Frei werdende Chefposten im Norden: Wer folgt auf Habeck und Scholz?
Robert Habeck wechselt als Parteichef in die Hauptstadt, Olaf Scholz vielleicht als Vizekanzler. In Hamburg steht der Nachfolger fest, in Schleswig-Holstein nicht.
Spätestens im Spätsommer, wahrscheinlich früher, wird dieser seine Ämter als 1. Stellvertretender Ministerpräsident, sowie als Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung aufgeben und sich vollständig seinem neuen Job als Co-Chef der grünen Bundespartei widmen. Im nördlichsten Bundesland wird der Abgang des 48-Jährigen ein politisches Loch hinterlassen – in der Landespolitik, in der Jamaika-Koalition und vor allem in seiner eigenen Partei.
Ähnlich, aber in den Auswirkungen weniger dramatisch, dürfte es der Hamburger SPD ergehen, wenn demnächst doch eintritt, was seit Jahren vehement bestritten wird: die Rückkehr von Bürgermeister Olaf Scholz in die Bundespolitik.
Er wolle 2020 erneut und zum dritten Mal in Hamburg als Bürgermeister-Kandidat antreten, versichert Scholz bei jeder Gelegenheit. Doch sollte die Partei ihn bitten, in einer Großen Koalition Vizekanzler und Bundesfinanzminister zu werden, wird er sich weder verschließen wollen noch können. Sein Nachfolger an der Elbe indes steht schon parat: Fraktionschef Andreas Dressel wäre als neuer Regierungschef in seiner Partei unumstritten, wie auch beim grünen Koalitionspartner wohl gelitten.
Eben da jedoch liegt eines der Probleme für Tranziska. Einen Mann oder eine Frau zu finden mit der Strahlkraft des Talkshow-Lieblings Habeck ist fast unmöglich. Zum Anforderungsprofil gehört zudem, den Gemischtwarenladen, den Habecks Ministerium darstellt, leiten zu können, ohne sich zu verzetteln. „Außerdem sollte es jemand sein, dessen oder deren Stil wir schätzen, und zu Jamaika passen muss er oder sie auch“, sagt Tranziska. „Die eierlegende Wollmilchsau muss deshalb auch nicht zwingend aus Schleswig-Holstein kommen“, sagt die Landeschefin, „Das ist kein KO-Kriterium“.
Und schon brodelt die Gerüchteküche. Stefan Wenzel wird genannt, bis November vorigen Jahres Umweltminister und Vize-Regierungschef in der rot-grünen Koalition in Niedersachsen; auch der Name seines damaligen Kabinettskollegen, Agrarminister Christian Meyer, fällt. Beide indes gingen nach der Niedersachsen-Wahl im Oktober lieber in die Opposition, als über Jamaika in Hannover zu sprechen – keine Empfehlung für Schwarz-Grün-Gelb in Kiel.
Dafür kommt Anjes Tjarks ins Spiel, Fraktionschef der Grünen in der Hamburger Bürgerschaft und dort auf dem besten Wege, sich einen mit Habeck vergleichbaren Ruf zu erarbeiten. Der blitzgescheite Allleskönner, seit Jahren ein enger Vertrauter von Habeck, ist mit seinen 37 Jahren eine Option auf die grüne Zukunft – in Hamburg, in Kiel, vielleicht auch im Bund.
Eine fachlich hochkompetente Lösung wäre Ingrid Nestle, promovierte Energie- und Umweltmanagerin und bislang Habecks Staatssekretärin im Kieler Ministerium. Sie aber sieht sich nicht wirklich als Landespolitikerin und ist im September wieder in den Bundestag eingezogen, wo sie schon bis 2012 saß. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die 40-Jährige sich zur Rückkehr überreden lässt, um das Ministerium zu übernehmen, das sie gerade erst verlassen hat.
Bislang keine offiziellen Gespräche bei den Grünen
Eka von Kalben, grüne Fraktionschefin im Kieler Landtag, beteuert glaubhaft, eben das bleiben zu wollen. Und Konstantin von Notz, grüner Fraktionsvize im Bundestag, Innenexperte und Habeck-Freund, drängelt sich überhaupt nicht nach dessen Job. Ihn müssten die Grünen zwischen den Deichen auf Knien anflehen, doch bitte bitte Minister zu werden.
Bislang habe es „noch mit niemandem offizielle Gespräche gegeben“, beteuert Ann-Kathrin Tranziska, nur mal „so lockeres Plaudern“. Nach der Wahl Habecks zum Bundesparteichef am Sonnabend habe der Landesvorstand am Montagabend aber beschlossen, nun in zielführende Verhandlungen zu gehen. Dass schon auf der nächsten Sitzung des Parteirats, höchstes Gremium zwischen den Landesparteitagen, am 8. Februar, eine Entscheidung fallen könne, sei „möglich, aber nicht wahrscheinlich“, so Tranziska: „Wenn der Name feststeht, werden wir ihn kommunizieren.“
Wegen einer eventuellen Scholz-Nachfolge in Hamburg steht mit Andreas Dressel der Thronfolger indes fest. Der 42-Jährige ist in Partei und Fraktion gleichermaßen anerkannt und gilt als ebenso integrativ wie führungsstark. Zusammen mit seinem grünen Amtskollegen Anjes Tjarks bildet er die – wegen der Anfangsbuchstaben der Vornamen – „A-Team“ genannte schnelle Eingreiftruppe, die Konflikte in der Koalition, wie vor allem mit den BürgerInnen, wegzumoderieren versteht.
Dressel versteht es, Konflikte wegzumoderieren
Beispielhaft war 2016 die Einigung mit der Volksinitiative zur Unterbringung von Flüchtlingen, die einen Volksentscheid und damit eine brisante gesellschaftliche Polarisierung verhinderte. Notfalls redet der stets freundliche Zwei-Meter-Hüne Dressel so lange immer wieder dasselbe, bis der Gesprächspartner aufgibt.
Zwei weitere Namen, die von interessierter Seite lanciert werden, sind indes chancenlos. Sowohl Innensenator Andy Grote, erst seit zwei Jahren im Amt, wie auch Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit, werden ins Spiel gebracht. Sie stammen beide aus dem SPD-Kreisverband Hamburg-Mitte des umstrittenen Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs, Chef des bundesweiten „Seeheimer Kreises“ der SPD-Rechten. Allein deshalb sind sie für die Mehrzahl der anderen Hamburger Kreisverbände als BürgermeisterIn unwählbar.
Von Kahrs werden die beiden ohnehin nur zum Pokern eingesetzt. Wenn er Dressel nicht verhindern kann, will er wenigstens dessen Nachfolger als Fraktionschef bestimmen: seinen Gefolgsmann Dirk Kienscherf, bisher als Parlamentarischer Geschäftsführer die Nummer 5 in der Fraktionsführung, will er als neuen Vorsitzenden installieren.
Ob Scholz aber ins Bundeskabinett wechselt, hängt noch von zwei Kleinigkeiten ab. Erstens muss die SPD-Basis in einem Mitgliederentscheid einen Koalitionsvertrag mit CDU/CSU akzeptieren, und zweitens muss Parteichef Martin Schulz als Groko-Minister verhindert werden. Denn nach der SPD-internen Macht-Arithmetik kann es kein u&o geben: Schulz oder Scholz, das ist hier die Frage.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier