt höre ich schon die ersten Zwischenrufe: „Mit Verlaub, Herr Kolumnist, Sie sind ein Arschloch.“ In diesem Denken ist Fischer so geworden, wie die Bösen, gegen die man einst gemeinsam kämpfte. Erst Krieg geführt, dann viel Geld verdient, und stets ein Kotzbrocken. Während man selbst aufrecht und integer geblieben ist. Nun ja, für Selbstbetrug kann nicht belangt werden. Aber ich würde jetzt für die offenen Ohren gern meine Argumentation vortragen.
Fischer, der in dieser Woche 70 wurde, ist ein „Deutscher durch und durch“, wie er im taz FUTURZWEI-Gespräch sagte. Das bedeutet 2018 etwas ganz anderes als 1968. Es bedeutet ein Europäer und ein Verteidiger der res publica zu sein – und zwar ohne Wenn und Aber. Das Problem mit diesem liberal-europäischen Deutschland haben heute Gauland und die Nationalisten.
Fischer ist das Role Model für die Entwicklung dieser Demokratie und des Teils der Gesellschaft, der 1968 als Beginn von etwas Besserem, weil Liberalem, Emanzipatorischem und Anti-Autoritärem versteht. Dass er den gesellschaftlichen Fortschritt innerparteilich mit autoritären Methoden vorangebracht hat, gehört zu den Widersprüchlichkeiten des menschlichen Lebens.
Unangenehmes zugemutet
Was die Grünen angeht, so heißt es jetzt im unnachahmlichen Partei-Sound, er habe ihnen „Unangenehmes zugemutet“. Äh, ja, nämlich die Realität. Das war der radikale Paradigmenwechsel, durch den die Partei heute noch existiert. Was auch er bei allen Verdiensten, angefangen von der Ditfurth-Verabschiedung, nicht geschafft hat: Die Grünen kulturell und professionell so zu entwickeln, dass sie nach 40 Jahren bei Bundestagswahlen auch nur knapp zweistellig wären.
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Und damit zum Kern der Fischer-Story: Er hat sein Ding durchgezogen. Weil er es konnte. Ihm ströme heute aus jeder Pore, dass seine Zeit als ungelernter Taxifahrer für ihn schon in den frühen 70ern nur eine Station auf dem Weg ins Außenministerium war. Sagte Robert Habeck, der Vorsitzende der Grünen, unlängst beim taz-Gespräch mit Heinz Bude und mir in Leipzig. Im Grunde, ich paraphrasiere aus dem Gedächtnis, hätten der rotgrüne Außenminister und sein Cohiba-Kanzler Schröder die Erzählung der jungen wilden Kerle gelebt, die seit der Romantik die führende sei: Selbstverwirklichung ist, die Welt mit der mehrheitsfähigen Kraft einer Sehnsucht nach seiner Vorstellung zu formen, damit man am Ende das hat, individuell und gesellschaftlich, was man anstrebt – und irgendwie gelingt das auch. Aber dafür muss man selbst auch von dieser Welt sein.
Kein Masterplan
Das ist überhaupt nicht nur positiv. Aber das machte Joschka Fischer wirklich zum letzten Rock' n Roller. Denn das ist vorbei. Niemand kann im 21. Jahrhundert auch nur annähernd mit seinem Masterplan kommen, nach dem die Realität sich zu richten hat. Und es gibt in einer liberalen, emanzipierten, ausdifferenzierten Gesellschaft keinen vergleichsweise simplen gemeinsamen Traum, wie es 1968 das befreite eigene Leben war. Dafür einen Aufhebungs-Traum von der autoritären Seite, der in Europa und anderswo an Dynamik gewinnt, eine neue Weltordnung und eine neue chinesisch dominierte Wirtschaftsordnung. Es geht jetzt um die Grundpfeiler unserer Welt und auch knallhart darum, ob es unsere bleibt.
Heute fangen die Grünen in Berlin an, über ihr neues Grundsatzprogramm zu sprechen. Es wäre für manche eine Horrorvorstellung, wenn Fischer urplötzlich dort auftauchen und einen seiner Welterklärungsmonologe halten würde, beginnend mit dem 30jährigen Krieg. Aber genau das wird jetzt als Grundlage gebraucht.
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