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Geflüchtete in GriechenlandGewolltes Elend auf den Inseln

Kommentar von Franziska Schindler

Viele Kommunen wollen Geflüchtete aufnehmen, dürfen aber nicht, weil Bundesinnenminister Seehofer blockt. Das Grundrecht auf Asyl ist gefährdet.

Ein Geflüchteter in seinem selbstgebauten Zelt neben dem Flüchtlingslager Moria Foto: Angelos Tzortzinis/dpa

E s könnte so einfach sein. Tausende Geflüchtete, die in den Elendslagern auf den griechischen Inseln ausharren, könnten von deutschen Kommunen aufgenommen werden. Städte und Gemeinden hierzulande sind dazu bereit und auch Aufnahmekapazitäten sind reichlich vorhanden, denn die meisten Unterkünfte sind nicht einmal annähernd ausgelastet.

Aber das Bundesinnenministerium mauert. Es mauert und mauert. Es stimmt zwar, dass es im Juni schon mal ein kleines Zugeständnis gab: 928 Schutzsuchende dürfen von Seehofers Gnaden nun aus den griechischen Elendslagern nach Deutschland kommen. Aber ansonsten bewegt sich wenig in puncto Aufnahme von Geflüchteten von den griechischen Inseln. 30.000 Menschen müssen dort unter den widrigsten Bedingungen ausharren, darunter mehrere Tausend mit Familienangehörigen in Deutschland.

Dabei haben viele Kommunen schon ihre Hilfe angeboten – lange bevor die Corona­pandemie begann. 151 Städte und Gemeinden haben sich inzwischen zu „Sicheren Häfen“ erklärt und sind bereit, mehr Geflüchtete aufzunehmen, als ihnen nach dem Verteilungsschlüssel üblicherweise zugewiesen werden. Auch die Bundesländer dringen beim Innenministerium auf mehr Flexibilität. Berlin und Thüringen haben Landesaufnahmeanordnungen vorgelegt, mit denen sie selbstständig Schutzsuchende in ihre Bundesländer holen wollen. In Erfurt und Berlin wartet man auf Antwort. Doch bisher hüllt sich Innenminister Horst Seehofer (CSU) in Schweigen.

So weit, so menschenverachtend. Doch was derzeit auf dem Spiel steht, ist weitaus existenzieller, denn mit ihren Plänen für die EU-Asylreform sägen die Mitgliedstaaten und die europäischen Institutionen selbst an den Grundfesten der europäischen Idee. Denn was bleibt vom Grundrecht auf Asyl, wenn die EU-Innenkommissarin mit ihrer Ankündigung Ernst macht, in Zukunft stärker mit Herkunfts- und Transitländern zusammenzuarbeiten? Werden individuelle Fluchtgründe noch geprüft, wenn, wie es Innenminister Seehofer will, bald an den EU-Außengrenzen in einem Zulässigkeitsverfahren entschieden wird, wer überhaupt einen Asylantrag in der EU stellen darf? Wie steht es um das Recht auf Familie, wenn Anträge auf Familiennachzug der engsten Verwandten immer wieder abgelehnt werden? Werden willkürlich festgelegte Quoten das Grundrecht auf Asyl ersetzen?

Als Trägerin der EU-Ratspräsidentschaft hätte Deutschland gerade jetzt die Möglichkeit, die europäische Asylpolitik in einem Sinn voranzubringen, der des zweiten Artikels des Vertrags über die Europäische Union würdig ist. Da heißt es: „Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte“. Schaut man auf die aktuellen Pläne, scheinen diese in weite Ferne gerückt zu sein.

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6 Kommentare

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  • Tausende Geflüchtete wären wirklich besser in Deutschland und in der restlichen EU aufgehoben als unter solch unwürdigen Bedingungen auf einer kleinen Insel. Deutschland muss mit gutem Beispiel vorangehen, darf aber auch nicht müde werden, die EU-Partner daran zu erinnern, dass sie dieselben Werte teilen und die Last ebenso geteilt werden muss, damit nicht alles an Griechenland hängen bleibt.

    Aber in diesem Artikel wieder einmal werden Flucht vor Krieg bzw. Bürgerkrieg mit dem Asylthema vermischt. Flüchtlinge haben natürlich auch das Recht, Aysl zu beantragen, aber in der Praxis werden diese Anträge kaum positiv entschieden, weil nun mal keine individuelle politische (oder sonstige) Verfolgung vorliegt. Diese Differenzierung bleibt die taz-Autorin leider schuldig. Und gerade wenn es um die Verteidigung dieses wichtigen Grundrechtes geht, sollte man schon genau argumentieren.

