Framing in politischen Talkshows: Das „Wir“ und das „Die“
Bilden Talkshows wie „Maischberger“ und „hart aber fair“ einfach nur Debatten ab? Oder helfen sie, den Diskurs nach rechts zu schieben?
Mittwoch, 21.45 Uhr im Ersten. Sandra Maischberger lässt mal wieder über Toleranz und Islam diskutieren. Der Aufhänger: eine Romanverfilmung. Das fiktionale Bild eines islamisierten Frankreichs im Jahr 2022 deutet die ARD-Talkshow als mögliches Zukunftsszenario. Im Studiohintergrund: eine gerissene Deutschlandfahne, davor eine verschleierte Muslimin.
Wenige Tage zuvor, am Montag, sendet die Talkshow „hart aber fair“, ebenfalls ARD, zum Thema „Flüchtlinge und Kriminalität“. Beide Sendungen waren im Vorfeld heftiger Kritik ausgesetzt. Für viele war diese Talkshow-Woche ein eindeutiges Beispiel für den Erfolg von rechtspopulistischem Framing.
Framing, in etwa „Einrahmen“, ist ein Begriff aus der Kommunikationswissenschaft. Er bezeichnet die Darstellung eines Themas in einem bestimmten Bezugsrahmen, der die Informationsverarbeitung und Meinungsbildung steuert. Kurz: Was wird zum Problem erklärt, und wie groß erscheint dieses Problem dem Publikum? Dazu beitragen können die Auswahl der Gäste, die Fragen der Moderation sowie die Themensetzung.
Fernseh-Talkshows haben dazu beigetragen, rechtspopulistische Narrative zu normalisieren. Das sieht inzwischen auch der Deutsche Kulturrat so. Der Geschäftsführer des Dachverbands. Olaf Zimmermann, regte vergangene Woche sogar an, die „Talkshows im Ersten und im ZDF sollten sich eine einjährige Auszeit nehmen und ihre Konzeptionen überarbeiten“.
AfD-Standpunkte zur besten Sendezeit
2015 begannen die Talkshows, die Themen Flucht, Terror und Islam vermehrt aufzugreifen. Von insgesamt 139 Sendungen „Anne Will“, „Maybrit Illner“, „Maischberger“ und „hart aber fair“ im Jahr 2015 drehten sich 50 um diese Schlagwörter, mit Titeln wie „Der Hass und die Folgen – spaltet der Terror das Abendland?“ oder „Religiös verblendet, politisch verirrt: Gefährden Radikale unsere Gesellschaft?“. Talkshows präsentierten so die AfD-Standpunkte zur besten Sendezeit, lange bevor die Partei in den Bundestag einzog. Mittlerweile braucht es gar keine Vertreter*innen der AfD mehr, um deren Themen zu diskutieren.
Der ursprüngliche Titel der Maischberger-Sendung vom Mittwoch lautete: „Sind wir zu tolerant gegenüber dem Islam?“. Das Framing liegt hier zum einen in der Konstruktion, dass „wir“ und „der Islam“ zwei grundverschiedene Dinge, vielleicht sogar zwei Fronten sind. Zum anderen in der Unterstellung, dass es ein „Zuviel“ an Toleranz nicht nur gibt, sondern dass es möglicherweise bereits erreicht ist.
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Nach Protesten änderte die Redaktion den Titel in „Die Islamdebatte: Wo endet die Toleranz?“. Das Muster bleibt gleich. Mithilfe von Schlagwörtern entstehen Bedrohungsszenarien. In den betreffenden Sendungen soll dann diskutiert werden, wie Muslime oder Flüchtlinge, welche oftmals gleichgesetzt werden, (nicht) zu Deutschland passen, die innere Sicherheit gefährden oder das Land anderweitig in eine Krise stürzen.
Das ging auch aus der Ankündigung der letzten Folge „hart aber fair“ hervor: „Junge Männer, geflohen aus Krieg und archaischen Gesellschaften – für viele hierzulande Grund zu Sorge und Angst. Können solche Flüchtlinge überhaupt integriert werden? Wie unsicher wird Deutschland dadurch?“
Teilweise falsche Behauptungen
Suggestivfragen sind auch ein Teil der Moderation. Etwa dann, wenn Maischberger ihren Einspieler mit den Worten ankündigt: „Wo hört die Selbstaufgabe einer Gesellschaft auf, die ihre eigenen Werte verrät?“ Was folgt, ist eine Sequenz über Änderungsmaßnahmen, vermeintlich zugunsten von Muslimen: das Streichen von Schweinefleisch auf Kantinenplänen in Frankfurter Schulen, Muezzinrufe in Düren und die Umbenennung des St.-Martin-Umzugs in einer Düsseldorfer Kita in „Lichterfest“.
Allerdings gibt es Muezzinrufe in Düren – dreimal am Tag – schon seit den 1990er Jahren. Sowohl ein ansässiger SPD-Politiker wie auch der CDU-Oberbürgermeister bestätigen, dass dies seit Jahrzehnten Alltag der Stadt sei und sich niemand daran stört. Die Behauptung, Martins-Umzüge in Düsseldorf seien zugunsten muslimischer Familien in Lichterfest umbenannt, stellt sich sogar als Falschmeldung heraus. Entkräftet wurde die Behauptung von der bei Maischberger angegeben Quelle selbst.
Zwar war im Screenshot der Rheinischen Post zu lesen, dass Lichterfeste den St.-Martins-Umzug verdrängten, doch brachte die Zeitung wenige Tage später einen Faktencheck, nachdem von 200 Grundschulen im Raum Düsseldorf genau zwei das Fest umbenannt hatten.
Falsche Fakten haben aber auch die Gäste selbst in die Sendung eingebracht. Islamkritikerin Necla Kelek behauptet, dass Muslime mittlerweile zu viel Platz einnähmen. Keine andere Minderheit würde so viel verlangen, man solle sie nur mal mit den Vietnamesen vergleichen. Vietnamesen gegen andere Minderheiten ausspielen konnte Thilo Sarrazin übrigens auch schon 2010 gut. Kelek zeichnet das Bild von Schulen mit einem 90-prozentigen Anteil von Muslimen, an denen man nach Schweinefleisch und Schwimmunterricht lange suchen müsse und Kinder vollverschleiert rumlaufen. Der Grund dafür sei, dass Deutschland nicht genug auf seine unverhandelbaren Werte poche. Eine Nachfrage der Moderation bleibt aus, die Behauptung wird zum Fakt.
Entscheidend ist in der laufenden Debatte, ob Journalisten anerkennen, dass sie Framing betreiben, oder nicht. „Framing?“, fragte die Redaktion von „hart aber fair“ auf Twitter. „Als Journalisten können wir mit diesem Begriff wenig anfangen. Wir versuchen das, was Menschen beschäftigt, so darzustellen, wie es ist.“
Derweil rühmt sich die Redaktion damit, dass sie Alexander Gauland als Gast für kommende Sendungen ausgeschlossen hat. Der AfD-Vorsitzende hatte mit seiner den Holocaust relativierenden Aussage für Empörung gesorgt. Die vergangene Sendung zeigte jedoch, dass die Schlagwörter der AfD auch ohne deren Anwesenheit überstrapaziert werden können.
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