Gender und deutsche Sprache: Was für echte Fans
Unsere Autorin hat Spaß am Gendern. Es ermöglicht ihr, andere Menschen mitzudenken. Und die Schönheit der deutschen Sprache zu gestalten.
I rgendwann fing ich aus politischen Gründen an zu gendern. Inzwischen tue ich es hauptsächlich, weil es mir Spaß macht. Ich habe ein peinliches Hobby, eine spießige Leidenschaft: Es ist die deutsche Sprache. Lasst mich einfach hier liegen. Ich starre in den Himmel und setze Substantive zusammen. Die schönsten Kompositionen widme ich euch. Versprochen.
Sprache inklusiv zu gestalten und alle Geschlechter miteinzubeziehen bietet mir viele Möglichkeiten. Manchmal vereinfacht es Wörter. „Bürgersteig“ zum Beispiel ist kein genderneutraler Begriff, und es ist fast schon erregend, über Alternativen nachzudenken. „Gehweg“ klingt wesentlich schlanker, „Trottoir“ eleganter. Doch die beste Alternative für meinen Text war tatsächlich das Wort Bürger*innensteig. So kompliziert, so bürokratisch, so deutsch. Ich könnte mich ewig in diesem Wort verlieren. Es wirft so viele spannende Fragen auf: Wenn das Wort „Bürgersteig“ Bürgerinnen vom Steig ausschließt, wer darf dann darauf gehen? Welcher Bürger-Begriff liegt dem zugrunde? Ich will dich kennenlernen, wenn du beim ersten Date mit mir über diese Gehweg-Fragen 'ne Flasche Wein leerst.
Es gibt das Narrativ, andere Menschen mitzudenken, sei in erster Linie anstrengend. Wenn wir jedoch genauer hinschauen, sehen wir mehr Spaß als Mühe. Was stimmt, ist, dass es erst einmal mehr Zeit kostet, um die Ecke zu denken und etwas Neues auszuprobieren, als im Alten zu verharren. Im Großen und Ganzen überwiegt aber die Neugierde, das Lernerlebnis und die freigesetzte Kreativität. Was wir brauchen, ist Interesse und ein Ohr für das, was uns Marginalisierte erzählen. Was wir verlieren, ist nur etwas Staub, der von alten Vorstellungen abfällt.
Was es hier alles zu gewinnen gibt, das braucht also endlich mehr Raum im Diskurs. Das gilt nicht nur für die Sprache: Die Aufforderung, Bildern im Netz eine Bildbeschreibung hinzuzufügen, hat dazu geführt, dass ich gelernt habe, mich selbst genauer anzusehen und zu beschreiben. In All-Gender-Toiletten werden eintönige, stinkige Pissoirs zu bunt bepflanzten Blumenkübeln.
Bisher hat keine Antidiskriminierungsidee mein Leben verschlechtert oder auch nur ernsthaft komplizierter gemacht. Ich habe von vielem profitiert, auch wenn ich nicht selbst von dieser Form der Diskriminierung betroffen war. Die Diskussion darüber, wie hart es ist, sich ein Neopronomen zu merken oder für den Schulunterricht ein Buch zu finden, das ohne das N-Wort auskommt, kostet Energie und Aufmerksamkeit, die wir für wirklich komplizierte Themen aufsparen sollten. Denn die meisten Probleme erfordern mehr als einen sensiblen Sprachgebrauch.
Wenn ich inklusiv gendere und nicht im generischen Maskulinum verharre, dann fühlen sich mehr Leser*innen meiner Texte angesprochen und eingeschlossen. Das ist mir nach wie vor wichtig. Es ist aber schon lange nicht mehr der einzige Grund, warum ich das mache: Echte Fans der deutschen Sprache gendern.
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