Geplante Lauterbach-Entführung: Wirre Reichsbürger-Telefonate

Rechte wollten 2021 Karl Lauterbach entführen und die Regierung stürzen. Beim Prozess wird klar, wie absurd ihr Plan war.

Gerichtssaal mit einem Angeklagten in weinrotem Outfit, bneben ihm stehen zwei Polizisten, einer von ihnen ist mit Handschellen an den Angeklagten gekettet

Zum Prozessauftakt wird ein mutmaßliches Mitglied (M) der Terrorgruppe „Vereinte Patrioten“ in den Verhandlungssaal gebracht Foto: Boris Roessler/picture alliance

KOBLENZ taz | Es sind aufschlussreiche Telefongespräche, die der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Koblenz an den beiden Verhandlungstagen in dieser Woche abgearbeitet hat. Wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung und der Vorbereitung einer schweren Gewalttat sitzen Elisabeth R., 75, und ihre vier Mitstreiter seit Mitte 2023 auf der Anklagebank. Im Januar 2022, mitten in der Pandemie, sollen sie einen Staatsstreich geplant haben. Bei einer Verurteilung drohen ihnen langjährige Gefängnisstrafen.

Aus den abgehörten Telefonaten geht hervor, wie absurd die Pläne der Angeklagten waren: In einer „militärischen Operation“ sollte der ­wegen seiner Coronapolitik in der „Reichsbürger“-Szene verhasste Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, „Klabautermann“ genannt, entführt werden. Dafür seien „10 bis 15 bewaffnete Kräfte“, erforderlich, sagt der Angeklagte Sven B. in einem der abgehörten Gespräche.

Überlegungen seiner Mitstreiter, beim geplanten Sturz der Regierung gleich 20 Verantwortliche „einzusammeln“, weist er als unrealistisch zurück: „Hör auf zu träumen!“, ruft er seinem Kumpanen zu: „40.000 Mann unter Waffen, wo willst Du die hernehmen?“ Lauterbachs Personenschützer werde man „ausschalten“ müssen.

Nach der geplanten Machtübernahme sollte sich die promovierte Theologin R. mit einem Brief an „P.“ wenden und ihm die Kooperation mit der neuen Regierung anbieten, erläutert sie ihren Mitstreitern. „Gemeint ist Wladimir Wladimirowitsch Putin“, erklärt Sven B. dem Gericht redselig. R. wollte im Namen der neuen Staatsführung Putin in der Ukraine freie Hand anbieten und eine Konferenz nach dem Vorbild des Wiener Kongresses anregen, bei der eine neue Friedensordnung entstehen sollte. Das Ziel: die Verfassung des Kaiserreichs von 1871 wieder in Kraft zu setzen.

Sind die Angeklagten überhaupt zurechnungsfähig?

In den abgehörten Telefonaten häufen sich rassistische, frauenfeindliche und antisemitische Bemerkungen. So klagt Sven B., zum Holocaustgedenken sei vor dem Reichstag die „Judenfahne“ gehisst worden; er meint die Fahne Israels. Am Tag X werde man sich „das Frauen­wahlrecht zurückholen“, sagt er an anderer Stelle.

Wenn Sven B. am Telefon über die martialische Bewaffnung der Truppe spricht, klingt das zwar flapsig. Doch mit „Eisen und Blech“ fordert er effektive und gefährliche Waffen. „Wenn das Ding losgeht, bin ich am Arsch!“, sollen die Gegner denken, die er durchgängig als „Schergen“ bezeichnet. Mit seinem Kumpel erörtert er die Marktpreise von „47“ und „74“. Damit seien Kalaschnikow-Varianten, also schwere Maschinengewehre gemeint, als „Feuerzeuge“ bezeichnen er und seine Kumpel Pistolen von Heckler & Koch oder Glock, mit „Haarschneidemittel“ dürften wohl Bajonette gemeint sein, erläutert B. dem Gericht und grinst dabei.

Die geplante Festnahme von Gesundheitsminister Lauterbach sollte im Netz übertragen und dabei eine Botschaft an das eigene „Volk“ ausgesandt werden. Zuvor sollte allerdings mit einem militärischen Angriff auf Strommasten und Transformatoren bei einem „Blackout“ die Stromversorgung ausgeschaltet werden. Am Telefon auf die Ungereimtheiten in diesem Plan angesprochen, räumt auch leicht irritiert Dr. R. weiteren Beratungsbedarf ein.

Die abgehörten Telefonate zum verhinderten Staatsstreich belegen zum einen, dass die Gruppe keinen wirklich realistischen Plan ausgearbeitet, sondern eher wirre, widersprüchliche Ideen ausgetauscht hatte. Vor allem bei den Beiträgen von R. mag sich die Frage der Zurechnungsfähigkeit stellen, die am Ende wohl ein psychiatrischer Gutachter bewerten muss. Allerdings belegen die Telefonate auch Entschlossenheit zum Handeln und die Bereitschaft von mindestens zwei der Angeklagten, Waffen einzusetzen – auch um zu töten.

Der Senat hat Sitzungstermine bis zum September festgelegt. Ein Urteil ist noch nicht absehbar.

Aktualisiert und ergänzt am 22.02.2024 um 16:55 Uhr. d. R.

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