Frauen in der Midlife-Crisis: Wären da nur nicht die Wechseljahre
Die Midlife-Crisis kann ein Startschuss zur Neuorientierung sein. Doch lange durften nur Männer eine solche Krise haben, Frauen waren ausgenommen.
D ass Frauen die Aussicht auf eine Midlife-Crisis haben, muss man als Fortschritt sehen. Lange war in Forschungsarbeiten, Medien und Talkshows nur von Männern die Rede, wenn es darum ging, in der Lebensmitte Bilanz zu ziehen. Gut, kann man sagen, eine Krise weniger ist kein großer Verlust. Der zum Klischee geronnene alternde Porschekäufer ist nicht die Figur, die man dringend sein wollte. Unfähig, einen souveränen Umgang mit dem Altern zu finden, halb überrascht, halb gekränkt, dass die Endlichkeit auch für ihn gilt.
Aber zur Midlife-Crisis gehört mehr als nur Prunkkauf und Übersprungsbeziehung. Sie folgt dem Selbstbewusstsein, dass das eigene Leben bedeutsam genug ist für eine Halbzeit-Bilanz. Zu ihr gehört die Vorstellung, dass diese Krise Ausgangspunkt für eine Neuorientierung sein kann, sei es unauffällig oder als dramatische Neuerfindung. Und: die Annahme, dass die Welt da draußen mitmacht bei der Neujustierung.
So gesehen ist die Midlife-Crisis nicht nur Zumutung, sondern auch Selbstvergewisserung und Privileg. Mit Verspätung wurde sie auch Frauen zugestanden. Nachdem sich der US-Psychologe Daniel Levinson 1978 in „Seasons of a Man’s Life“ grundlegend mit den Entwicklungszyklen im Leben von Männern befasst hatte, brauchte es 18 Jahre, bis sein Buch „Seasons of a Woman’s Life“ erschien. Frage ich meine 87-jährige Mutter nach der Midlife-Crisis, denkt sie ausschließlich an Männer, frage ich jüngere Kolleg:innen, Nichten und Neffen, geht es ebenso um Frauen.
Aber die Tür zur Neuorientierung steht bestenfalls halb offen. Davor steht das Szenario Wechseljahre, das die Frauen wieder aus dem Spiel nimmt, bevor sie überhaupt drin sind. Das Bild der Frau in den Wechseljahren ist eine Variation des Konzepts der gefühlsgesteuerten Frau, die unfähig zu rationalen Überlegungen ist. Die Frau in den Wechseljahren ist die Summe ihrer in Unordnung geratenen Hormone, ihr Hauptproblem Hitzewallungen und ihr Hauptmerkmal der Abschied von der Gebärfähigkeit.
Versenkung in die Irrelevanz
Sie ist Opfer und Reagierende, Selbstbestimmung ist ihr unbekannt. Frauen in den Wechseljahren sind eine interessante Gruppe für die Hersteller von Hormonpräparaten, das ist es aber auch. Das Ganze wird nicht besser durch Bücher, die beteuern, dass die Wechseljahre „cooler sind, als wir glauben“, und es mit etwas gutem Willen möglich sein sollte, sich weiterhin sexy zu fühlen.
Die Frau in der Menopause ist gehalten, ihren dysfunktionalen Körper in so etwas wie einen tolerablen Ruhezustand zu bringen, mehr wird von ihr nicht erwartet. Von Neuerfindung, Aufbruch ist nicht die Rede, kann gar nicht die Rede sein. Es ist trostlos. „Mehr als die Summe meiner Hormone“ könnte man auf sein T-Shirt schreiben, im klaren Wissen, dass die hormonellen Veränderungen alternder Männer kein Thema sind.
In jedem Fall ist die Frau in der Menopause nicht diejenige, die die Kapazitäten hätte, eine Bilanz zu ziehen, die mehr umfasst als ihren Hormonspiegel. Sie ist nicht diejenige, die sich in ihrer Rolle als Berufstätige, als Partnerin, Freundin, Mutter, Tochter oder als Teil einer Gesellschaft betrachtet und fragt: Wo stehe ich eigentlich? Finde ich sinnvoll, was ich tue? Gefällt es mir? Wäre ich gerne Chefin? Wäre ich gerne Trainerin der örtlichen Ringtennismannschaft?
Natürlich ist es wichtig, Schmerzen artikulieren zu können, statt sie nach alter weiblicher Sitte totzuschweigen. Natürlich muss keine Frau so tun, als sei ihr Körper eine Maschine, die mit etwas Wartung geräuschlos ihren Dienst tut. Aber diese Möglichkeit sollte niemand damit bezahlen müssen, in der Versenkung der Irrelevanz zu verschwinden.
Mehr Freiheit als je zuvor
Ein Begriff taucht immer wieder in Texten auf, in denen es um Frauen im Midlife-Crisis-fähigen Alter geht: unsichtbar. Die meisten dieser Texte stammen von Frauen und es geht vor allem um das Nicht-mehr-wahrgenommen-Werden durch Männer unterschiedlichsten Alters. Die Auslöschung wird mit verlorener Attraktivität erklärt, so weit, so vorhersehbar. Aber warum werden die alternden Frauen unsichtbar für die jungen?
Weil sie Gefangene der Menopause sind, unfähig, so glaubt man, nach außen hin Wirksamkeit zu entfalten. Dabei ist es der ideale Zeitpunkt für radikale Schritte. Denn das, was bisher an festen Rollenzuschreibungen da war, lockert seinen Griff: potenzielle Kinder sind selbstständig und im konventionellen Attraktivitätsbingo spielt man auch nicht mehr mit. Das ist mehr Freiheit, als je zuvor im Leben einer Frau.
Müsste das nicht genau der Raum sein, aus dem heraus sich die Frau in der Midlife-Crisis neu erfindet, halb neu erfindet oder die Alte bleibt, ganz so, wie sie es möchte? Ich glaube, dass es diesen Raum gibt. Aber er ist klein und zugerümpelt. Die Frau in der Midlife-Crisis muss dem Bannkreis der Menopause entkommen. Wenn sie nicht aufbegehrt, wird sie kleingehalten. Eine kleine Auswahl: Ist sie Schauspielerin, Hostess oder Comedien, wird sie seltener gebucht.
Ist sie Journalistin, läuft sie Gefahr, seltener zu Interviews geschickt zu werden. Was sie tut, um in die Gesellschaft zu wirken, hat gute Chancen, belächelt zu werden: die Ehrenamtliche bei der Hausaufgabenhilfe: gut gemeint, aber nicht ernst zu nehmen. Ist sie gleichgültig, was ihr Äußeres anbelangt, hat sie sich aufgegeben. Ist es ihr nicht gleichgültig, hat sie die Schüsse nicht gehört. Die Midlife-Crisis ist eine Zeit, in der Frauen feststellen, dass sie theoretisch alle Möglichkeiten haben, praktisch aber nicht.
Es ist aber auch der Moment, in dem sie sich umschauen können und erkennen: Die Zeit ist auf unserer Seite. Wir sind viele. Wenn wir für andere unsichtbar sein sollten – für uns sind wir es nicht. Kürzlich sprach ich mit zwei Frauen über die Midlife-Crisis und eine von ihnen sagte: „Die älteren Frauen sind solidarischer.“ „Die jungen sind doch auch solidarisch“, sagte die andere. Vermutlich sind es beide. In jedem Fall kann man alle Solidarität brauchen im Kampf gegen hormonelle Nebelkerzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen