Geflüchtete in der Corona-Krise: Grüne im Ermittlungsfieber
Jeder dritte Geflüchtete in der Bremer Erstaufnahme ist mit Corona infiziert. Nun soll die Senatorin zurücktreten. Lob bekommt sie von ganz rechts.
Das Netzwerk Afrique-Europe-Interact fordert nun den Rücktritt der grünen Sozialsenatorin Anja Stahmann, weil sie mit dem Krisenmanagement „politisch und persönlich überfordert“ sei. Der Flüchtlingsrat wirft ihr Rassismus vor – und fordert eine Entschuldigung. Auch in den eigenen Reihen gibt es offene Kritik am Kurs der Grünen-Politikerin: Die ehemalige Landesvorsitzende Kai Wargalla stellte sich auf die Seite der zahlreichen Flüchtlingsinitiativen, die seit langem eine Räumung des Lagers fordern.
Das Sozialressort habe „zu spät“ und nicht entschlossen genug gehandelt, so ihr Vorwurf auf Facebook: „Viel zu lange“ sei „viel zu wenig“ getan worden. „Es ist im derzeitigen Zustand keine Unterbringung dem Infektionsschutz entsprechend möglich“, so Wargalla. Das bestreitet die Sozialbehörde. Seit Ende März sind 250 Menschen aus der Unterkunft ausgezogen.
Anja Stahmann hatte sich gleichwohl wiederholt gegen eine Schließung der Einrichtung und gegen die von Flüchtlingsinitiativen geforderte dezentrale Unterbringung der Geflüchteten ausgesprochen. Bringe man die Menschen wie gefordert etwa in leerstehenden Hotels unter, so die Behörde, „wird das Problem nur verlagert“.
Umstrittener Gastkommentar
Ihren zahlreichen KritikerInnen hielt Stahmann in einem Gastkommentar im Weser-Kurier vor, es handele sich um „eine kleine, lautstarke Gruppe“, die eine „vornehmlich ideologisch begründete Kontroverse“ führe. „Diese Proteste sind legitim. Sie sollten ernst genommen werden“, sagt dagegen die frühere Landesvorsitzende und Bürgerschaftsabgeordnete Wargalla. Sie wirft Stahmann eine „anmaßende Fehleinschätzung“ der Proteste vor. Und die Grünen-Fraktionsvorsitzende Henrike Müller, lobte auf Facebook die „kritische Zivilgesellschaft“.
Stahmann macht unterdessen den InsassInnen des Lagers schwere, indes unbelegte strafrechtlich relevante Vorwürfe. Nachdem dort wiederholt Papierkörbe in den Sanitäranlagen in Brand gerieten, verbreitete die Behörde eine Pressemitteilung mit dem Titel: „Senatorin Stahmann mahnt dringend Rückkehr zu legitimen Formen des Protests an“. Nur: Bislang gibt es weder Belege dafür, dass es überhaupt Brandstiftung war, noch dafür, dass eine solche von den Geflüchteten ausging, noch dafür, dass diese gegebenenfalls ein Form des Protestes war.
Es gebe „keine Beweise“ für die Anschuldigungen, räumt der Sprecher der Sozialsenatorin ein – aber die Sicht der Behörde sei die „wahrscheinlichste Erklärung“. Eine andere könne er aber „nicht ausschließen“, so der Behördensprecher.
„Die Brandstiftungen wurden offenbar in voller Absicht so abgepasst, dass die Sicherheitskräfte bei ihren regelmäßigen Rundgängen den jeweiligen Bereich gerade verlassen hatten“, mutmaßt seine Presseerklärung. Wegen „mehrfacher schwerer Brandstiftung“ sei nun Strafanzeige gegen Unbekannt erstattet worden. Die rechte Wochenzeitung „Junge Freiheit“ lobt, dass Stahmann nun „gegen randalierende Asylsuchende“ vorgehe.
Die Rücktrittsforderungen und Rassismus-Vorwürfe der Flüchtlingsinitiativen will die Behörde indes nicht kommentieren, auf die Kritik aus der eigenen Partei reagiert die Behörde mit Hinweisen auf „Gespräche auf allen Ebenen“.
Ausschlaggebend für die Rücktrittsforderung sei nicht, dass es der Sozialbehörde nicht gelungen sei, den massenhaften Corona-Ausbruch zu verhindern, so Afrique-Europe-Interact. Da trage Stahmann „nicht die alleinige Verantwortung“ – die mit zuständige Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard kommt von der Linken.
Die linke Parlamentsfraktion hatte schon im März die sofortige Auflösung der Massenunterkunft gefordert, ihre Fraktionschefin kritisiert das Krisenmanagement. Dennoch trägt Bernhard das Vorgehen ihrer Kollegin Stahmann bisher mit. Mit Hilfe der von der rot-grün-roten Koalition gerade vereinbarten „Maßnahmen zur Belegungsreduzierung wird eine Situation herzustellen sein, in der der Infektionsschutz gewährleistet werden kann“, heißt es von der Gesundheitssenatorin.
Afrique-Europe-Interact begründet seine Forderung mit der Art und Weise, wie Anja Stahmann über das von ihr „maßgeblich mitverantwortete Infektionsgeschehen“ spreche. „Am dramatischsten“ sei ihr „völliges Unverständnis für die persönliche und psychologische Situation der Geflüchteten und Migrant*innen“. Diese hätten in der Vergangenheit „extrem belastende Erfahrungen“ gemacht – die aktuelle Situation könne posttraumatischen Belastungsstörungen „erheblich Vorschub leisten“.
Stahmanns Worte über die hohe Zahl an Corona-Infektionen waren „verantwortungslos“, so der Flüchtlingsrat: Ihre Aussage, die Lage in der Einrichtung sei für Virologen interessant, sei „rassistisch“ und degradiere Betroffene zu „Forschungsobjekten“. Stahmann solle sich davon distanzieren.
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