Geflüchtete im Wendland: Gemeinschaftsküche unwürdig

Ein Gasthof mit vielen Zimmern und einem engagierten Eigentümer wartet auf den Einzug von Flüchtlingen. Nur: Das Amt ist dagegen.

Ein rotes Gittertor steht auf einer Rasenfläche, im Hintergrund Bäume

Ein Tor ins Weite. Foto: imago/anemel

GÖTTIEN taz | Dieter Schaarschmidt hatte sich das schön vorgestellt. Und so schön einfach: Er kauft ein großes leerstehendes Gasthaus mit einem grünen Innenhof und baut dort eine Landkommune mit Flüchtlingen auf. Er lebt mit ihnen zusammen, er kocht und isst gemeinsam mit ihnen und hilft ihnen dabei, in Deutschland zurechtzukommen.

Den Gasthof hat der Biolandwirt und Zimmermann auch gefunden und gekauft, in Göttien, einem kleinen Dorf im Landkreis Lüchow-Dannenberg. Dafür hat Schaarschmidt, 59, einen Kredit in Höhe von 240.000 Euro aufgenommen, ist vor ein paar Monaten selbst auf den Hof gezogen und hat noch rasch für 60.000 Euro eine neue Solarenergieanlage bauen lassen. Und er hat mit den 80 BewohnerInnen in Göttien über seine Idee gesprochen, dafür Zuspruch geerntet und alles klar gemacht für die Flüchtlinge. Aber dann kam die Kreisverwaltung, schaute sich auf dem Hof um und entschied: Nein, hierher kommen keine AsylbewerberInnen.

Der Landkreis Lüchow-Danneberg, der besser bekannt ist als „das Wendland“, gilt in der Republik als der Inbegriff für die Antiatombewegung, Verweigerung und Protest. Für unkonventionelle Ideen und alternatives Lebens: Hier sammeln sich Linke, Hippies, Wagenburgen, Biobauern. Was liegt da näher, als auf einem großen Hof als Ökokommune zusammen mit Flüchtlingen zu leben? Biogemüse anzubauen, sich abends in der verwaisten riesigen Gaststube zu treffen, Küchen- und Kochdienste einzuteilen? So, wie das Schaarschmidt aus den Landkommunen, in denen er seit Jahrzehnten lebt, gewohnt ist. Und so wie das üblich ist im alternativen Wendland.

„Das ist keine Schnapsidee“, sagt Schaarschmidt: „Ich will das immer noch.“ Die Willkommenskultur ist groß in dem kleinen Landstrich. In der Samtgemeinde Gartow im östlichen Wendland leben seit einem Jahr knapp 50 Frauen, Männer und Kinder aus Somalia, Eritrea, Syrien, Iran. Es gibt Willkommensfeste und Kleiderspenden, persönliche Patenschaften und Deutschkurse. Sogenannte Integrationslotsen gehen mit den Neuen zum Arzt, zum Landratsamt, zum Jobcenter. Beim Biosaftproduzenten Völkel haben drei Männer einen Job gefunden, ein syrischer Kriegsflüchtling darf nach monatelangem Kirchenasyl nun in Deutschland bleiben. Warum also wird Dieter Schaarschmidt das Zusammenleben mit Flüchtlingen verwehrt?

Ein Mann in blauem Pullover steht vor einem Hof.

Dieter Schaarschmidt vor seinem Hof in Göttien. Foto: S. Schmollack

„Jede Wohnung, die an Flüchtlinge vermietet wird, muss menschenwürdig sein“, sagt Susanne Lüth-Küntzel von der Kreisverwaltung. Jede Wohnung müsse ein Bad und eine Küche haben, sagt die Leiterin des Sozialdienstes: „Die Flüchtlinge sollen die Tür hinter sich abschließen können, um zur Ruhe zu kommen.“

Das sieht auch Dieter Schaarschmidt so. „Das wäre bei mir gar nicht anders“, sagt er. Anders wäre nur, dass es eine Gemeinschaftsküche gebe und keine Einzelküchen. „Ich verstehe nicht, warum die Behörden da so unflexibel sind“, sagt Schaarschmidt.

Lüchow-Dannenberg sollte laut der regionalen Elbe-Jeetzel-Zeitung bis September 2015 über 200 Flüchtlinge aufnehmen. Anders als andere Regionen hat der Landkreis das Glück, mehr freien Wohnraum zur Verfügung zu haben als hier Flüchtlinge ankommen. Sie werden zunächst in Städten wie Lüchow, Hitzacker und Dannenberg sowie in größeren Orten wie Gartow untergebracht. Es sei wichtig, sagt Lüth-Küntzel, dass die Flüchtlinge kurze Wege haben: Arzt, Kita, Schule und Einkaufsmöglichkeiten sollen in der Nähe sein.

Ein Anspruch, von dem Vermieter im Wendland profitieren, zum Beispiel Klaus Evert in Restorf. Dort besitzt er – so wie jetzt auch Dieter Schaarschmidt – einen alten Gasthof. Die früheren Pensionszimmer vermietet Evert seit einem Jahr an junge Männer aus Syrien und Palästina. Für jedes Zimmer zahlt der Landkreis rund 300 Euro. Die Räume verfügen über kleine Nasszellen mit einer Dusche. Aber sie haben keine eigene Küche. Klaus Evert hat auf dem Flur eine provisorische kleine Kochecke für alle eingerichtet.

Fahrräder und Bahncards

Das wirft Fragen auf: Warum darf Klaus Evert in Restorf etwas, was für Dieter Schaarschmidt in Göttien verboten ist? An Flüchtlinge vermieten, obwohl die Zimmer keinen eigenen Kochbereich haben?

Der Restorfer Gasthof habe eine Ausnahmegenehmigung, sagt Susanne Lüth-Küntzel von der Kreisverwaltung: „Der Eigentümer kümmert sich intensiv um die jungen Männer.“ Entscheidend sei auch die Nähe des winzigen Dorfes nach Gartow, dem nächstgrößten Ort mit Arzt, Bäcker, Apotheke und Eisdiele. Zehn Minuten braucht man mit dem Fahrrad dorthin, zu Fuß etwas länger. Klaus Evert macht mit den jungen Männern Ausflüge nach Lüchow und Lüneburg, er fährt mit ihnen ins Gartower Schwimmbad. Er hat ihnen Fahrräder besorgt und Bahncards, damit sie auch mal nach Berlin oder Hamburg zu Freunden reisen können. Jetzt hat Evert Lautsprecher und einen Verstärker besorgt, damit „die Jungs Musik machen können“.

Das alles will Dieter Schaarschmidt auch. Er hat sein Vorhaben noch nicht aufgegeben. Er überlegt, wie er die Zimmer umbauen kann, wie er kleine Küchen integrieren kann. Bis es soweit ist und Flüchtlinge bei ihm einziehen können, hat er an Erwachsene und Kinder aus Hamburg vermietet. Er nennt sie Stadtflüchtlinge.

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