„Gelbwesten“-Proteste in Frankreich: Klassenkampf mit Klimaschutz
Die „Gelbwesten“-Proteste gehen weiter. Vielen gelten sie als Widerstand gegen Öko-Zumutungen. Aber die Randale ist kein Aufstand gegen Klimapolitik.
Am selben Tag verkündet Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) in einem Spiegel-Interview, sie lasse ein Konzept für eine CO2-Steuer erarbeiten: Der Verbrauch von Kohle, Gas und Öl soll teurer werden, allerdings müsse niemand Angst vor einer solchen Abgabe haben. Schulze hatte schon früh gewarnt: Wenn man Klimaschutz „ohne Rücksicht auf Verluste durchdrückt, ziehen sich die Menschen gelbe Westen an“.
Seit der ersten Demo der Gelbwesten am 17. November 2018 geht ein Gespenst um in Europa: die Angst der Regierenden vor der Wut der Regierten, wenn es um Ökosteuern geht. Bei der Klimakonferenz in Kattowitz im Dezember waren die Proteste ein großes Thema, wenn es um den „Strukturwandel“ durch Klimaschutz ging. Rund um die Kohlekommission in Deutschland warnten der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff (CDU), und IGBCE-Gewerkschaftsboss Michael Vassiliadis vor „deutschen Gelbwesten“.
Wer aber in Frankreich nach diesem Schreckgespenst sucht, kommt sich schnell vor, als jage er ein Phantom. Auf den Demonstrationen ist die Taxe carbone kein Thema mehr. Die Regierung hat die Erhöhung der CO2-Steuer bereits nach drei Wochen Protest im Dezember zurückgenommen. Die Gelbwesten fordern höhere Löhne, bessere Renten und den Rücktritt des Präsidenten.
Aber was sagen die „Gelbwesten“ zu Klima- und Energiepolitik? Man würde sie gern fragen, aber das gestaltet sich schwierig. Es gibt weder offizielle Sprecher der Bewegung noch ein Programm. Auch französische Experten, Beamte und Journalisten schütteln den Kopf: Niemand kennt einen Ansprechpartner.
Frankreich redet über Energiepolitik
„Sie denken ans Ende der Welt, wir ans Ende des Monats“, war einer der Slogans der Proteste. Das klang nach Kritik an der Ökopolitik. Aber im April klang das bei einer Versammlung schon anders: „Im Bewusstsein der ökologischen Dringlichkeit stellen wir fest: Ende des Monats, Ende der Welt – gleiche Logik, gleicher Kampf.“ Die „Logik der unbeschränkten Ausbeutung des Kapitalismus zerstört die Menschen und das Leben“, hieß es dort. Deshalb sei die Ökosteuer „ein perfektes Beispiel für die falsche Ökologie der Bestrafung, die Menschen trifft, die nicht verantwortlich sind“.
Svenja Schulze, Umweltministerin
Die Gelbwesten hätten etwas Gutes erreicht, sagt Sven Rösner. Frankreich würde zum ersten Mal über Energiepolitik reden. Er ist Geschäftsführer des „deutsch-französischen Büros für die Energiewende“ im Pariser Umweltministerium. Hier wurde das „Gesetz zur Energiewende“ 2015 geschrieben: Es sieht vor, auf fossile Brennstoffe eine Ökosteuer (Taxe carbone) zu erheben, die bei 7 Euro pro Tonne CO2 begann, derzeit 44 Euro beträgt und bis 2022 auf 86 Euro ansteigen soll. „Es war ein guter Plan, er hätte funktionieren können“, sagt er.
Auch die Idee, diese Preise schneller zu erhöhen, kam aus dem Ministerium. „Es war auch vorgesehen, das Geld den Leuten wieder zurückzugeben.“ Die Idee dabei: Benzin und Diesel verteuern, aber die Menschen nicht zusätzlich belasten. Dieser Vorsatz wurde aus dem Konzept der Regierung gestrichen. Dann kam es zum Knall. Der zuständige Beamte wurde versetzt. Der zuständige Minister blieb im Amt.
Frankreich und seine Atomkraftwerke
Der zuständige Minister heißt François de Rugy. Wie haben die Gelbwesten die Debatte verändert? De Rugy betont bei einem Termin im April in der französischen Botschaft in Berlin: „Viele Leute haben gehofft, dass diese Bewegung die Ökologie in den Hintergrund drängt, dass man weniger oder gar nichts mehr tut. Aber im Gegenteil haben die Debatten seitdem gezeigt, dass viele Bürger in Frankreich und Europa mehr für die Umwelt tun wollen.“ Die Gelbwesten seien nicht gegen den Umweltschutz.
