Gaza-Krieg in den Medien: Die Hölle von Gaza sehen
Israel hat den Krieg der Bilder bereits verloren. Das liegt auch an den eigenen Soldaten, die ihre Taten in Gaza filmen und ins Netz stellen.
A ls Annalena Baerbock zuletzt im April auf Benjamin Netanjahu traf, sollen sie über Bilder aus Gaza in Streit geraten sein. Israels Premier soll ihr Bilder von Märkten mit gefüllten Gemüseständen und Menschen am Strand gezeigt haben, berichteten israelische Medien. Im Gazastreifen herrsche keine Hungersnot, wollte er damit sagen. Sie könne ihm Bilder von hungernden Kindern zeigen, soll ihm die deutsche Außenministerin entgegnet haben.
Der Zwischenfall ist symptomatisch. Ihre Kriegsziele hat die israelische Regierung nach sieben Monaten nicht erreicht: Weder konnte sie die Geiseln auf militärischem Wege befreien noch die Hamas in die Knie zwingen. Den Krieg der Bilder hat Israel dagegen bereits verloren. Das liegt nicht nur an Medien weltweit, die Bilder palästinensischen Leids verbreiten. Es liegt auch an israelischen Soldaten, die ihre Taten in Gaza dokumentieren und unbekümmert ins Netz stellen.
Seit Monaten kommen aus Gaza unzählige Bilder von zerfetzten und verstümmelten, hungernden und verhungerten Kindern sowie Kindern, die ihre gesamten Familien verloren haben. Zuletzt gab es Bilder von Massengräbern, die nach dem Abzug des israelischen Militärs auf dem Gelände zweier Krankenhäuser in Gaza entdeckt wurden, und schreckliche Szenen aus Rafah, nachdem die israelische Armee dort am Sonntag ein Flüchtlingslager bombardiert hatte.
Journalisten zahlen hohen Preis
Ausländische Medien können solche Vorfälle schwer überprüfen, ihnen ist der Zugang zum Gazastreifen verwehrt. Die israelische Armee erlaubt es nur sehr wenigen ausländischen Journalisten, sie in Ausnahmefällen „embedded“ zu begleiten. Medien wie CNN, der Guardian und die New York Times bemühen sich dennoch, die Realität in Gaza abzubilden, so weit ihnen dies möglich ist, etwa durch Datenrecherchen. Doch es bleibt Reportern und Video-Bloggern vor Ort überlassen, der Außenwelt ein direktes Bild der Situation zu vermitteln.
Sie zahlen einen hohen Preis: Über 90 von Ihnen wurden seit Oktober im Gazastreifen getötet, hat das Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ) gezählt. Einige wurden zu Symbolfiguren des Krieges: der Fotograf Motaz Azaiza etwa, der auf Instagram 18 Millionen Follower hat und im Januar aus Gaza ausreiste. Oder der Bürochef des arabischen Senders al-Jazeera, Wael Al-Dahdouh, der im Oktober vor laufender Kamera erfuhr, dass seine Frau, zwei seiner Kinder und viele weitere Angehörige gerade einem israelischen Angriff zum Opfer gefallen waren.
Hilflose Verbote
Im Mai warf Israels Regierung al-Jazeera aus ihrem Land, der Sender kann in Israel jetzt nicht mehr empfangen werden. Nützen wird das wenig – genauso wenig wie ein TikTok-Verbot, über das in den USA diskutiert wird. Manche glauben, das chinesische Online-Portal habe die landesweiten Proteste an US-Universitäten angefacht. Doch auch auf anderen Kanälen, auf Instagram, Telegram und X, finden sich täglich haufenweise verstörende Bilder, die den Mythos der „moralischsten Armee der Welt“, wie Israel seine Streitkräfte gerne rühmt, untergraben. Sie stammen oft von israelischen Soldaten selbst.
Israelische Soldaten haben sich dabei gefilmt, wie sie Schulen, Universitäten, Krankenhäuser und Moscheen zerstören oder in die Luft jagen, ohne dass irgendein militärischer Sinn erkennbar wäre. Manche kommentieren ihr Zerstörungswerk mit zynischen Sprüchen oder denken laut darüber nach, Gaza in ihren Besitz zu nehmen. Andere filmten sich bei Vandalismus und Plünderungen in privaten Wohnungen. Freudig lassen sie Uhren und Schmuck, Teppiche und Möbel, aber auch Fahrräder und Kinderspielzeug mitgehen. Besonderes Vergnügen scheint es manchen Soldaten zu bereiten, erbeutete Frauenunterwäsche vorzuführen. Und das sind noch die harmlosesten Handy-Videos.
Bereits im Dezember kursierten im Netz Bilder, die Hunderte von Männern unterschiedlichen Alters zeigten, von israelischen Soldaten beaufsichtigt und bis auf die Unterwäsche entkleidet – manche auf der Straße, andere in einer Sandgrube oder dicht gedrängt auf der Ladefläche eines Militärlastwagens. Einzelne Soldaten filmten sich dabei, wie sie palästinensische Gefangene vorführten und verhöhnten. Andere posierten mit gefesselten Opfern, deren Augen verbunden waren. Es gibt noch schlimmere Aufnahmen, die zeigen, wie israelische Soldaten Menschen erschießen oder mit Armeefahrzeugen totfahren. Selten wurden in einem Krieg so viele Verbrechen live mit der Kamera festgehalten wie jetzt in Gaza.
Keine Angst vor Strafverfolgung?
Auffällig ist der Mangel an Unrechtsbewusstsein, der vorzuherrschen scheint. Disziplinarmaßnahmen durch die eigene Armee scheinen diese Soldaten nicht zu fürchten, schon gar keine Strafverfolgung. Dabei ermittelt der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag wegen möglicher Kriegsverbrechen, und der Internationale Gerichtshof geht dem Verdacht auf Völkermord nach.
Die Aufnahmen aus Gaza können dort als Beweisstücke dienen – so wie die Bilder von fanatischen Siedlern, die Hilfslieferungen für Gaza zerstören, ungestört von Polizei oder Armee, oder Szenen aus der Knesset und israelischen Talkshows, in denen israelische Politiker und Journalisten ganz offen genozidale Fantasien äußern, als Indizien für eine genozidale Absicht bewertet werden können.
Nach dem 7. Oktober nutzte Israels Regierung die schrecklichen Bilder von den Gräueltaten der Hamas, um ihr Vorgehen in Gaza zu rechtfertigen. Die täglich neuen, furchtbaren Bilder aus Gaza haben deren Schrecken überlagert. Deutsche Medien halten viele dieser Bilder zwar von ihrem Publikum fern. Noch weniger Bilder aus dem Gazastreifen erreichen die Menschen in Israel, denn die TV-Sender dort berichten kaum über das Leid in Gaza. Doch wer will, findet diese Bilder im Netz.
Das könnte erklären, warum manche gleichgültig auf diesen Krieg blicken, während andere schockiert und empört sind: Man lebt in verschiedenen medialen Realitäten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour