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Gewalt von Siedlern im WestjordanlandInternationaler Druck gefragt

Judith Poppe
Kommentar von Judith Poppe

Immer frecher treten Sied­le­r*in­nen im Westjordanland auf. Die Perspektive auf die künftige rechtsextreme Regierung gibt ihnen Rückenwind.

Brenzlig: Israelische Soldaten bei einer Massenkundgebung nationalreligiöser Siedler in Hebron Foto: Mussa Issa Qawasma/reuters

K einer weiß genau, welchen Einfluss der Wahlsieg Netanjahus mit seinem extrem rechten und religiösen Bündnis auf die Situation im Westjordanland haben wird. Einige aus dem linken israelischen Lager kommentieren zynisch, es sei schwer vorstellbar, wie sich Lage noch verschlechtern kann. Doch auch sie sind extrem besorgt, denn eigentlich wissen sie: Es geht noch viel schlimmer.

Benjamin Netanjahu und der rechtsextreme Siedler Ben Gvir, der mit Bezalel Smotrich und der gemeinsamen Liste Religiöser Zionismus 14 Sitze gewonnen hat, haben sich bereits darauf geeinigt, eine Reihe von Außenposten – von Rechten „junge Siedlungen“ genannt, die auch unter israelischem Recht vorerst illegal sind – zu legalisieren. Radikale Sied­le­r*in­nen dürften sich, wie bei den Angriffen am Wochenende in Hebron, durch die neue politische Führung in ihren Bestrebungen bestätigt fühlen.

Eine massive Zunahme von ohnehin seit Jahren steigender Siedlergewalt ist vorprogrammiert. Weit oben auf der Agenda, so einige, die an den Sondierungsgesprächen beteiligt sind, stünde die Annexion des Westjordanlandes; des Weiteren eine Lockerung der Regeln, ab wann Sol­da­t*in­nen und Po­li­zis­t*in­nen schießen dürfen. Im Wahlkampf hatte Ben Gvir versprochen, Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen auszubürgern, die in Zusammenhang mit Terrorismus gebracht werden.

Wie die Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen in Zukunft agieren werden, ist schwer abzusehen. Die Entwicklungen hängen nicht allein an Israel, sondern auch am mit autoritärer Hand herrschenden Palästinenserführer Mahmoud Abbas. Doch die Befürchtung, dass sich die ­palästinensische Seite nach dieser jüngsten Wahl noch weiter radikalisieren wird, ist alles andere als weit hergeholt.

Wie weit die noch zu bildende israelische Regierung mit ihren Forderungen kommt, hängt nun vor allem am internationalen Druck. Auch für die deutsche Politik ein hervorragender Moment, sich zu überlegen, wie sie mit den rechtsextremen Mi­nis­te­r*in­nen in spe und ihrer Regierung in Israel umgehen wird.

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Judith Poppe
Auslandsredakteurin
Jahrgang 1979, Auslandsredakteurin, zuvor von 2019 bis 2023 Korrespondentin für Israel und die palästinensischen Gebiete.
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12 Kommentare

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  • Eine neue Theokratie?

    Zitat: „Keiner weiß genau, welchen Einfluss der Wahlsieg Netanjahus mit seinem extrem rechten und religiösen Bündnis auf die Situation im Westjordanland haben wird.“

    Was der israelischen Politik nach dem abermaligen Wahlsieg des Likud blüht, hat Rabbi Chaim Druckman, der „spirituelle Chef der ultra-religiösen und rechtsextremen Partei „Hatzionout HaDatit“, künftiger Koalitionspartner Netanjahus, unmißverständlich klargemacht: die Transformation Israels von einem demokratischen in einen halaschischen Staat, vulgo eine Theokratie. Der Rabbi fordert überdies das Ansiedlungsrecht aller Juden in den okkupierten Palästinenser-Gebieten: „Dieser Boden ist der Boden Israels, und auf dem Boden Israels haben die Juden das Recht, sich überall niederzulassen“, so der Rabbi gegenüber der Tageszeitung „Yisrael Hayom“ . Er wird dabei von Parteichef Bezalel Joel Smotrich unterstützt, der im neuen Kabinett das Verteidigungsressort beansprucht.

    Zu den programmatischen Forderungen der ultra-rechten Parteien an den künftigen Premierminister Netanjahu gehört die strikte Geschlechtertrennung bei allen Zusammenkünften im Öffentlichen Raum oder wenn sie auch nur teilweise mit Steuergeldern unterstützt werden.

    Der scheidende Premier-Minister verglich diese Forderungen mit den diskriminierenden frauenfeindlichen Zuständen im Iran. Der Parteichef von „Yisrael Beytenu“, Avigdor Liberman, sieht in solchen Visionen den Versuch, Israel in „einen Ayatollah-Staat“ zu verwandeln. (Quelle: „Times of Israel“ v. 20. 11. 2022)

  • Wenn man sich fragen würde,woher der name Judäa kommt gäbe es keine Diskussion über Besatzung oder nicht , denn schließlich ist das Judentum schon seit über 3000 jahren dort !

    • 6G
      655170 (Profil gelöscht)
      @c.c.:

      Merken Sie nicht, was für ein Unsinn dieses "Argument" ist?



      Oder muss ich Sie zur Differenzierung auf Nordamerika verweisen?



      Oder auf Südamerika?



      Oder auf Australien?



      Südafrika?



      Was dort (in den Siedlergebieten) seit Jahren passiert, ist Landraub.



      Gedeckt von den israelischen Regierungen - in unterschiedlichem Maß, aber immer gedeckt.



      Und gottlob auch in Israel alles andere als unumstritten.



      Weil Menschen mit Vernunft und Gewissen verstehen, dass so etwas verwerflich ist und weil ich ganz bestimmt keinen Frieden schaffe, wenn ich meinem Nachbarn sein Land gewaltsam wegnehme.

      • @655170 (Profil gelöscht):

        "Oder muss ich Sie zur Differenzierung auf Nordamerika verweisen?"

        Moderne Palästinenser sind Nachfahren von arabischen Eroberern. Historische Palästinenser waren europäische Eroberer.

    • @c.c.:

      Eine sehr zwiespältige Sicht - schon immer! Mit dieser Begründung können Afrikaner den gesamten europäischen und auch den asiatischen Kontinent für sich beanspruchen, da die Besiedlung dieser Kontinente durch afrikanische Nomaden erfolgte...



      Ich denke, so kommt man nicht weiter.

    • @c.c.:

      Mit dieser Begründung könnte Meloni Rumänien annektieren... aus historischen Siedlungsgebieten der Antike lassen sich wohl kaum völkerrechtswidrige Landnahmen in der Gegenwart legitimieren.

    • @c.c.:

      Christen gab's auch hie und da und dort in den letzten 2000 Jahren - na und? Gilt für die einen internationales Recht und für die anderen das was sie sich raussuchen und dann in Anspruch nehmen? Nein sicher nicht.

    • @c.c.:

      Dann dürfen sich die Römer auch Germanien wieder bis zum Limes nehmen? Hoffentlich erfährt das Frau Meloni nicht

      • @rolf platiel:

        Die Germanen waren vor den Römern da, so wie die Juden vor den Palästinensern da waren.

  • Ja, die Lage ist finster. Die Menschen aus dem linken israelischen Lager beneide ich kein Bisschen.

  • Welch ein Drahtseilakt kritik an israelischer Politik und deren Machtmissbrauch zu nennen ohne einen Shitstorm hervorzurufen. Sehr gut geschrieben. Zumindest wurde angedeutet weshalb israelische Kritik an Russlands Eroberungskrieg lau bleibt. Die Politiker in Israel müssten ihr eigenes Handel mit anklagen.

    • @Ramaz:

      "Zumindest wurde angedeutet weshalb israelische Kritik an Russlands Eroberungskrieg lau bleibt."

      Die Kritik bleibt "lau", weil in Russland noch relativ viele Juden leben und Russland eine Militärbasis in Syrien hat.