De Rugy ist erst seit Herbst 2018 im Amt. Sein Vorgänger Nicolas Hulot, ein Umweltschützer und ein in Frankreich bekannter TV-Moderator, hatte nach nur einem Jahr unter Präsident Emmanuel Macron frustriert das Handtuch geworfen. Für Hulot ging es in der Umweltpolitik nicht schnell genug.
Zwischen Deutschland und Frankreich läuft es aber in der Energiepolitik auch ohne die Gelbwesten nicht rund. Zu unterschiedlich sind die Strukturen: Hier ein liberalisierter Strommarkt, wo die privaten Energiekonzerne unter Druck sind, auf der linken Rheinseite eine staatlich organisierte Stromversorgung mit subventionierten Strompreisen. Hier der angebliche Ökoweltmeister Deutschland, der wegen seiner Kohlekraftwerke pro Kopf und Jahr rund 10 Tonnen CO2 produziert. Dort ein Frankreich, das mit seinen Atomkraftwerken auf nur halb so viel CO2 kommt. Dort eine Regierung, die einen Mindestpreis für CO2 in Europa will. Hier eine Industrie, die befürchtet, damit werde Strom teurer und die französische AKW-Flotte subventioniert.
Die Taxe carbone ist eingefroren
Trotz aller Treueschwüre trauen Franzosen und Deutsche in der Energiepolitik einander nicht über den Weg. Frankreichs letzte Regierung versprach, das alte AKW Fessenheim an der deutschen Grenze abzuschalten, aber es läuft immer noch.
Frankreich hat angekündigt, seinen Atomanteil am Strom bis zum Jahr 2025 von 75 auf 50 Prozent zu drosseln – und diesen Plan mal eben um zehn Jahre verschoben. Für Fortschritte sollen andere Vorhaben sorgen, und da haben die Franzosen erstmals in der Umweltpolitik die Nase vorn: Dazu zählen verbesserte Energieeffizienz, beim Ausbau der Erneuerbaren und beim Verkehr. Bei der Gebäudesanierung ist Frankreich deutlich schneller als Deutschland. Jedes Jahr werden 2 Prozent der Gebäude saniert. In Deutschland ist der Anteil nur halb so hoch und damit viel zu niedrig für die Klimaziele.
Der Thinktank Agora Energiewende hat in einer Analyse festgestellt, die Probleme der Regierung Macron seien „hausgemacht“: Weil die Preise für CO2 und Öl stiegen, Steuern für Reiche abgeschafft wurden und die Einnahmen aus der Taxe carbone nicht an die Bevölkerung zurückflossen, habe es eine „gefühlte Ungerechtigkeit“ gegeben, und dieses Gefühl sei explodiert. Die Anti-Öko-Haltung war wohl eher ein Brandbeschleuniger der allgemeinen „Schnauze voll“-Stimmung, sagen auch in Paris alle, die man danach fragt. Und anders als in Deutschland gibt es keine Kohlekommission, die alle Beteiligten an einen Tisch holt und einen Konsens findet. „Im Französischen gibt es nicht mal ein Wort für ‚Strukturwandel‘ “, sagt Rösner. Der Staat macht die Pläne. Das Volk richtet sich danach. Oder eben nicht.
Das Ergebnis: Die Taxe carbone ist eingefroren. Geht es nach den Beratern der Regierung, wird sie das auch bleiben. Ein zentrales Instrument des ökologischen Umbaus der Industriegesellschaft wurde diskreditiert. „Das war schlechte Politik“, sagt ein Beobachter in Berlin. „Die Franzosen haben es versemmelt.“ Aber auch da waren die Deutschen wieder einmal schneller. Denn praktisch das gleiche Szenario hat sich hierzulande 2003 angespielt. Damals stoppte die rot-grüne Bundesregierung die weitere Erhöhung der Ökosteuer, die Öl und Gas teurer machte und damit die Rentenkassen entlastete. Der Grund war eine Kampagne der „Benzinwut“, mit der die Bild-Zeitung die Regierung Schröder unter Druck setzte. Ganz vorn dabei im Kampf gegen die sogenannte „K.-o.-Steuer“: die damalige Oppositionsführerin Angela Merkel.
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