Gehaltsverzicht von neuer Linkenspitze: Durchschnittsgehalt soll genügen, um die Welt zu verändern
Ines Schwerdtner und Jan van Aken wollen Gehaltsverzicht üben. Um die Parteikrise zu beenden, wird das nicht reichen, wie zwei neue Austritte zeigen.
Dass nun ein frischer Wind durch das altehrwürdige Karl-Liebknecht-Haus weht, versuchten der 63-jährige Hamburger Biologe und die 35-jährige Berliner Publizistin mit einer Ankündigung zu dokumentieren: Von den monatlich 8.162,50 brutto, die ihnen in ihrer neuen Funktion laut Haustarifvertrag zustünden, würden sie nur 2.850 Euro netto behalten wollen. Der Rest solle in einen Sozialfonds gehen, um Menschen in Not zu helfen.
„Wir beide möchten die Welt verändern und da reicht ein Durchschnittsgehalt, das die Menschen in Deutschland verdienen, völlig aus“, sagte van Aken. „Wir sind der Überzeugung, dass abgehobene Gehälter auch zu einer abgehobenen Politik führen.“ Schwerdtner kündigte darüber hinaus an, dass sie „ganz persönlich“ künftig Sozialsprechstunden in der Parteizentrale anbieten werde. „Wir wollen auch zeigen: Wir sind nahbar, wir sind ansprechbar für die Menschen“, sagte sie.
Die Linke wolle „die Menschen ins Zentrum stellen“, so Schwerdtner. Deswegen würde die Partei jetzt auch „an die Haustüren Deutschlands“ gehen und fragen, was den Leuten unter den Nägeln brennt. Motto: „Während alle anderen reden, hört die Linke zu.“ Es gehe darum, sich den realen Problemen der Menschen anzunehmen. Das sei „die Basis für alles, was folgt“.
Zwei prominente Parteiaustritte
Ob das neue Führungsduo, das auch selbst an den Haustüren klingeln will, vielleicht bei Sören Benn und Henriette Quade vorbeischauen wird? Erst auf Nachfrage gingen die Linken-Vorsitzenden auf die zwei prominenten Abgänge ein. Benn, der frühere Bezirksbürgermeister von Berlin-Pankow, trat am Sonntag aus der Partei aus, die sachsen-anhaltinische Landtagsabgeordnete Quade folgte am Montag.
Besonders den Austritt Quades bedauere er zutiefst, sagte van Aken. Er hänge wohl mit den heftigen persönlichen Anfeindungen gegen sie durch propalästinensische Demonstrant:innen vor der Tür des Parteitags zusammen. Die Beschimpfungen und Drohungen hatten dazu geführt, dass die 40-jährige Abgeordnete den Veranstaltungsort schließlich am Samstag durch einen Hintereingang verlassen musste.
Quade habe in den vergangenen Jahren eine „unfassbar tolle“ antifaschistische und antirassistische Arbeit geleistet, sagte er. „Dass sie jetzt austritt, ist wirklich schlimm.“ Er hoffe, „wir können sie überzeugen, dass sie irgendwann zurückkommt in die Partei, wenn sie sieht, dass wir uns vielleicht auch in einigen Punkten verändern“. Gleichwohl forderte van Aken sie zum Mandatsverzicht auf. Das sei schließlich eine Regelung, die für alle gelte, die die Partei verließen.
Quade will allerdings als fraktionslose Abgeordnete im Parlament bleiben. Ihren Austritt begründete sie mit dem mangelnden Kampf der Partei „gegen den unerträglichen Antisemitismus in den eigenen Reihen“. In den vergangenen Jahren und Monaten habe sie erlebt, „wie an vielen Stellen in der Partei Die Linke Einheit und Geschlossenheit mit dem Kompromiss erkauft wurden, zu Antisemitismus in den eigenen Reihen immer wieder zu schweigen und es Einzelnen überlassen wurde, dagegenzuhalten“, schreibt sie in ihrer Abschiedserklärung. Der Bundesparteitag habe ihr „gezeigt, dass sich daran nichts ändern wird“.
„Zeugen Jehovas der Politik“
Sören Benn begründete seinen Austritt mit einem längeren Entfremdungsprozess, der ihn nun dazu gebracht habe, „einer ehrlichen Trennung einer unredlich gewordenen Bindung den Vorzug zu geben“. Wie Quade im Jahr 2000 in die PDS eingetreten, bescheinigte der 56-Jährige der heutigen Linken, sie sei „kein Gestaltungsprojekt“ mehr, „sondern ein Identitätsprojekt“. Unabhängig von klugen und engagierten vielen Einzelnen habe sie „anscheinend eine gegenwärtig unaufhaltsame Drift: Sie mutiert zu den Zeugen Jehovas der Politik“.
Dass das angesichts der angekündigten großangelegten Haustürkampagne möglicherweise kein ganz abwegiger Gedanke sein könnte, wies van Aken am Montag entschieden zurück: „Wir gehen an die Haustüren, um zuzuhören, das ist ja was ganz Neues.“ Bei den Zeugen Jehovas sei es ihm hingegen „noch nie passiert, dass sie zugehört haben, die haben mich vollgequatscht“.
Nach dem Eklat auf dem Landesparteitag in Berlin vor einer Woche, als eine Debatte über linken Antisemitismus zum Auszug von mehreren Dutzend Delegierten geführt hatte, spricht derzeit vieles dafür, dass Benn und dem bereits Mitte vergangener Woche ausgetretenen langjährigen Abgeordnetenhaus-Fraktionsvorsitzenden Udo Wolf in kürzerer Zeit noch weitere aus dem Reformflügel folgen werden. Bei so manchen Berliner „Regierungslinken“ scheint die Entfremdung von der Partei, die sie lange geprägt haben, weit fortgeschritten zu sein. Mit dem erhofften Aufbruch könnte es für van Aken und Schwerdtner schnell wieder vorbei sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sturz des Assad-Regimes
Freut euch über Syrien!
Krieg in Nahost
Israels Dilemma nach Assads Sturz
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Weihnachten und Einsamkeit
Die neue Volkskrankheit
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Missbrauch in der Antifa
„Wie alt warst du, als er dich angefasst hat?“