Geplantes Treffen von Putin und Trump: Frieden zum Ausverkauf
In Kyjiw, Odessa und an der Front diskutieren Ukrainer*innen über Trumps Treffen mit Putin. Sie haben Angst vor dem Verlust ihres Landes.

In den Kassenschlangen eines Supermarktes der ukrainischen Hauptstadt Kyjiw gibt es an diesem frühen Sonntagabend nur ein Thema: Das Treffen zwischen US-Präsident Donald Trump und Russlands Staatschef Wladimir Putin, welches kommenden Freitag im US-Bundesstaat Alaska stattfinden soll. Die Menschen sind sichtlich in Rage. „Trump spricht von einer Art Tausch unserer Gebiete gegen ihre. Was sind denn ‚ihre‘ Gebiete?! Es gibt nur unser Land, das von den Russen besetzt ist“, sagt ein Mann.
Dass die Ukraine und Russland jetzt bei den Verhandlungen auf eine Stufe gestellt werden, empört viele Ukrainer*innen. Für die meisten ist die Verteidigung ihres Landes eine Frage des Überlebens ihres Staates und ihrer Nation. Während es für Russland schlicht um Eroberung geht. Diese Gleichsetzung, so die weit verbreitete Meinung in der Ukraine, führe die Welt in die Irre.
Unterdessen bombardiert die russische Armee weiterhin fast täglich ukrainische Krankenhäuser, Bahnhöfe und Wohngebiete. Am Sonntag wurden in Saporischschja der Busbahnhof und die Uniklinik angegriffen, es gab mindestens 19 Verletzte, einige davon schwer. Der Terror hört nicht auf. Zu viele Opfer sind gefallen, um dem Angreifer ihr Land zu überlassen.
Frontsoldat Andrij sagt am Telefon: „Wenn die USA als Reaktion auf unsere Weigerung, unsere Gebiete an den Aggressor abzutreten, ihre Hilfe einstellen, haben wir die Pflicht, dies durch Motivation, technologische Aufrüstung und schnelles Handeln zu kompensieren“, sagt er.
Alle reden über das Treffen
Nicht nur er beobachtet, dass die Nerven der Bewohner*innen der Frontgebiete, die täglich beschossen werden, blank liegen. Alle sehnen sich nach Frieden – auch Binnenflüchtlinge, die trotz zerstörter Häuser von Rückkehr träumen.
Auch im Innenhof einer Kyjiwer Plattenbausiedlung reden die Menschen über den Krieg. „Lasst sie schnell unterschreiben, ich habe keine Kraft mehr“, sagt einer, doch ein anderer räumt ein: „Solange der Aggressor nicht nach dem Völkerrecht bestraft wird, wird er nicht zurückweichen und irgendwann einen neuen Krieg beginnen.“
Die Spaltung der Gesellschaft, die die russische Propaganda in den sozialen Netzwerken zu schüren versucht, ist auf den Straßen der ukrainischen Städte nicht zu spüren. Soldat Andrij sagt: „An der Front herrscht nur eine Stimmung vor: weiterzukämpfen. Das Leben im Hinterland geht weiter, ohne Unterstützung von dort würde die Front zusammenbrechen.“
Gleichzeitig leugnet Andrij nicht, dass es interne Probleme gibt: „Es ist schlimm, dass der innere Feind – korrupte Machthaber – in solch schwierigen Zeiten der eigenen Armee und dem Land Steine in den Weg legt. Aber es ist gut, dass sich die Gesellschaft konsolidiert, insbesondere die Jugend, die die Bürgerrechte und die Demokratie verteidigt. Aber immerhin hat die Öffentlichkeit, die eine Schwächung der Antikorruptionsorgane nicht zulassen wollte, gesiegt.“
Auch in Odessa wird über die US-Initiativen gesprochen. Der Enthusiasmus über einen möglichen Waffenstillstand ist gering. „Wir machen schon Witze über Trumps viele Fristen – zu viele, um sie ernst zu nehmen. Es ist wie mit Wahlversprechen. Man würde gerne daran glauben, aber weiß schon vorher, dass es so nicht kommen wird.
Vor allem der Glaube an den allmächtigen Westen schwindet immer mehr. Denn es sieht gerade nicht nach Verteidigung der Weltordnung aus, sondern nach einem Feilschen um besetzte Gebiete. Und auch um noch nicht besetzte. Können Sie sich vorstellen, dass wir gezwungen werden, Teile unseres Staatsgebietes aufzugeben, die Russland noch nicht einmal erobert hat? Sind das wirklich diese berühmten westlichen Werte?“, fragt Artur aus Odessa.
Die Bedingungen des „kollektiven Westens“
Die Ukrainer*innen wissen nur wenig Genaues über die Bedingungen des „kollektiven Westens“ für einen Waffenstillstand. Es gibt bislang nur ein paar inoffizielle Informationen aus polnischen Quellen. Konkrete Bedingungen stellt bisher nur Russland, das sagt: „Überlasst uns die Gebiete, hebt die Sanktionen gegen uns auf, verbietet der Ukraine eine große Armee, macht Russisch in der Ukraine zur zweiten Staatssprache und nehmt die Ukraine auf keinen Fall in die Nato auf.“ Schlicht und ergreifend also: Gebt auf!
Während die EU und die USA dazu vor allem beschwichtigen: Putin habe versprochen … Man solle nicht zu viel erwarten … Vielleicht solle man die Gebiete einfach abtreten, wenn Putin das so wolle. Das, was die Ukrainer*innen aus der demokratischen Welt hören, ist wenig erbaulich.
Auch der Odessit Anton ist ernüchtert: „Ich bin fest davon überzeugt, dass jedes Szenario diplomatischer Bemühungen der USA, die sie in irgendeiner Form gegenüber Russland unternehmen, für Russland selbst vorteilhafter ist als für die USA oder die Ukraine. Es sorgt für eine illusorische,Entspannung', die auf den Erwartungen der Welt basiert“, sagt er.
Für Menschen aus der Ostukraine haben die aktuellen Nachrichten noch mal eine ganz andere Bedeutung. Die Menschen bangen um ihr Eigentum, obwohl es auch viele gibt, die nichts mehr zu verlieren haben. So wie die aus dem ostukrainischen Luhansk geflüchtete Walerija, die jetzt in Odessa lebt. „Ich bin mit der Besatzung nicht einverstanden und werde auch in Zukunft nicht damit einverstanden sein. Unsere Heimat, in dem ein Teil meiner Familie geblieben ist, ist bereits besetzt. Ich habe kein anderes Zuhause.“ Und so wie Walerija gibt es Millionen.
Laut aktuellen Meinungsumfragen steigt in der Ukraine die Zahl derer, die einen Waffenstillstand befürworten, stetig an. In einer Umfrage, die Anfang Juli vom Gallup-Institut durchgeführt und am 7. August veröffentlicht wurde, sprachen sich 69 Prozent der Befragten für eine rasche Beendigung des Krieges durch Verhandlungen aus, nur 24 Prozent waren für ein Weiterkämpfen bis zum Sieg.
Aus dem Russischen Barbara Oertel und Gaby Coldewey
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