Geheilte Corona-Patienten in China: „Fast wie im Hotel“
In Peking verlassen die ersten geheilten Coronavirus-Patienten die Krankenhäuser. Die Regierung nutzt sie als PR für ihr Krisenmanagement.
Im Gegensatz zu sämtlichen Wohnanlagen, U-Bahnhöfen oder Einkaufszentren wird der Weg ins Krankenhaus nämlich nicht von Wachmännern versperrt, die Körpertemperaturen messen und Personalien aufnehmen. So paradox es klingt: Die Klinik vermittelt mehr Normalität als die geschlossenen Lokale und Bürogebäude der Stadt.
Aus dem Hauptgebäude tritt ein junges Pärchen auf die wartenden Journalisten zu, die Frau trägt einen kleinen Jungen im Leopardenanzug auf dem Arm. Mitarbeiter der Regierung begrüßen die Jungfamilie mit einem Blumenstrauß. Herr Liu und Frau Li werden heute aus der Klinik entlassen. Der Presse sollen sie an diesem Freitagnachmittag von ihrer Viruserkrankung erzählen und der anschließenden Genesung. Arrangiert wurde das Interview, wie in solch sensiblen Fällen in China üblich, vom staatlichen Informationsbüro.
Die Transparenz ist kein Zufall: Händeringend braucht die Volksrepublik eine Erfolgsmeldung beim Kampf gegen das Coronavirus. Noch vor Kurzem hoffte die Regierung schließlich, dass sich das Land in dieser Woche langsam dem Alltag wieder annähern werde. Die Wachstumskurve der Virusinfizierten sank sieben Tage lang in Folge. Präsident Xi Jinping traute sich erstmals in die Öffentlichkeit: Fotos der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua zeigten ihn winkend beim Besuch eines Krankenhauses.
Kontrolle des Virus in weiter Ferne
Doch die Anzahl der Toten stieg schließlich weiter täglich an, bis zum Redaktionsschluss sind es bereits über 1.380 in China. Und am Donnerstag explodierte die Anzahl von Neuinfektionen sogar so stark wie noch nie zuvor. Dies ging zwar auf eine veränderte Zählweise der Behörden zurück, dennoch scheint die Hoffnung auf eine Kontrolle des Virus vorerst in weite Ferne gerückt. „Dies ist ein Kampf um Leben und Gesundheit unserer Bevölkerung und der ganzen Welt“, heißt es in einem Schreiben des Informationsbüros der Pekinger Stadtregierung.
Der nun geheilte Herr Liu, 29 Jahre alt, Büroangestellter in der IT-Industrie, erzählt von seiner Infektionsgeschichte: Ende Januar haben ihn die Eltern, die wie er aus der schwer betroffenen Provinz Hubei stammen, zum chinesischen Neujahrsfest besucht. Beim Umsteigen in Wuhan müssen sie sich infiziert haben. Wenig später waren alle infiziert: seine Ehefrau und der gerade einmal einjährige Sohn. Während seiner Aussagen beschlägt die Brille, die auf seiner Atemschutzmaske im Gesicht sitzt.
„Am Anfang hatte ich schon ein bisschen Angst“, sagt Frau Li schließlich. „Doch im Krankenhaus wurden wir von Anfang an gut behandelt. Wir konnten als Familie weiterhin zusammenbleiben, hatten eine gemeinsame Dusche und Toilette. Es war ein bisschen wie im Hotel.“
Die Symptome seien bei ihr und ihrem Kind kaum merkbar gewesen. Nur ihr Ehemann habe Fieber und Husten gehabt, doch nach vier Tagen habe sich auch das gelegt. „Das Virus war nicht so stark, wie wir gedacht haben. Wer infiziert ist, sollte auf das Land vertrauen und die behandelnde Ärzten“, sagt Herr Liu.
Solche Aussagen mögen nach Propaganda klingen, schließlich könnten sie entfernter nicht sein von den Hiobsbotschaften, die die Weltöffentlichkeit aus Wuhan erreichen. Ein Bürgerjournalist filmte dort nicht nur hoffnungslos überfüllte Krankenhäuser, sondern auch Leichensäcke auf den Gängen.
Spitze des Eisbergs
Tatsächlich bestätigen jedoch Gesundheitsexperten, dass das Virus viele verschiedene Gesichter hat. Laut Benjamin Cowling, Epidemiologe der Universität Hongkong, würden wir derzeit nur die Spitze des Eisberges sehen. Eine riesige Dunkelziffer an Infizierten würden nur leichte Symptome zeigen.
Pekinger Stadtregierung
„Unserer Einschätzung nach liegt das neue Coronavirus von seiner Gefährlichkeit in etwa zwischen dem tödlichen Sars-Virus und einer herkömmlichen Grippe“, sagt der britische Wissenschaftler. Die Sterblichkeitsrate dürfte in den nächsten Wochen deutlich sinken, weil schlicht immer mehr Infizierte mit mildem Krankheitsverlauf erfasst würden.
Die Ärztin Xu Bin vom Youan-Krankenhaus ist eine von mehreren Medizinern, die sich um die insgesamt 20 Infizierten kümmert. In ganz Peking sind derzeit über 370 Ansteckungen bekannt. Die Behandlung beschränkt sich laut Ärztin Xu auf traditionelle chinesische Medizin für die leichten Fälle, Antibiotika und künstliche Beatmung für die schwereren. Bislang seien nur Senioren über 80 Jahren an dem Virus im Youan-Krankenhaus gestorben.
Kurz bevor die genesene Familie in die Freiheit entlassen wird, möchte Herr Liu noch ein Wort loswerden: Man solle sich nicht vor dem Virus fürchten, aber sich sofort in medizinische Behandlung begeben. Angst vor einer Neuansteckung habe er nicht, doch in den nächsten Tagen werde die Familie erst einmal nur zu Hause bleiben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Sensationsfund Säbelzahntiger-Baby
Tiefkühlkatze aufgetaut