Gelungenes Grusel-Theater in Bremerhaven: Im Haus, da sind Gespenster

Schlüsseltext des Gruselgenres, sehr gelungen dramatisiert: Edgar Allan Poes „Der Untergang des Hauses Usher“ am Stadttheater Bremerhaven.

Eine Frau und ein Mann, beide in Schwarz und mit sehr blaser Haut und langen, helllonden Haaren

Verhältnis nicht ganz klar: Roderick (Leon Häder) und Madeline Usher (Julia Lindhorst-Apfelthaler) Foto: Manja Herrmann

Horrorfilm-Soundtrack-Synthesizer­sounds knarzen aus den Lautsprechern, vier TV-Geräte, noch mit Röhre, flimmern anfangs, so wie damals in Tobe Hoopers „Poltergeist“: Die zunächst deutlichsten Marker für Gegenwärtigkeit, da auf der kleinen Bühne des Stadttheaters Bremerhaven, sie sind trügerisch, denn längst sind ja die 80er-Jahre selbst Lieferanten geworden für zitierfähiges Material und auch mal plumpe Anspielung.

Hier aber funktioniert’s, beansprucht nicht zu viel Aufmerksamkeit und trägt vielmehr doch recht wirksam bei zur latenten Beunruhigung, die Justine Wiechmann im Sinn hatte für ihre Bearbeitung von Edgar Allan Poes „Der Untergang des Hauses Usher“.

Dieser bis heute wirkmächtige, etliche Eckpunkte (und manches zum Klischee Gewordene) des Gruselgenres erstmals liefernde Text bringt für seine dramatische Bearbeitung allerlei Herausforderungen mit sich: Es passiert einfach ziemlich wenig in der 1839 veröffentlichten Ausgangserzählung; Poe ergeht sich in adjektivsatter Beschreibung der unheimlichen Szenerie, durch die dann eine Handvoll teils nicht mal skizziert zu nennender Figuren, tja, spukt?

Noch die 1990er-Jahre-Opernfassung von Komponist Philip Glass, Libretto: Arthur Yorinks, spät im vergangenen Jahr etwa in Hannover auf dem Spielplan, machte aus der relativen Figurennot eine Art musiktheatrale Tugend: Die einerseits so zentrale, andererseits merkwürdig flüchtig gebliebene Figur der Madeline Usher bekommt da eine Singstimme, aber keinen Text.

Weitere Termine: Do, 20. 4. (nur Restkarten); 13. + 19. 5.; 7. + 13. 6., jeweils 1.30 Uhr, Stadttheater Bremerhaven, Kleines Haus.

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Der Bremerhavener Bühnenfassung – nicht weiter verwandt mit der Glass-Oper – ist anzumerken: Sie interessiert sich für diese einzige Frau auf der Bühne. Also haben Regisseurin Wiechmann und Dramaturgin Elisabeth Kerschbaumer Poes Ausgangsstoff angereichert mit allerlei Naheliegendem und manch sich Aufdrängendem: Sehr geschickt wechseln nun der Ich-Erzähler (Marc Vinzing) und sein alter Schulfreund Roderick Usher (Leon Häder) in anderes von Poe, aber genauso vom deutschen Groß-Grusel-Pendant E.T.A Hoffmann; der „Dracula“ habe einen Auftritt, ließen die Macherinnen vorab wissen, ebenso Texte Lord Byrons, Shakespeares, gar Goethes. Diese Materialvermehrung ist sehr elegant gelungen, um nicht zu sagen: All die Stücke unterschiedlicher Herkunft sind besser miteinander vernäht, als das einst bei Viktor Frankensteins Monster die Leichenteile waren.

Weggelassen sind die beiden im Text kurz durchs sumpfgrastrübe Bild huschender Nebengestalten, Ushers Arzt und sein Diener. Und umso realer, weil sprechender, lachender, interagierender darf nun Madeline (Julia Lindhorst-Apfelthaler) auf An­dreas Schmitz’ Bühne in Erscheinung treten: So blass und blond wie ihr Bruder ist sie, und dann tragen beide auch ziemlich ähnliches, sachte Fetischparty evozierendes eng anliegendes Schwarz – das lässt an die Ästhetik skandinavischer Black-Metaller erinnert oder auch die gefallenen Elben in der Herr-der-Ringe-Verästelung „Die Ringe der Macht“.

Aber vor allem nährt es auch ein Gedankenspiel: Sind die beiden vielleicht doch ein und dieselbe? Oder hocken sie einfach schon ungesund lange unter Ausschluss irgendwelcher Öffentlichkeit aufeinander, hier in diesem gottverlassenen Gemäuer?

Dahingestellt, ob sich hier so sehr gruseln lässt, wie es der heutige Stand des Horrorgenres den Menschen beigebracht hat: Ein Effekt des angereicherten „Untergangs“ ist, dass die Inszenierung auch für jene im Publikum gut funktionieren kann, die eigentlich wissen, was kommt. Spiel und Text, Bühne, Sound und Licht greifen wirkungsvoll ineinander, und so ist den jungen Ma­che­r*in­nen am Ende ein ja: auch überraschend kurzweiliger Abend gelungen.

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