Für und Wider zu Gesellschaftsjahr: Soziale Verpflichtungen
Auf eine Wehrpflichtdebatte folgt der Vorschlag eines Gesellschaftsjahres für alle. Würden junge Menschen und Einrichtungen davon profitieren?
Ja.
Der Anlass ist der Falsche, klar. Dass die CDU-Politikerin Serap Güler im Spiegel ein „verpflichtendes soziales Gesellschaftsjahr“ vorschlägt, hat nämlich erst mal nichts damit zu tun, dass Care-Berufe aufgewertet werden sollen. Sondern es ist Nebenprodukt einer erneuten Debatte über die Wehrpflicht.
Letztere findet Güler unsinnig. Sie schreibt: „Was wir stattdessen brauchen, ist ein verpflichtendes soziales Gesellschaftsjahr für alle jungen Menschen, die ihren Schulabschluss in Deutschland machen – unabhängig von Geschlecht und Staatsbürgerschaft.“ Ihre Hoffnung: Dem Fachkräftemangel im Sozialen könne begegnet werden, indem man Jugendliche früher an den Bereich heranführt. Also: Aus der Schule direkt rein in Pflege, Kita, Stadtteilverein. Ein Jahr anpacken, dann erst raus in die „Freiheit“. Oh nee, stöhnt nicht nur meine (männliche) Generation, die bis 2011 noch gezwungenermaßen zivil diente – oder alles unternahm, um ausgemustert zu werden.
Pflichten nerven, das macht die Sache aber nicht weniger wichtig. Wir verpflichten junge Menschen zu so viel – Sportunterricht, Wandertage ins Museum, Thomas Mann lesen. Wir begreifen das als Grundbildung. Solidarisches Fürsorgen etwa nicht? Nö. Machen schließlich die Frauen.
Die Idee ist nicht neu, sie steht schon länger auf den Flipcharts vor allem der CDU. Schon 2019 hatte die damalige CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer das „verpflichtende soziale Jahr“ statt Wehrpflicht vorgeschlagen. Zu Beginn der Pandemie forderte der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) eine Sozialdienst-Pflicht. Es ist also nicht gerade eine sozialistisch geprägte Debatte. Kommt alles von den Konservativen, diesen ewigen Spielverderber*innen einer unbeschwerten Jugend. Linksliberale dagegen neigen zur Anti-Autorität, setzen auf intrinsische Motivation. Auf diese Weise entsteht aber eine Schere bei sozialen Tätigkeiten. Simpel gesagt: Soziales Engagement muss man sich leisten können – Care-Arbeit wird immer prekärer.
„Warum sollten wir nicht versuchen“, schreibt Güler, „diese für den gesellschaftlichen Zusammenhalt wichtigen Bereiche in ihrer Personalnot punktuell zu entlasten und junge Menschen mit sozialen Berufen näher bekannt zu machen?“ Ja, warum nicht?
Ein Jahr ist dafür zu viel. Vielleicht ist der Zeitpunkt nach dem Schulabschluss auch falsch gewählt. Eingehegt in die Schulzeit wäre besser. Also, erstes Halbjahr Neunte (vorausgesetzt, alle Schulgänge dauern mindestens zehn Jahre) ist ein soziales Praktikum dran, im Klassenverband, begleitet mit Lern-Blocks wie in der dualen Ausbildung. Natürlich ersetzen 15-Jährige keine Fachkraft. Sie sollen lernen und helfend zuarbeiten. Das gäbe Auszeit vom Notendruck, manche könnten endlich mal zeitweise „die Besten“ sein, mit Sorge-Skills glänzen.
Ideal wäre, wenn wir Erwachsenen mitziehen. Pause von der Erwerbsarbeit zwischen 30 und 50 für ein soziales Jahr, mit Grundeinkommen vom Staat. Eltern- und Pflegezeiten wären anrechenbar.
Peter Weissenburger
Nein.
Auch wenn Serap Güler den Vorschlag als eine Win-win-Situation verkaufen möchte, ist das Gegenteil der Fall. Wer soziale Arbeit zu einem Zwang macht, landet am Ende in einer Lose-lose-Situation.
An meiner Schule gab es in der 11. Klasse ein verpflichtendes Sozialpraktikum. Für zwei Wochen sollten wir Schüler:innen unentlohnt in einen sozialen Beruf hineinschnuppern. Diejenigen, die von einem Medizinstudium träumten, sahen in dem verpflichtenden Praktikum eine erste Chance zur Optimierung des Lebenslaufs und verbrachten ihre Zeit im Krankenhaus, andere vielleicht eine willkommene Abwechslung vom Schulalltag; doch die meisten hatten keinen Bock und entschieden sich dann meist für den Kindergarten als Arbeitsort. Vermutlich, weil sie dachten, das sei am wenigsten Arbeit. Dementsprechend fiel dann auch das Feedback der Erzieher:innen aus, das an unsere Lehrer:innen weitergegeben wurde. Denn statt einer Hilfe hatten sie mit nörgeligen Teenagern, die im Weg standen, eine zusätzliche Belastung am Arbeitsplatz.
Ähnlich stelle ich mir das bei einem verpflichtenden sozialen Jahr nach Schulabschluss vor. Denn auch wenn es selbstverständlich einzelne Personen gibt, die sich durch ein Pflichtjahr für einen sozialen Beruf begeistern könnten, sollte man sich fragen, wer von so einer Verpflichtung wirklich profitiert? Die ohnehin schon überarbeitete Pfleger:in, die in ihren Überstunden nun auch noch missmutige 18-Jährige herumkommandieren soll? Die Schulabgänger:in, deren Zukunftspläne aufgehalten werden? Oder die zu pflegende Person, die sich mit einer unausgebildeten Hilfskraft konfrontiert sieht?
Richtige Gewinner:innen scheint es bei einer Verpflichtung also nur wenige zu geben. Der Verdacht, dass auch diese Forderung nach einem verpflichtenden sozialen Jahr wieder nur ein Plan ist, mit der sich noch mehr Menschen als billige Arbeitskräfte ausbeuten lassen, ist also nicht von der Hand zu weisen.
Lösungen, um die anhaltende Care-Krise in Deutschland zu beenden, liegen ganz woanders. Auf den Fachkräftemangel im Gesundheits- und Pflegewesen sollte mit fairen Löhnen und besseren Arbeitsbedingungen, die auch eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Lohnarbeit garantieren, reagiert werden.
Menschen lassen sich besser für soziale Berufe begeistern, wenn aus der Pflicht ein Angebot wird. Allen Menschen – egal wie alt sie sind – sollte also die Chance gegeben werden, sich für 12 Monate sozial engagieren zu können. Wer auf ein regelmäßiges Einkommen angewiesen ist, kann nicht einfach mal für ein Jahr aus der Lohnarbeit aussteigen, um in einem Hospiz oder in der Obdachlosenhilfe zu arbeiten. Eine Win-win-Situation wäre es, wenn bestehende Programme wie das FSJ oder der Bundesfreiwilligendienst mit genügend Geld ausgestattet werden. Damit jede:r, die oder der Lust hat, die Angebote in Anspruch nehmen kann.
Carolina Schwarz
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