Geflüchtete an EU-Außengrenzen: Aufruf zur Menschlichkeit
Die EU-Kommission will Asylverfahren an den Außengrenzen ermöglichen. Hilfsorganisationen fordern, dass die Ampel die Pläne ablehnt.
Die Pläne der EU-Kommission sehen Asylverfahren teils direkt an der EU-Außengrenze vor. Wie genau das aussehen soll, ist noch unklar, mutmaßlich soll der Prozess in Transitzonen oder anderen geschlossenen Einrichtung direkt an der Grenze ablaufen. Betreffen soll dies Geflüchtete aus Staaten mit einer durchschnittlichen Asyl-Anerkennungsquote von weniger als 20 Prozent. In ihrer Position zu den Plänen spricht sich die Bundesregierung dafür aus, diese Grenze auf 15 Prozent abzusenken, befürwortet die Vorschläge der Kommission sonst aber weitestgehend. Auch die grün geführten Bundesministerien haben zugestimmt.
Laut dem Aufruf der Flüchtlingsorganisationen drohe durch die Grenzverfahren, „dass Standards bei der Prüfung von Schutzgesuchen in der EU so stark abgesenkt werden, dass keine fairen Verfahren mehr zu erwarten sind.“ Dies gelte insbesondere, weil die Geflüchteten für die Dauer der Verfahren absehbar in Haft genommen werden sollen. „Humanitären Missstände an den EU-Außengrenzen“ dürften sich daher weiter verstärken während „der Flüchtlingsschutz durch absehbare Verfahrensmängel weiter untergraben wird“.
Im Aufruf wird auch die deutsche Zustimmung für den Vorschlag kritisiert, die Standards für sogenannte „sichere Drittstaaten“ abzusenken. Wer über einen solchen Staat in die EU einreist, erhält in der Regel kein Asyl mehr. Durch ihre Zustimmung zur Ausweitung des Status auf weitere Länder breche die Bundesregierung „ihr Versprechen, jedes Asylgesuch inhaltlich zu prüfen“, heißt es im Aufruf.
Die EU-Kommission will außerdem am Dublin-System festhalten, dass die Staaten mit den Asylverfahren beauftragt, in denen die Flüchtlinge ankommen. Einen verpflichtenden Mechanismus zur Verteilung der Flüchtlinge auf alle EU-Staaten soll es weiter nicht geben. Stattdessen ist lediglich ein Solidaritätsprinzip angedacht, bei dem Staaten, die Aufnahme verweigern können und stattdessen Geld geben. Die Flüchtlingsorganisationen schreiben, statt dem zuzustimmen solle in Deutschland lieber „mit Nachdruck an einer solidarischen Aufnahme von Ankommenden in der EU gearbeitet werden, welche die Rechte und Bedürfnisse der Schutzsuchenden stärker in den Mittelpunkt stellt.“
Würde das Asylpaket mit Zustimmung der deutschen Bundesregierung letztendlich beschlossen, so bedeute dies einen Dammbruch „vergleichbar mit dem deutschen Asylkompromiss vor dreißig Jahren.“ 1992 hatte die damalige Bundesregierung unter Helmut Kohl mit Unterstützung der SPD das Grundrecht auf Asyl im Grundgesetz stark eingeschränkt. Seitdem gilt etwa die Regelung zu sicheren Drittstaaten, die Geflüchteten das Asyl verwehrt, wenn sie über Staaten nach Deutschland einreisen, in denen sie nicht verfolgt werden. Auch das Verfahrens- und Sozialrecht wurde damals deutlich verschärft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin