Fünf Jahre „Sturm auf Connewitz“: Schleppende Aufklärung
Vor fünf Jahren griffen Neonazis den Stadtteil Leipzig-Connewitz an. Die Prozesse dazu verlaufen zäh, offene Fragen bleiben.
Nach wenigen Minuten rückt die Polizei an und setzt 200 Tatverdächtige fest. Zurück bleibt ein Bild der Verwüstung: Einige Verletzte, 113.000 Euro Sachschaden und ein Schock, der die Bewohner:innen des Viertels noch lange begleiten wird. Es war der größte Neonazi-Angriff seit den Neunzigern.
Fünf Jahre ist das nun her. Eigentlich eine lange Zeit für die Strafverfolgung, wenn die Tatverdächtigen schon Minuten nach dem Angriff festgesetzt und identifiziert wurden. Dennoch sind noch immer nicht alle Täter verurteilt, die Prozesse laufen schleppend. Die bereits Verurteilten kamen bislang mit relativ milden Strafen davon.
124 Beteiligte sind verurteilt, 66 Verfahren offen
Laut Evangelischem Pressedienst (epd) sind 124 Angeklagte wegen besonders schweren Landfriedensbruchs rechtskräftig verurteilt. Die meisten davon erhielten Bewährungsstrafen zwischen einem und eineinhalb Jahren.
Zuletzt wurde ein Mitorganisator verschiedener Rechtsrockkonzerte im Oktober lediglich zu einer Geldstrafe von 900 Euro verurteilt. Für 66 mutmaßliche Angreifer gibt es dagegen bis heute keinen Prozesstermin. Ein Gerichtssprecher sagte dem epd, jede Richterin und jeder Richter würden selbst entscheiden, wann ein Verfahren eröffnet werde.
Für die Linken-Landtagsabgeordnete Juliane Nagel, die ihr Bürger:innenbüro selbst in Connewitz hat, sind die Prozesse „inzwischen reine Makulatur“. Die Verhandlungen seien „mit fragwürdigen Deals verkürzt“ worden, während die Geschädigten noch immer auf Aufklärung warteten. So gebe es bis heute keine Erkenntnisse über die Organisationsstruktur des Angriffs.
Warum verhinderten die Behörden den Angriff nicht?
Offen ist auch, warum die Behörden den Angriff auf Connewitz nicht verhindert hatten. Hinweise gab es genug: Mobilisierungen in Chatgruppen und eine Lageeinschätzung des Verfassungsschutzes wiesen darauf hin, dass für den Abend bundesweit Rechtsextreme anrückten. In dem Schreiben des Verfassungsschutzes, welches das Leipziger Stadtmagazin kreuzer erstmals veröffentlichte, heißt es: „Dies dürfte zu einer erheblichen Steigerung des gewaltbereiten Personenpotenzials in Leipzig beitragen, bei dessen unmittelbarem Aufeinandertreffen mit dem politischen Gegner – auch gewaltsame – Ausschreitungen zu befürchten sind.“ Warum die Polizei dennoch nichts von dem Angriff gewusst haben will, ist bis heute ungeklärt.
Dazu waren die festgesetzten Neonazis gut vernetzt: über inzwischen verbotene Kameradschaften, die Kampfsport- und Hooliganszene bis hin zum Umfeld der Rechtsterroristen der Bürgerwehr Freital. Auch der Verfassungsschutz bestätigte die rechtsextremistischen Bezüge einiger Angreifer. Ermittlungen in Richtung rechtsextremer Netzwerke sind in den Prozessen bislang jedoch nicht bekannt geworden.
Auch ein JVA-Beamter unter den Tätern
Stattdessen brachten diese andere Skandale ans Licht: Der Justizvollzugsbeamte Kersten H. soll an dem Angriff auf Connewitz beteiligt worden sein – und arbeitete dennoch noch drei Jahre in einer JVA. Hier könnte er auch Kontakt zu Mittätern gehabt haben.
Außerdem wurde der angehende Jurist Brian E. verurteilt, der 2018 trotz des laufenden Verfahrens sein Referendariat am Landgericht Chemnitz antreten konnte. Fotos zeigen E. mit einschlägigen Neonazi-Tattoos auf einem Event der rechtsextremen Kampfsportszene. Ermittlungen dazu hat die Staatsanwaltschaft jedoch Anfang 2020 eingestellt. Weder für Brian E., noch für die über 200 weiteren Neonazis, die Connewitz am 11. Januar 2016 verwüsteten, haben die Prozesse somit bisher wirklich schwerwiegende Konsequenzen gehabt.
Die Wunde im Stadtteil bleibt dafür tief. Für den kommenden Samstag planen Aktivist:innen eine Theaterkundgebung. Benannt ist die Aktion nach den Aussagen zahlreicher Angreifer vor Gericht, dass sie dem rechten Mob nur hintergelaufen seien: „Die längste letzte Reihe der Welt.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken