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Forschungsprojekt zu DDR-UnrechtLeid, das bis heute anhält

Welche Langzeitfolgen hatten Überwachung, Verhöre und Zersetzung in der DDR? Ein Forschungsverbund will dies nun untersuchen.

Die Gedenkstätte „Roter Ochse“, in der die Stasi Verhöre durchführte Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Leipzig taz | Noch heute – 31 Jahre nach dem Ende der DDR – leiden viele Menschen unter dem erlebten SED-Unrecht, psychisch wie körperlich. Ein Forschungsverbund der Universitäten Magdeburg, Jena, Leipzig und Rostock untersucht diese gesundheitlichen Langzeitfolgen nun drei Jahre lang – mit dem Ziel, die Behandlung und Lebenssituation von SED-Opfern zu verbessern.

„Überwachung, Verhöre und Zersetzung, das alles wirkt bei Betroffenen auch heute noch nach“, sagt Jörg Frommer, Sprecher des Forschungsverbundes und Facharzt für Psychiatrie. Er forscht seit 25 Jahren an der Uni Magdeburg zu gesundheitlichen Folgen von SED-Unrecht.

Betroffene litten zum Beispiel unter posttraumatischen Belastungsstörungen, Depressionen oder Angststörungen, sagt der Arzt. Oftmals kämen körperliche Beschwerden hinzu. „Das Spektrum reicht von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, degenerativen Erkrankungen des Bewegungsapparats, Schmerzstörungen und endokrinen Störungen bis hin zu Krebserkrankungen.“ Bei vielen Betroffenen handele es sich nicht um einzelne Gesundheitsschäden, sondern um „komplexe Mehrfacherkrankungen mit inzwischen jahrzehntelangem Verlauf“.

„Gravierende Wissenslücken“

Frommer kritisiert die medizinische Versorgung von SED-Opfern. „Es mangelt an Wissen darüber, dass das durch die Betroffenen Erlebte real war und auch heute noch Auswirkungen nach sich zieht.“ Insbesondere junge Mediziner*innen, Pfle­ge­r*in­nen oder So­zi­al­ar­bei­te­r*in­nen wiesen „gravierende Wissenslücken“ hinsichtlich der DDR-Geschichte auf. „So bleibt zum Beispiel unverständlich, warum ein SED-Opfer aufgrund seiner Erfahrungen nicht in ein Pflegeheim möchte“, so Frommer.

Das länderübergreifende Forschungsprojekt umfasst zwölf Teilprojekte. Die Universitäten Magdeburg, Jena, Leipzig und Rostock übernehmen jeweils drei Projekte.

Verseuchte Prophylaxe-Impfungen

Die Universität Magdeburg untersucht die Langzeitfolgen der mit Hepatitis-C-Viren verseuchten Anti-D-Prophylaxe-Impfung, die Ende der Siebzigerjahre in der DDR knapp 7.000 Frauen verabreicht wurde. Die Impfungen bekommen in der Regel Mütter, deren Rhesusfaktor – anders als bei ihrem Kind – negativ ist. Der Rhesusfaktor wird immer mit der Blutgruppe angegeben. Die meisten Menschen in Deutschland sind zum Beispiel A positiv oder 0 positiv. Die Impfung verhindert, dass sich im Blut der rhesus-negativen Mutter Antikörper gegen die Blutzellen des rhesus-positiven Ungeborenen bilden, was schwere gesundheitliche Folgen für das Kind haben kann.

Diese Impfung war in der DDR gesetzlich vorgeschrieben. Obwohl 1978 der Vedacht aufkam, dass Chargen mit Hepatitis-C-Viren kontaminiert sind, wurden sie Frauen bis 1979 verabreicht. Die betroffenen Mütter erkrankten und wurden in Kliniken zwangseingewiesen. Sie waren teils monatelang von ihren Familien getrennt. „Bis heute leiden viele dieser Betroffenen an körperlichen sowie psychischen Folgeschäden und kämpfen um gesellschaftliche Anerkennung“, heißt es in einer Pressemitteilung des Forschungsverbundes. Geplant sind 20 Interviews mit betroffenen Frauen.

In zwei anderen Projekten erforscht die Uni Magdeburg, wie die Beratung von SED-Opfern und die Begutachtungspraxis in Entschädigungsverfahren verbessert werden können. In der Pressemitteilung heißt es, dass Betroffene in der Begutachtungspraxis „oft eine Wiederholung des in der DDR erlebten Unrechts“ erlebten. Manche Gut­ach­te­r*in­nen seien nicht ausreichend qualifiziert – was häufig dazu führe, dass die gesundheitlichen Folgeschäden der Betroffenen nicht anerkannt würden.

Langzeitfolgen durch Doping

Die Universität Rostock untersucht wiederum, welche gesundheitlichen Langzeitfolgen das staatliche Doping der DDR bis heute verursacht. Die Wis­sen­schaft­le­r*in­nen befragen hierzu Sportler*innen, denen damals Dopingmittel verabreicht wurden. Bei der Befragung geht es um psychische und körperlichen Erkrankungen sowie um die psychosoziale Entwicklung der Betroffenen. Ziel ist es, Beratungs- und Behandlungskonzepte speziell für von der DDR gedopte Sport­le­r*in­nen zu entwickeln.

Das zweite Projekt der Uni Rostock erforscht die körperlichen Langzeitfolgen von SED-Opfern. „Während die Auswirkungen politischer Verfolgung und anderer SED-Unrechtsformen auf die psychische Gesundheit vergleichsweise gut untersucht sind, stehen belastbare Studien zu den Zusammenhängen zwischen SED-Unrecht und körperlichen Langzeitfolgen aus“, heißt es in der Mitteilung. Geplant ist die medizinische Untersuchung von 200 Betroffenen.

In dem dritten Projekt geht es um die Spätfolgen von Zersetzungsmaßnahmen der Stasi. Die sogenannte „Zersetzung“ war eine psychologische Methode des Ministeriums für Staatssicherheit, die Panik, Verwirrung und Angst auslösen sollte. Die Wis­sen­schaft­le­r*in­nen der Uni Rostock wollen 500 Menschen, die in der DDR Opfer von Zersetzung wurden, zu ihrer psychischen und körperlichen Gesundheit befragen. Die Ergebnisse vergleichen sie am Ende mit dem Gesundheitszustand der Allgemeinbevölkerung.

SED-Unrechtsopfer werden stigmatisiert

Die Universität Leipzig beschäftigt sich mit der anhaltenden Stigmatisierung von SED-Unrechtsopfern, zum Beispiel von ehemaligen Häftlingen oder Heimkindern. Es geht zum einen um die Perspektive der Betroffenen, also darum, inwiefern sie nach dem Ende der DDR Stigmatisierung erlebt und wie sich diese Erfahrungen auf ihr Leben ausgewirkt haben. Zum anderen beschäftigen sich die Wis­sen­schaft­le­r*in­nen mit Vorurteilen bei Therapeut*innen, Ärz­t*in­nen der Mit­ar­bei­te­r*in­nen in Beratungsstellen.

In einem dritten Projekt gehen die For­sche­r*in­nen der Frage nach, welche Haltungen es gegenüber Opfern von SED-Unrecht in der Bevölkerung gibt – und wie sich diese Haltungen zwischen Ost- und Westdeutschland unterscheiden. „Ziel der drei Projekte ist es, die Öffentlichkeit und das Hilfesystem für Stigmatisierung zu sensibilisieren, praxisrelevante Maßnahmen abzuleiten und so zu einer Entstigmatisierung der Betroffenen beizutragen“, sagt der Leipziger Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Georg Schomerus.

Bisher kaum Forschung über institutionelle Gewalt

Die Universität Jena schließlich widmet sich in einem Projekt den rituellen Gewaltpraktiken in der DDR. „Dazu zählt beispielsweise sexueller Missbrauch, der institutionell vertuscht oder gar unterstützt wurde“, sagt Bernhard Strauß, Direktor des Instituts für Psychosoziale Medizin, Psychotherapie und Psychoonkologie der Uniklinik Jena. Betroffene institutioneller Gewalt in der DDR seien in der Forschung bisher kaum berücksichtigt. Die Wis­sen­schaft­le­r*in­nen wollen sowohl Betroffene interviewen als auch Traumatherapeut*innen, die mit Betroffenen arbeiten oder gearbeitet haben.

Darüber hinaus untersucht die Uni Jena, inwieweit sich die hormonelle Stressregulation bei SED-Opfern infolge von chronischen oder traumatischen Stresserfahrungen verändert hat. Eine solche Veränderung erhöhe zum Beispiel das Risiko für Depressionen oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen, sagt Strauß.

Im dritten Projekt der Uni Jena geht es um die Weiterbildung von Pflegepersonal, Ärz­t*in­nen und Mit­ar­bei­te­r*in­nen in Beratungsstellen. „Noch viel zu häufig erfahren Opfer des SED-Regimes erneut Unrecht, weil Ansprechpartner nicht ausreichend informiert sind über die besondere psychomedizinische Situation der Betroffenen. Deshalb sollen unsere Forschungsergebnisse schnell im Beratungs- und Versorgungsalltag umgesetzt werden“, sagt Strauß.

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5 Kommentare

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  • Interessanter und wichtiger Beitrag.



    ..Ein Forschungsverbund der Universitäten Magdeburg, Jena, Leipzig und Rostock untersucht diese gesundheitlichen Langzeitfolgen nun drei Jahre lang ..



    Die Frage stellt sich, warum erst jetzt?



    Da nichts zufällig passiert, ist anzunehmen das die politische Stimmungslage im Osten eine Rolle spielt.



    TÄTER



    Ein 28 jähriger Vernehmungsoffizier bzw. Mitarbeiter der HA XX ist heute 58 Jahre. Viele haben bestimmt gut die Kurve(Wende) genommen.



    Die "Zersetzten" nicht so.



    Der Vorgesetzte von- Schild und Schwert- war übrigens die SED...!



    Zersetzung (Ministerium für Staatssicherheit)



    de.wikipedia.org/w..._Staatssicherheit)



    Mir ist aufgefallen, das im Forschungsverbund



    • Prof. Dr. Bernhard Strauß(Jena)



    • Prof. Dr. Georg Schomerus(Leipzig)



    • Prof. em. Dr. Jörg Frommer(Magdeburg)



    • Prof. Dr. Carsten Spitzer(Rostock)



    an der Spitze alles geb. Westdeutsche sind.

    • 4G
      4813 (Profil gelöscht)
      @Ringelnatz1:

      Letzteres weil wir Ostdeutschen zu doof sind.



      Interessiert doch nur, weil Forschungsgelder winken.



      Als ich in den Westen übersiedelte, haben mir die Westdeutschen immer wieder erklärt wie es in der DDR war. Und wie schlimm der Westdeutsche Staat insbesondere die Polizei ist.



      Danke dafür noch nachträglich.

  • Dies ist ein ganz wichtiges Projekt. Auch 30 Jahre nach Ende der DDR erfahren Verfolgte und Opfer des DDR-Regimes unzureichende Beratung und Behandlung, sind Ärzte, Psychologen und Berater überfordert, müssen Rehabilitationen mühsam, oft gegen Widerstand öffentliche Ämter (z.B. Jugendämtern bei ehemaligen Heimkindern, Kindesentziehungen oder Zwangadaptionen) und sehr oft auch gerichtlich durchgesetzt werden. Bleibt nur zu ragen, warum erst jetzt.

    • @Hans aus Jena:

      Warum erst jetzt???

      Nazi-Opfer mussten mehr als doppelt so lange warten - wenn sich ihnen überhaupt jemand angenommen hat.



      Die wichtige Zeit nach 1990 musste ja erstmal zur Selbstinszenierung von Gauck und Knabe und zur allgemeinen Desavouierung jeglicher sozialistischer oder gar sozialer Ideen genutzt werden. Die Opfer? Opfer sind unsexy und passen nicht mehr in die Zeit der Leistungsgesellschaft, auch wenn es DDR-Opfer sind.

  • 0G
    05989 (Profil gelöscht)

    1. Unbedingt!

    2. Warum, zum Teufel, erst jetzt? Die Betroffenen sind heute über 60... Und vielleicht war in den 90ern die Zeit noch nicht reif, aber solche Projekte hätten in den Nuller-Jahren starten müssen.

    3. Vielleicht lässt sich daraus ableiten, dass die DDR eine geradezu toxisch kleinbürgerliche Gesellschaft war, die im Nachgang zwar gut jammern kann, sich aber nicht von den alten Narrativen soweit lösen kann/konnte, dass ein echter Neuanfang möglich gewesen wäre. Summarisch betrachtet...

    Ähnlich wie die fahnflüchtigen Wehrmachtssoldaten, die das einzig Richtige getan haben, und dennoch als Verräter galten und gelten. Oder der schwierige Umgang mit Georg Elser, während man die Opportunisten vom 20. Juli immer noch feiert!

    Und als ob die Lage nicht fürchterlich genug gewesen wäre, wurden die Ossis unter den Westnarrativen vom Zusammenbruch des Kommunismus beerdigt. Viele der Dissidenten der DDR waren nicht primär gefährlich, weil sie gegen den Staat waren, sondern weil sie einen besseren Sozialismus forderten. Die sind schon von der Stasi gequält worden, aber von der Bundesrepublik regelrecht erstickt worden, weil sie vermeintlich aus den falschen Motiven Opfer wurden.

    Umweltschutz (angesicht der hemmungslosen Verseuchung eigentlich Menschenschutz...) war ein wichtiges Thema - während gleichzeitig in Wackersdorf die Generation X mit Wasserwerfern, Anzeigen und Staatsschutz bearbeitet worden sind. Deren - heute müder - Held Hans Söllner ist kaum weniger drangsaliert worden und hat über Jahre mit Existenzängsten leben müssen.

    Wenn sich der Osten nicht selber hilft, wird ihm niemand helfen - und wenn er selber den zeitgerechten und ehrlichen Umgang damit nicht hinbekommt, wird es niemand für ihn tun.