Oper nach Edgar Allan Poe in Hannover: Im inneren Gefängnis

Den Schrecken stiftet immer die Vergangenheit: Philip Glass' Oper „Der Untergang des Hauses Usher“ wird in Hannover gespielt.

Ein Mann liegt mit verzweifeltem Gesichtsausdruck am Rand einer weißen Fläche, im Hintergrund ist sein Gesicht übergroß projiziert nochmal zu sehen, mit auf die Haut Geschriebenem

Gepeinigt von Gespenstern – oder doch einfach vergangenem Trauma? Peter O'Reilly als Roderick Usher Foto: Clemens Heidrich

Der Text ist ein Problem. Mit seinem „Untergang des Hauses Usher“ mag der Fantastiker Edgar Allan Poe allerlei eigene stilistische Prinzipien umgesetzt und Zutaten gestiftet haben, die das Genre bis heute bestimmen. Aber die 1839 zuerst veröffentlichte Geschichte prägt gerade auch allerlei, das nicht drin steht.

Arm wiederum ist sie an dramatisch einzusetzendem Personal: Ich-Erzähler, Hausherr mit siecher Schwester – fertig. Nein, Moment: Den Arzt der Ushers und einen Diener erwähnt Poe noch, aber da haben der marode Stammsitz und die Sümpfe drumherum ja tragendere Rollen.

Daraus eine Oper machen, ausgerechnet? Doch, ja: Claude Debussy hat sich daran versucht, verstarb aber vor Fertigstellung; beziehungsweise, dem Stoff angemessen: Er wurde begraben – war er aber auch tot?! Weiter gekommen ist Jahrzehnte Später der zeitweise in Hamburg lehrende Manfred Stahnke: Seine Poe verarbeitende mikrotonale Kammeroper wurde 1981 immerhin in Kiel uraufgeführt.

Wird der Niedergang der Ushers aber heute irgendwo gespielt und gesungen, dann in Gestalt der Kammeroper von Philip Glass, Musik, und Arthur Yorinks, Libretto. In dem Zweiakter hat der Erzähler einen Namen erhalten, William. Die Nebenfiguren sind aufgewertet und überhaupt wird Fleisch beigefügt, wo Poe Lücken gelassen hatte.

Psychologisierende Lesart

In Hannover nun klärt Regisseurin Victoria Stevens die vielleicht zentrale Frage – wie real ist das Geschehen – nicht abschließend. Das nähme dem Ganzen aber auch gehörig Reiz. Zusammen mit Bühnenbildnerin Anna-Sofia Kirsch entscheidet sie sich für eine Art psychologisierende Lesart.

Wichtiger als die Frage, ob Roderick ­Usher (Peter O’Reilly) nun überhaupt eine Schwester (Petra Radulović) hat und ob diese lebendig begraben wurde, ist: Was wurde Roderick einst Schlimmes angetan – und welche Rolle spielt der fremd gewordene Freund William (Lluís Calvet i Pey) dabei?

Zentrales Bühnenelement ist ein weiß gerahmtes schwarzes Quadrat – ja, es darf an Kasimir Malewitsch gedacht werden; es stellt sich als Abgrund heraus, in den hinabgestiegen oder -gefallen werden kann, an dessen Rand sich aber auch die Dauer einer inneren Gefangenschaft markieren lässt: mit vertikalen und diagonalen Strichen.

Weitere Vorstellungen: 12., 24. + 26. 11., jeweils 19.30 Uhr, Hannover, Ballhof Eins

Verzichtbar wäre der Versuch, auf Monitoren und im Hintergrund per Bild- und auch mal Textfragment die inneren Vorgänge der Personen zu erklären: Wer nicht einigermaßen kenntnisreich, was die Handlung angeht, ins Theater kommt, den stellen diese Einsprengsel wohl vor allem vor noch mehr Rätsel.

Die von Weitem erkennbare Glass’sche Minimal Music in kleiner Besetzung spielt ein konzen­triertes Ensemble unter Leitung von Carlos Vázquez. Beim Premierenpublikum brachte sie manchen Kopf zum Nicken – auch kein selbstverständlicher Anblick bei Opernpublikum.

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