Forscher zu Rechten und Coronaprotesten: „Sie vermuten einen Plan dahinter“
Die Pandemieleugner*innen verbinde der Verschwörungsglaube, sagt der Sozialwissenschaftler Fabian Virchow. Und der sei zumeist antisemitisch.
taz: Herr Virchow, in Ihrem Kurzgutachten nennen Sie Querdenkende, Coronarebellen und so weiter „Pandemieleugner*innen“. Medial werden sie oft Coronaleugner*innen oder Maßnahmenkritiker*innen genannt. Warum haben Sie sich für Pandemieleugner*innen entschieden?
Fabian Virchow: Wir haben versucht, den kleinsten gemeinsamen Nenner bei den Versammlungsteilnehmer*innen zu finden. Etliche sagen, dass es das Virus gibt, es aber nicht gefährlicher sei als eine Grippe. Der pandemische Charakter wird geleugnet. Andere halten ihn schlicht für eine Erfindung. Auch die lassen sich unter den Begriff der Pandemieleugnung fassen. Anders als bei Protesten aus der Gastronomie oder dem Kulturbereich, die es ja auch gegeben hat, stehen bei den Querdenken-Veranstaltungen vor allem Erzählungen über einen dahinter liegenden Plan im Mittelpunkt, der mit dem Virus nur bedingt zu tun hat.
Was bedeutet das für die Versammlungen, wenn hinter der Virusbekämpfung ein anderes Motiv als die Gesundheit vermutet wird?
Weil sie nicht daran glauben, dass es eine Pandemie gibt, wollen sie wissen, was „tatsächlich“ der Grund sein könnte, dass die Regierung Eingriffe in Freiheitsrechte durchsetzt. So kommen sie zu den Verschwörungserzählungen. Viele davon haben explizit antisemitische Elemente oder implizit einen antisemitischen Kern, weil sie auf die Idee zurückverweisen, dass es eine kleine Elite gibt, die aus Finanz- oder Machtinteressen die Menschheit manipuliere. Das sieht man am Feindbild Bill Gates. Da wird zum Teil einfach behauptet, er sei Jude.
Und wer genau demonstriert da?
Die Menschen kommen aus unterschiedlichen soziokulturellen Milieus. Da sind Hippies, Impfgegner*innen, Esoteriker*innen neben Neonazis und Reichsbürgern. Es gibt da eine Reihe von Differenzen und eine Vielzahl von Verschwörungserzählungen, die sich eigentlich widersprechen. Was sie aber miteinander verbindet, ist die Struktur der Erzählungen, insbesondere die Vorstellung, dass da jemand die Strippen zieht und sie selbst schon erkannt haben, dass das so ist.
Gerade das Thema Reichsbürger und die Beteiligung der extremen Rechten ist medial dauerhaft präsent. Welche Rolle spielt die extreme Rechte in der Bewegung der Pandemieleugner*innen?
Bei den meisten Versammlungen sind die Akteure der extremen Rechten nicht notwendig, um die Proteste durchzuführen. Die Pandemieleugner*innen haben eigene Strukturen. Besonders bei großen Versammlungen wie kürzlich in Leipzig erfüllt die extreme Rechte aber objektiv die Funktion, gegenüber der Polizei Durchbrüche zu erzielen, um damit die Bewegungsfreiheit der Gesamtversammlung zu verbessern. Dann wird auch das Widerstandsnarrativ mit Erfolgserlebnissen gefüttert. Dass nach der zweiten Demo in Berlin Querdenken nach Konstanz gegangen ist, war der Versuch, das Thema Reichsfahnen taktisch zurückzunehmen. Jetzt gibt es Aufrufe, die Fahnen zu Hause zu lassen. Das ist aber kein Ausschluss der Reichsbürger, die sind nach wie vor da.
60, ist Sozialwissenschaftler an der Hochschule Düsseldorf. Mit seinem Team untersuchte er die Bewegung der Pandemieleugner*innen in einer Kurzstudie.
Ein Teil Ihrer Studie dreht sich um die Rolle der AfD, aber auch um andere rechtsextreme Parteien. Konnten die von der Teilnahme an den Protesten profitieren?
Das lässt sich nicht systematisch feststellen. Ich sehe nicht, dass NPD oder die Rechte in der Programmatik für Impfgegner*innen besonders attraktiv sind. Bei denjenigen, die kritisch gegenüber den Maßnahmen sind, gibt es aber eine überproportionale Zustimmung zur AfD. Ob die AfD als Pandemieleugner-Partei noch zusätzlich Stimmengewinn verzeichnen kann, bleibt abzuwarten. Im Moment ist das der Versuch, Anschluss an die Mobilisierung auf der Straße zu finden.
Sie verzeichnen Veränderungen im Straßenprotest und in sozialen Netzwerken bei rechtsaffinen Protestmilieus, „die als neue Formen von milieuübergreifender Radikalisierung interpretiert werden müssen.“ Was bedeutet das?
Bei den Demonstrationen trifft man auf eine beschworene Friedfertigkeit, die ganz schnell in Aggressivität umschlägt. Da bewegen sich Milieus, die die Zuspitzung oder Konfrontation suchen, wie zum Beispiel rechte Hooligans. Und auch Leute, die sonst unauffällig sind, steigen in die Konfrontation gegenüber Polizei und Medien mit ein. Denn sie glauben, sich im Widerstand gegen eine Diktatur zu befinden. Da entwickelt sich eine schwer zu kontrollierende Dynamik der Aggression. Ich nehme an, dass in Zukunft die Impfzentren Orte werden, an denen diese Aggression ausagiert wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen