Gendergerechte Sprache: Krieg der Sternchen
Warum erhitzt der Genderstreit so sehr die Gemüter? Weil man sich dazu nicht nicht verhalten kann. Ein Auszug aus dem Buch „Was man noch sagen darf“.
D ie Debatte um Gendersternchen wird oft hochemotional geführt. Das könnte damit zusammenhängen, dass sich viele durch sie an den Rand gedrängt fühlen: Man wird genötigt, mitzuspielen oder sich zu erklären.
Sprache steht nie still. In den letzten Jahren kam es in Mode, sie von Altlasten befreien zu wollen, vom Geist einer Zeit, als der Mann das Geld verdiente, die Frau sich um die Kinder kümmerte und Minderheiten immer für einen Scherz gut waren. Mit diesen Bildern wollen sich die meisten von uns nicht mehr identifizieren.
Das Motiv ist also einfach: Gleichberechtigung. Alle mitmeinen. Nicht verletzend oder vorurteilsbehaftet über andere sprechen. Wer diesen Wunsch teilt, kann kaum anders, als ab sofort „Mitarbeiter*innen“ oder „Forschende“ zu schreiben und durch Sprechpausen das Mitmeinen aller anzuzeigen. Oder nicht?
Zwar umfasst das generische Maskulinum grammatisch durchaus beide (oder alle) Geschlechter, dennoch wollen viele die Sichtbarkeit des „anderen“ erhöhen. Das ist legitim. Und doch regt sich Unmut: Wird die Sprache so nicht mutwillig verschandelt?
Es gibt Situationen, in denen das Vermeiden generischer Maskulina tatsächlich gestelzt wirkt. Man kann es trotzdem gutheißen, weil Irritation Nachdenken auslöst. Menschen denken in der Tat stärker an weibliche Vertreter einer Zunft, wenn gegenderte Formen verwendet werden. Laut schwedischen Forschern um Anna Lindquist von der Universität Lund ist es für das Mitmeinen dabei wichtig, durch explizite Nennung beider Geschlechterformen oder durch kreative Neuschöpfungen wie das schwedische „hen“, eine Mischform aus den Pronomen er („hon“) und sie („han“), Gewohnheiten zu durchbrechen. Weicht man hingegen einfach auf neutrale Varianten aus (etwa den englischen Plural „they“), verbinden Testpersonen damit oft primär den männlichen Standard.
Moralisieren des Mitmeinens fördert die Zersplitterung
Doch was ist damit letztlich gewonnen? Nach dem initialen Denkanstoß setzt früher oder später die Gewöhnung ein. Irgendwann ist “Studierende„ einfach das Wort für ehedem „Studenten“. Warum man das Partizip einst wählte, verblasst.
Das Moralisieren des Mitmeinens (Wer nicht gendert, hat etwas gegen Gleichberechtigung) fördert die Zersplitterung. Oder wie kommt es, dass viele so erbittert um Sternchen und Partizipien streiten? Ist es nicht einfach nur zeitgemäß, sprachliche Konventionen im Sinn der Gleichberechtigung zu reformieren? Das Problem ist die Doppelbödigkeit dieses scheinbar harmlosen Wunsches, denn das Gendern setzt viele Menschen unter Druck. Jeder sieht plötzlich alt aus, der weiter generische Maskulina benutzt. Man fühlt sich an den Rand gedrängt; wird genötigt mitzuspielen oder sich zu erklären. Man kann sich nicht nicht zum Gendern verhalten.
geboren 1971 in Berlin, ist Psychologe und Redakteur bei „Gehirn&Geist“ (Spektrum der Wissenschaft). Er schreibt über Moralpsychologie und Bewusstseinsforschung und lebt als bekennender mittelalter weißer Mann mit Frau und Kind bei Heidelberg.
Diese Form der Nötigung hat das Zeug zum Aufreger. So ergab eine Untersuchung an 168 schwedischen Probanden, die ein Team um die Stockholmer Psychologin Hellen Vergoossen 2020 veröffentlichte, dass die Angst, in der persönlichen Redefreiheit eingeschränkt zu werden, eine besonders emotionale Ablehnung des Genderns hervorruft. Je mehr sich die einen über die Rückständigkeit der Verweigerer empören, desto erbitterter keifen diese zurück. Darüber gerät die Arbitrarität sprachlicher Zeichen aus dem Blick: Die Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem ist beliebig. Ob die Lautfolge “Baum„, “tree„ oder “arbre„ große Gewächse meint, hat keinerlei tieferen Grund. Diese Wörter wurden im Lauf der Zeit gebräuchlich, doch im Prinzip könnten es auch andere sein.
Diese Beliebigkeit anzuerkennen hilft, die Realität nicht mit ihrem sprachlichen Ausdruck gleichzusetzen – ein Irrtum, dem rasch erliegt, wer eine Sprechweise unmittelbar an das Denken und die Weltsicht des Sprechers knüpft. Gendern allein verändert die Denkweise von Menschen oder die Rolle von Frauen in der Gesellschaft noch nicht. Es birgt sogar umgekehrt die Gefahr, dass eine „korrekte“ Sprechweise als Signal für Gleichberechtigung dient, ohne dass diese wirklich gelebt wird.
Weshalb also werden grammatische Details zu Fragen von Wohl und Wehe stilisiert? Nach dieser Logik dürfte es gar keine bedeutungslosen Formalismen in der Sprache geben. Alles hätte eine tiefere Bedeutung, verwiese auf eine Haltung. Rückt nicht das englische „How are you?“ das Sein viel stärker in den Fokus als das deutsche „Wie geht es dir?“ Denken Deutsche deshalb irgendwie „beweglicher“ als US-Amerikaner?
Tabus wandeln sich, aber verschwinden nicht
Nichts Sprachliches dem Zufall zu überlassen, zeugt von einer Hypersensibilität, die alles mit Bedeutung auflädt. Doch wir schreiben Bedeutung zu; sie ist nicht einfach gegeben. Daher rührt auch die vermeintliche Unfehlbarkeit sprachpolizeilicher Verdächtigungen: Sobald man einen Ausdruck als inakzeptabel etikettiert, ist er das.
Man kann Redeweisen verändern, um auszudrücken, was einem wichtig ist. Nur sollte man nicht glauben, die Veränderung bliebe dort stehen. Die Sprache wandelt sich ständig weiter, durch Gewöhnung, Umdeutung, Ironisierung, Übertragung auf neue Zusammenhänge. Begriffe wie „queer“ wurden von der so einst verunglimpften Gruppen selbst zur stolzen Eigenbezeichnung umfunktioniert. Ein Akt der Selbstermächtigung, der das Verletzende nicht tilgt, sondern es benutzt, um sich nicht mehr verletzen zu lassen. Redeweisen zu tabuisieren, unterbindet solche kreativen Verschiebungen.
Manche fragen: Gibt es überhaupt noch Tabus? Leben wir nicht in einer Zeit totaler Enthemmung? Wie das Gendern offenbart, wandeln sich Tabus zwar, aber sie verschwinden nicht. Sie dienen nicht mehr dem Machterhalt einer Elite, sondern dem Versuch, eine Sparversion von Macht, die Deutungshoheit, zu erringen. Nur sollte man nicht so blauäugig sein, zu glauben, dass die Welt schon eine andere ist, weil man anders redet.
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