  • „Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte"

    diesen satz könnte Ich so nicht unterschreiben weil in ihm die freiheit ein von kapitalist*innen und ihren ideologi*innen vielmissbrauchte wort vor der demokratie und diese vor der gleicheit kommt und die natur noch nicht einmal vor

    „Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung und der schutz der Menschenwürde und der Menschenrechte, die Gleichheit und Freiheit der Menschen in einer demokratischen Gesellschaft und der bestmögliche schutz der natur".

    aber in der praxis und ihrer ganzen neoliberal und intergouvernementalistisch verkorksten undemokratischen verfassung steht die eu nicht nur im gegensatz zu meinen werten sondern auch zu den werten zu denen sie sich offiziell bekennt

    für flüchtlinge ist sie kein rechtsstaat und sie achtet und schützt deren menschenrechte nicht

    und die vieler ihrer bürger*innen immer weniger

  • Ja. Traurig. Ich kann mich @PHILIPPE RESSING, @MAINZERIN und @KID LOCO nur anschliessen.

    Wo sind bloss die "Europäischen Werte", wenn man sie braucht? Was ist bloss für ein verängstigter, kleiner, knauseriger Haufen aus uns geworden?

  • Es gibt leider einen ungeschriebenen Konsens zwischen fast allen Parteien im Bundestag: Bloss keine neuen Flüchtlinge. CDUSPDFDP haben Angst vor einem weiteren Rechtsruck der Wähler - Grüne und Linke letztlich auch - und in der AfD freut man sich. Das erklärt, warum bei uns die unhaltbaren Zustände in griechischen Lagern ignoriert werden. Abschrecken und Verschweigen der eigenen Verantwortung - vorne Weg der Böse alte Mann im Innenministerium. Wir bezahlen faktisch die Regierung in Athen für das Elend. Ich habe selber die Zustände auf Chios gesehen. Die Inselbevölkerung wird mit dem Problem alleine gelassen, Mitsotakis schickt aus Athen Sonderpolizei, um ein weiteres Lager auf einem einsamen Hochplateau durchzusetzen - Wasserwerfer, Tränengas und Knüppeleinsätze waren das Ergebnis. Lange unterstützten viele Inselbewohner die Flüchtlinge, haben doch viele Chioten eine Familiengeschichte, in der 1923 Tausende vom türkischen Festland auf die Insel vertrieben wurden. Jetzt aber macht sich immer mehr Pogromstimmung breit, da sich nichts ändert. Und wir bei uns, wir schauen halt weg, Loben die Regierung in Athen für das Push-Back an der Grenze zur Türkei - vorneweg Frau von der Leyen - das ist das humanistische Gesicht Europas! Eines gilt es zu bedenken: Der Umgang mit Menschenrechten der Flüchtlinge ist nur der Prolog dafür, was die Staatsmacht im Krisenfall bereit ist, auch den eigenen Landsöeuten anzutun. Siehe Polizei gegen Gelbwesten und Krankenpfleger in Frankreich. Aber bei uns gehts ja um die Party in der Schinkenstrasse - die Rechnung zahlen andere.....

  • Seit wann kümmern sich die C-Parteien um Menschenrechte?



    Sie haben eine lange Geschichte mit wirtschaftlicher Zusammenarbeit und militärischen Exporten zugunsten der schlimmsten Verbrecher auf dem internationalen Parkett. Es wurde wieder und wieder der Regierung nahe gelegt, bei Staatsreisen mehr auf die Einhaltung der Menschenrechte zu drängen - aber da war Merkel wohl schlauer. Schließlich soll man nicht mit Steinen werfen, wenn man im Glashaus sitzt...



    Und was erwarten Sie von Seehofer? Er hat spätestens seit 2015 ständig gegen Flüchtlinge gehetzt und getrieben! Ich werde nie begreifen, warum er nicht schon längst wegen Volksverhetzung im Knast sitzt. Und genau DIESER Mann wurde von der großen Koalition zum Bundesinnenminister gemacht, also zum Chef der Polizei und Hüter des Grundgesetzes. Da ist die aktuelle Situation nur folgerichtig. Und gewollt!!! von CDU, CSU und SPD!



    Zudem auch eine dicke Watsche an die Medien, denn sie haben den politisch gewollten Wort-Tausch fast durchgehend durchgezogen: Flüchtlinge wurden zu Migranten umbenannt. Das sind zwei entschieden verschiedene Gruppen! Migrant war ich beruflich auch schon - Flüchtling zum Glück noch nicht. Aber genau so kann man eine ganze Bevölkerung umpolen von dem im Grundgesetz festgeschriebenen Recht auf Asyl zur Abweisung von ungewollten Migranten...

    • 7G
      75787 (Profil gelöscht)
      @Mainzerin:

      ...und Politiker die in den "tagesthemen" unwidersprochen das Wort "Asyltourismus" in den Mund nehmen dürfen, werden mittlerweile als potentielle Kanzlerkandidaten gehandelt. Für mich Ausdruck einer weiter verunsicherten und schrumpfenden sog. Mittelschicht, die Schuldige und die Abgrnzung nach unten sucht. Der Zustand an Zivilisiertheit zeigt sich iimer noch im Umgang mit den Schwachen.