Gothic-Thriller auf Netflix: Die Schwermut der Detektive
In „Der denkwürdige Fall des Mr Poe“ müssen Morde an einer Militärakademie aufgeklärt werden. Doch der Film ist etwas konventionell erzählt.
„Der Tod einer schönen Frau ist wahrlich das poetischste Thema der Welt“, schrieb Edgar Allan Poe in seinem Essay „Die Philosophie der Komposition“. Im Gothic-Thriller des Regisseurs Scott Cooper („Antlers“) wird der Großmeister des Obskuren zum Teil einer erdachten Geschichte, die nahelegt, wie es zu diesem Urteil gekommen sein könnte.
In „Der denkwürdige Fall des Mr Poe“ tritt er als Kadett an der Militärakademie in West Point im Bundesstaat New York in Erscheinung, eine Einrichtung, der Poe in jungen Jahren kurzzeitig angehörte. Dort wird er zum Gehilfen von Augustus Landor (Christian Bale), der im Jahr 1830 beauftragt wird, den mysteriösen Tod eines Soldaten zu untersuchen. Landor, mindestens so ruppig wie abgehalftert, ist eine recht stereotype Ermittlerfigur und dient dem Film – anders als der Titel suggeriert – als eigentlicher Protagonist.
Unglücklicherweise, denn als solcher hat er wenig Überraschendes an sich: Selbstredend gibt es ein großes Geheimnis, das ihn zu dem Mann voller Bitterkeit gemacht hat, der er heute ist. Natürlich neigt er deswegen dazu, zu viel zu trinken und insbesondere gegen Autoritätspersonen aufzubegehren.
Aber wie zu erwarten, verbirgt sich unter dieser harten Schale schließlich eine verletzliche Seite, die in den gemeinsamen Stunden mit Wirtsfrau Patsy (Charlotte Gainsbourg) zum Vorschein kommt. Zur natürlichen Ordnung der immer gleichen Detektivgeschichte gehört zudem, dass er am Ende durch brillanten Instinkt besticht.
Schweigekodex der Kadetten
Was der auf einem Roman von Louis Bayard basierenden Handlung dennoch eine gewisse Individualität verleiht, ist all das, was durch den Poe’schen Kosmos in sie einfließt. Bereits die Todesumstände des Kadetten gehören dazu. Wie sich zeigt, wurde diesem nicht nur mit chirurgischer Präzision sein Herz entfernt, sondern, wie Striemen am Hals der Leiche nahelegen, zuvor stranguliert. Die Ermittlungen, für die Landor den Soldaten Poe (Harry Melling) hinzuzieht, um trotz des Schweigekodex der Zöglinge an Erkenntnisse zu gelangen, legen bald ein okkultes Opferritual nahe.
„Der denkwürdige Fall des Mr Poe“. Regie: Scott Cooper. Mit Christian Bale, Harry Melling u. a. USA 2022, 128 Min. Läuft auf Netflix
Spannend sind die Krimi-Elemente allerdings nicht, recht früh lässt sich erahnen, wer in die mysteriösen Vorfälle involviert sein könnte. Interessanter gestalten sich die Szenen, die die Persönlichkeit des berühmten Poeten ergründen. Etwa die Anziehung, die er gegenüber Lea Marquis (Lucy Boynton), der Schwester eines Kadetten, empfindet und wie er trotz seiner Stellung als schmächtiger, oftmals verlachter junger Mann ihre Zuneigung gewinnt.
Beide sind von eher kränklicher Gesundheit und voller Begeisterung für das Schwermütige und Tiefschürfende. Es scheint schnell eine tiefe Verbundenheit zwischen ihnen zu entstehen.
Ebenso wie der Film die gemeinsame Zeit mit Landor als eine Inspirationsquelle für Poes spätere Zuwendung zu Detektivgeschichten imaginiert, kann man in der folgenreichen Verliebtheit eine Motivation für Erzählungen wie „Ligeia“ oder „Morella“ lesen. Dass Poe hier durchaus zu einer Figur wird, der man gerne folgt, liegt zudem an Harry Mellings überzeugendem Spiel, seinem ständig leicht gequälten Gesichtsausdruck, der stark an die historische Vorlage erinnert.
Das und die genretypisch unheilvolle Atmosphäre reichen allerdings nicht aus, um „Der denkwürdige Fall des Mr Poe“ zu einem gelungenen Film zu machen. Die Spielzeit von knapp über zwei Stunden besitzt zahlreiche erzählerische Schwächen, sodass man es beinahe bedauert, dass für diese recht routinemäßige Produktion ein so exzeptioneller Poet wie Mr Poe bemüht wurde.
„Der denkwürdige Fall des Mr Poe“. Regie: Scott Cooper. Mit Christian Bale, Harry Melling u. a. USA 2022, 128 Min. Läuft auf Netflix
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit