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Gedenken an Coronatote in Italien„Ein Symbol des Schmerzes“

Ein Jahr, nachdem die Bilder von Leichentransporten aus Bergamo um die Welt gingen, erinnert Italiens Regierungschef Mario Draghi an die Toten.

Erinnerung an die Corona-Opfer: Italiens Ministerpräsident Mario Draghi am Donnerstag in Bergamo Foto: Filippo Attili/Palazzo Chigi Press Office/reuters

Rom taz | Mit einer kurzen Gedenkveranstaltung hat Italiens Ministerpräsident Mario Draghi in Bergamo am Donnerstagvormittag den Tag der Erinnerung für die Coronaopfer begangen. Sowohl die Stadt als auch das Datum waren alles andere als zufällig gewählt, und Draghi selbst erinnerte in seiner kurzen Rede daran: Am Abend des 18. März 2020 fuhr eine lange Kolonne von Militär-LKWs vor dem Friedhof Bergamos vor, um hunderte Särge abzutransportieren, weil das Krematorium völlig überlastet war. Darüber, so der Regierungschef, sei „dieser Ort zum Symbol des Schmerzes einer ganzen Nation geworden“.

Angereist war er, um in einer kleinen Zeremonie den neuen „Wald des Gedenkens“ einzuweihen, der direkt gegenüber dem Ospedale Sacco entstehen soll, dem Krankenhaus, in dem vor einem Jahr Dutzende Pa­ti­en­t*in­nen eingeliefert wurden und in dem viele von ihnen starben. Es war eine Zeremonie unter freiem Himmel, unter Pandemiebedingungen. Nur eine kleine Schar von Personen konnte ihr beiwohnen, Bergamo und ganz Italien waren auf die TV-Direktübertragung der RAI angewiesen.

Neben Draghi sprachen der Bürgermeister Giorgio Gori und eine Krankenschwester des Ospedale Sacco. Sie alle erinnerten an die tragischen Tage und Wochen vor einem Jahr, als die Pandemie die Stadt und die umliegende Provinz überrollte. Gori erinnerte daran, dass wohl kein anderer Ort in Italien den gleichen Tribut an die Seuche zahlte. Auf etwa eine Million Ein­woh­ne­r*in­nen der Provinz Bergamo kamen allein in der ersten Welle im Frühjahr 2020 über 6.000 Todesopfer.

Und Draghi bilanzierte: „In dieser Stadt gibt es niemanden, der nicht einen Verwandten oder Bekannten hätte, der vom Virus getroffen wurde“. In seiner Rede bemühte er sich jedoch auch, im Angesicht der dritten Welle und des dritten Lockdown Zuversicht zu verbreiten: „Dies ist ein Tag voller Trauer und voller Hoffnung. Der Staat ist präsent und wird präsent sein“.

Der neue „Wald des Gedenkens“ soll direkt gegenüber dem Krankenhaus Ospedale Sacco entstehen Foto: Filippo Attili/Palazzo Chigi Press Office/reuters

Drohung an Unternehmen, die nicht liefern

Die Hoffnung speist sich vor allem aus der Impfkampagne, die mit steigender Intensität fortgesetzt werden soll, unabhängig davon, ob der Stopp der AstraZeneca-Vakzine bleibt oder nicht. Italien hofft auf eine deutliche Beschleunigung im April, nachdem bisher die Impfzahlen prozentual zur Bevölkerung ähnlich niedrig liegen wie in Deutschland.

Drohende Worte fand der Regierungschef dann auch noch für jene Firmen, die mit ihren Lieferungen im Verzug sind: „Die Unternehmen, die die Verträge nicht einhalten“, müssten mit „einschneidenden Entscheidungen“ der Regierung rechnen. So hatte Italien vor einigen Tagen schon einen Exportstopp für in Italien produzierte AstraZeneca-Impfdosen verhängt.

Vor allem aber erinnerte er an die vielen Opfer, nannte einige von ihnen – Polizist*innen, Pfarrer, Krankenpfleger*innen, Dorf­bür­ger­meis­te­r*in­nen – beim Namen. Um an sie zu erinnern, pflanzte er den ersten Baum des Gedenkwaldes und versprach, eine „Welt wieder aufzubauen, wie sie sie für ihre Kinder und Enkel erträumten“.

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3 Kommentare

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  • Bergamo (3)

    Warum gerade Bergamo? Von den ca. 1.000.000 Einwohnern der Provinz Bergamo sind also in der Zeit vom Februar bis April 2020 ca. 6.000 Personen an Covid-19 gestorben. Nicht präzisiert wird in dieser Statistik, ob sie „an“ oder „mit“ Covid verstorben sind.







    Bekanntlich gehören Bergamo und das Hinterland zu den am meisten industrialisierten und somit im Hinblick auf die Umwelt zu den höchst belasteten Zonen Europas. Die Confindustria, Italiens größte Arbeitgeberorganisation, hat nach den ersten Allarm-Meldungen über Covid-19 Erkrankungen die in- und ausländische Kundschaft der in und um Bergamo angesiedelten Industriebetriebe dadurch zu beruhigen versucht, dass sie ein englischsprachiges Video ins worldwide web stellte: „(Business in) Bergamo is running“. Also: Macht Euch keine Sorgen. Die Geschäfte gehen weiter!

    [https://www.youtube.com/watch?v=Dt13NlmZa2Q&t=11s ]

    Ob eine Korrelation zwischen der dreckigen Atemluft (sog. Feinstaub) und dem Corona-Virus besteht, darüber gab es Untersuchungen. Ergebnis: Ja. Unabhängig davon bedarf es wohl keiner besonderen Phantasie sich vorzustellen, dass der jahrelang eingeatmete Industriedreck und die Belastung der Lungen durch ein Corona-Virus eine tödliche Mixtur ist. Insbesondere für ältere Leute.

    [https://www.bergamonews.it/2020/04/05/coronavirus-linquinamento-avrebbe-favorito-il-diffondersi-in-val-seriana/362433/]

    Die Verantwortlichen für den Dreck in der Atemluft? Wer wenn nicht die in den Expertenkommissionen auf kommunaler, regionaler und nationaler Ebene sitzenden Ärzte, die die Entscheidungsträger in „Wirtschaft und Gesellschaft“ all die Jahre dahingehend versichern, dass der Grad der Belastung, die sog. Grenzwerte, unbedenklich sei. Wäre nicht auch gegen sie Anzeige zu erstatten? Zumindest wegen Unterlassung?!

    Wer auf solche Zusammenhänge hinweist, wird flugs mit dem Stigma eines „Querdenkers“ gebrandmarkt, wie neulich der Unterzeichnete vom „Community team“ des SPIEGEL, nur weil er, wie übrigens auch die Schriftstellerin und Verfassungsrichterin von Brandenburg, Julia Zeh, selbige also nicht nur seiner Meinung nach als „Gesundheitsdiktatur“ bzw. „Doktatur“ bezeichnet.

  • Bergamo (2)

    Das gesamte Krankenhaussystem war (und ist noch immer) auf massenhaft Kranke nicht eingerichtet, man will nur solche Kranke, mit denen Gewinn zu machen ist und deren „Behandlung“ von den Krankenkassen gut bezahlt wird. Kliniken, die jetzt Intensivbetten freihalten und dafür die üblichen – lukrativen – Operationen ausfallen lassen, sollen entschädigt werden. Das jetzt allgemeine „man muss auch mal auf was verzichten“, gilt beim Medizinbusiness offensichtlich nicht. [https://www.medicinademocratica.org/wp/?p=11265, https://ilmanifesto.it/lo-stop-al-virus-non-risolvera-lemergenza/]

    Die Leute wurden in ihre Wohnzellen eingesperrt, damit die Ärzte Zeit hatten, sich auf deren kontrollierten Zugang zu den Krankenhäusern vorzubereiten, also eine Anzahl intensivmedizinscher Betten samt Lungenmaschinen und Schutzmaterial bereit zu haben. Deutschland hat im Vergleich zu anderen Ländern viel mehr (28.000) intensivmedizinische Betten. Aber die Betten allein nützen gar nichts, wenn kein Personal da ist und das war schon seit Jahren Mangelware. Und die Lungenmaschinen, die jetzt bestellt werden, nützen auch nichts, wenn keiner da ist, der sie bedienen kann. Schutzkleidung war sowieso Mangelware schon von Anfang an.

    Warum also nicht insbesondere auch gegen die für die (Nicht)Behandlung verantwortlichen Ärzte Strafanzeige erstatten?!

    Warum gerade Bergamo?

  • Bergamo (1)

    „Vor allem aber erinnerte er (der Regierungschef) an die vielen Opfer, nannte einige von ihnen – Polizist*innen, Pfarrer, Krankenpfleger*innen, Dorf¬bür¬ger¬meis¬te¬r*in¬nen – beim Namen. Um an sie zu erinnern, pflanzte er den ersten Baum des Gedenkwaldes …“



    Einzelschicksale, wie hier suggeriert wird? NEIN! Kollektivschicksal. Militärlastwagen, die die Leichen entsorgen, da es auf den örtlichen Friedhöfen keinen Platz mehr für frische Gräber gibt. Die Verstorbenen: anonym bestattet, ohne Trauerzeremonien, ohne Angehörigen. Die Toten sind unbekannt, wie schon zu Lebzeiten, eben. Alle datentechnisch voll erfasst, als Tote wie als Lebende ununterscheidbar tot, bis auf die Daten im Datenschutz. Lebenszeichen? Nein, Todeszeichen.







    Die Angehörigen haben sich selbst-organisiert, Anzeige erstattet, so der SPIEGEL („Corona-Sammelklagen in Italien“). Gegen Unbekannt! ABER: Wer sich der „Sammelanzeige“ anschließen will, so auf ihrer Webseite („Noi denuncieremo“) wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine Anzeige GEGEN Ärzte und das Pflegepersonal NICHT berücksichtigt wird! [https://www.noidenunceremo.it/ ]

    Man lese nochmals die Berichte von damals (Februar / März 2020). Die in den Krankenhäusern von Bergamo und Umgebung tätigen Ärzte, in Abstimmung mit den Hausärzten (sog. ‚medico di famiglia‘) und den Krankentransportdiensten wenden eine „atypische“ Triage (= Selektion) an: wer über 65 ist, wird nicht abgewiesen; wenn sich beim Notruf überhaupt sich jemand meldet, wird meist eine oberflächliche Ferndiagnose erstellt, werden irgendwelche Medikamente ‚verschrieben‘, die die Atembeschwerden lindern sollen. So gelangen viele ältere Personen, wenn sie nicht schon vorher zu Hause gestorben sind, völlig geschwächt ins Krankenhaus, wo sie dann bei Besuchsverbot, verkabelt an eine Maschine, mutterseelenallein wegsterben. [https://www.sicp.it/documenti/altri/2020/03/siaarti-raccomandazioni-di-etica-clinica-per-lammissione-a-trattamenti-intensivi-e-per-la-loro-sospensione/; ]