Geplante Lauterbach-Entführung: „Russlandfreund“ statt „Reichsbürger“

Im Prozess gegen die „Vereinten Patrioten“ spricht ein Angeklagter über Umsturzpläne. Der Regierungswechsel sollte unblutig sein.

Ein Polizist trägt Akten in der hand vor ihm geht ein Mann, man sieht ihn von hinten

Ein mutmaßliches Mitglied der Terrorgruppe wird am Dienstag in den Verhandlungssaal gebracht Foto: Thomas Frey/dpa

KOBLENZ taz | Fünf Angeklagte aus der Reichsbürger- und Conronaleugnerszene müssen sich seit vergangener Woche vor dem Oberlandesgericht Koblenz verantworten.

Die Anklage der Bundesanwaltschaft lautet auf Gründung einer Terroristischen Vereinigung und den Versuch, mit einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat in Deutschland einen Umsturz herbeizuführen. Unter anderem sollte den Plänen nach Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) mit Gewalt entführt werden.

Die Pläne und Vorbereitungen waren im April 2022 aufgeflogen, als der Angeklagte Thomas O. in Neustadt an der Weinstraße auf dem Parkplatz eines Baumarkts Waffen übernehmen wollte. Die „Patrioten“ waren auf einen verdeckten Ermittler des rheinland-pfälzischen Landeskriminalamts hereingefallen.

Ausschweifende Polemik

Zum Prozessauftakt hatten mehrere Verteidiger deshalb die Einstellung des Verfahrens beantragt. Mit seinem Waffenangebot habe „Mark“ vom LKA die Tat provoziert; bis zum Zeitpunkt der Übergabe der Waffen sei noch gar keine Vereinigung gegründet gewesen, so die Argumentation der Verteidiger.

Diese Lesart wies der Senat am Mittwoch entschieden zurück. Eine „rechtswidrige Tatprovokation“ könne sie nicht erkennen, sagte die Vorsitzende Richterin Anne Kerber. Auch die übrigen Anträge, die Verhandlung in einen größeren Saal zu verlegen und die Sitzungen aufzuzeichnen, lehnte sie ab. Der Prozess habe keine herausragende zeitgeschichtliche Bedeutung, „da die Umsturzpläne nicht in die Tat umgesetzt worden sind“, stellte sie fest.

Doch der Angeklagte B, ein Fachmann für Buchhaltung mit NVA- Vergangenheit, der das Kommando „Klabautermann“ gegen Bundesminister Lauterbach führen sollte, sieht sich offenbar doch als Person der Zeitgeschichte. Er nutzte den zweiten Verhandlungstag für ein stundenlanges Klagelied über die Zumutungen seines Lebens: Der lieblose und prügelnde Adoptivvater, die verlorene schöne Zeit bei der Oma in der DDR, dann die Unzulänglichkeiten der politischen Alltags im Westen, von der Verschwendung von Lebensmitteln über die misslungene Integration in einer „Multi-Kulti-Welt“ bis zum Drogenkonsum. Es gab kaum ein Thema, das er nicht kommentierte.

Ausschweifend polemisierte er gegen die Institutionen von Deutschland, der EU und deren Akteure. Zu seiner politischen Haltung gab er eher vage zu Protokoll. „Ich bin ein Russlandfreund“, die Bundesregierung bezichtigte er der „Kriegstreiberei“. Ein „Reichsbürger“ sei er jedenfalls nicht, sagte er und wies die Zuordnung zu diesem Milieu als „Diffamierung“ zurück. „Wir haben Wege gesucht, die nach unserer Meinung einzig gültige Verfassung wieder in Kraft zu setzen“. Laut Anklage wollten er und seine Mitangeklagten die Verfassung des Kaiserreichs von 1871 wieder in Kraft setzen, allerdings ohne Kaiser. „Kaiserreichsgruppe“ treffe die Sache deshalb schon eher, so B. vor Gericht.

Urteil noch nicht absehbar

Der Verteidiger des redseligen Angeklagten, Philipp Grassl, ergänzte, dass sein Mandant niemanden habe verletzten oder töten wollen. Er habe aber keinen anderen Ausweg mehr gesehen, so Grassl. Wegen illegaler Einwanderung, „Zwangsimpfung unter Führung eines Bundeswehrgenerals“ sei B. verzweifelt gewesen. Sein Ziel sei ein unblutiger Regierungswechsel gewesen, „wie beim Mauerfall in der DDR“, so Anwalt Grassl. Ob sich B., wie sein Verteidiger meint, tatsächlich auf ein „Recht auf Widerstand nach Art 20 Art. 4“ berufen kann, wird der Senat am Ende des Verfahrens entscheiden.

Thomas K., der laut Anklage mit Anschlägen das Stromnetz ausschalten und mit dem „Blackout“ die Bevölkerung auf den Umsturz vorbereiten sollte, wurde in Koblenz von Rechtsanwalt Patrick Schladt weniger offensiv vertreten. Der Verteidiger erinnerte den Senat vorsichtshalber daran, dass in diesem Verfahren die Tatanteile und die individuelle Schuld jedes einzelnen Angeklagten nachgewiesen und bewertet werden müssten, trotz „der großen Töne, die nach Gewalt klingen“.

Bis Januar 2024 sind weitere Verhandlungstermine angesetzt. Wann es ein Urteil geben wird, ist derzeit noch nicht absehbar.

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